Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

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5120 Neustadt
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Kurfürstentum Hessen 1840-1861 – 62. Neustadt

Momberg Karten-Symbol

Gemeinde Neustadt (Hessen), Landkreis Marburg-Biedenkopf — Von Susanne Gerschlauer
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

um 1747

Location

35279 Neustadt, Stadtteil Momberg, Burgasse 10 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Oberhessen

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Momberg war seit dem 13. Jahrhundert wie Neustadt bis zur Säkularisation unter der Ortsherrschaft der Mainzer Erzstiftes. Danach kam es unter die Verwaltung von Hessen-Kassel.

Um 1747 wurden erstmals 13 Juden als Einwohner von Momberg genannt1; 1838 lebten 30 Juden im Ort. 1861 waren es 49 (6,5 Prozent der Gesamtbevölkerung), 1905 waren es noch 48, 1933 hatte sich die Zahl auf 28 Personen reduziert.2

Bis zur Abspaltung im Jahr 1858 bildeten die Momberger Juden zusammen mit denen aus dem etwa 4 Kilometer entfernten Neustadt eine Synagogengemeinde. Platzmangel in der alten Synagoge von Neustadt war als Grund für die gewünschte Trennung der Gemeinden angegeben worden, die auf Nachweis eines eigenen, ausreichend großen Betraumes gestattet wurde.3 Mit der ersten Benutzung der Synagoge in der Burggasse 10 hatte die Synagogengemeinde Momberg offiziell Bestand; der erste Vorsitzende war Moses Blumenfeld. Um 1930 besaß die Gemeinde drei Thorarollen.4 Vermutlich löste sich mit Verkauf der Synagoge 1938 die jüdische Gemeinde auf. Die Momberger Juden lebten mehrheitlich als Viehhändler und Krämer, es gab einen jüdischen Metzger, einen Bäcker und eine Nudelfabrik (Joseph Spier) am Ort.

Von den etwa 28 jüdischen Mombergern, die noch nach 1933 im Ort lebten, konnten 12 in die USA emigrieren; andere wanderten nach Südafrika aus. Von den Verbliebenen beging der Viehhändler Abraham Blumenfeld Selbstmord, die anderen wurden zwischen 1941 und 1942 verhaftet und in Vernichtungslager deportiert, in denen alle bis auf eine umgebracht wurden.5 Ruth Lion geb. Spier überlebte den Holocaust und zog erneut nach Momberg, wo sie bis zu ihrem Tod lebte.

Betsaal / Synagoge

Trotz der Neuerrichtung der jüngsten Synagoge und der Neugründung der Gemeinde im Jahr 1858, besuchten die Momberger Juden während der kalten Jahreszeiten beheizbare private Beträume.6 Möglicherweise fanden Gottesdienste zeitweise auch vor Einrichtung einer eigenen Synagoge in Privaträumen von Momberger Juden statt.

Die ehemalige Synagoge steht in der Burggasse 10, ehemals „Im Ort“ bzw. „Beunergasse 57“. und wurde im April 1858 eingeweiht.7 Die Straße liegt im Unterdorf am südlichen Rand des Dorfes Richtung Neustadt. Die Lage des von drei Seiten frei stehenden Hauses hob es von der bäuerlichen Umgebung mit den etwa zeitgleich entstandenen Fachwerkscheunen und -wohnhäusern ab. Zur exponierten Lage traten die besonderen Fensterformen hinzu. Außerdem lag der Haupteingang in das Haus auf der von der Haupstraße her gut einsehbaren Westseite.

Das mit einem Außenmaß von 8 x 7 Metern beinahe quadratische Haus wurde aus einem Dorf im heutigen Ebsdorfergrund nach Momberg transloziert, auf dem heutigen Grundstück wieder aufgestellt und zur Synagoge umgestaltet.8 Der bis zu einen Meter hohe Sockel aus lagig gemauerten großen Buntsandsteinquadern bot das Fundament für das zweigeschossige Fachwerkhaus. Die heute durch Holzverkleidung im Obergeschoss nicht mehr sichtbare Fachwerkstruktur aus nach innen verlaufenden geschosshohen Streben der jeweils beiden äußeren Gefache sowie der ansonsten regelmäßigen Konstruktion aus Brustriegelketten und Wandstielen weist auf die Entstehungszeit um die Mitte des 19. Jahrhunderts hin. Das Haus stand von Norden nach Süden giebelständig zur Straße und besaß ein geschweiftes Satteldach. Durch erhebliche Umbaumaßnahmen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts bzw. zu Beginn des 21. Jahrhunderts unterscheidet sich die Optik der Trauf- und Giebelwände des Gebäudes nahezu vollständig vom ursprünglichen Bestand. Aus diesem Grund ist der Ursprungsbestand nur unzureichend rekonstruierbar.9

Im Ursprungsbestand waren in den Obergeschossen von Ost- und Westtraufe, vermutlich regelmäßig über die Wandfläche verteilt, drei rundbogige Sprossenfenster mit Fächersprossen im Oberlicht eingebaut. Wahrscheinlich unterschied sich der Wandaufbau des Untergeschosses im Osten von dem im Westen, da die Ostwand liturgisch der Standort des Aron Hakodesch war. Für einen Erker fanden sich im Bestand keine Hinweise. Der Haupteingang mit einflügeliger Tür in der Mittelachse der Westwand wurde von je einem rundbogigen Sprossenfenster flankiert. Der Nordgiebel besaß vermutlich im Ober- und Erdgeschoss je zwei Fenster derselben Bauart wie die der Traufseiten, symmetrisch auf die Wandfläche verteilt.

Der Betraum wurde über die Eingangstür im Westen erschlossen, zu der eine dreistufige Sandsteintreppe führte. Im Innern war als Windfang eine Bretterwand gebaut, die den Blick auf den Betraum zunächst verwehrte. Von hier aus gelangten die Frauen über die in der Nordwestecke des Raumes eingebaute gerade, zweiläufige Holztreppe mit Eckpodest auf die dreiseitig umlaufende Empore. Diese stand auf vier hölzernen Säulen, im Fußboden des Erdgeschosses auf niedrige Steinsockel gestützt. Auf der Empore war für 22 Frauen Platz vorhanden.10 Durch eine Tür im Windfang gelangten die Männer in den Betraum, der eine Flachdecke besaß. In dem vermutlich auf die Raummitte bzw. den Almemor ausgerichteten Raum standen Männerbänke mit 42 Plätzen.11 Der Fußboden war mit fast quadratischen Sandsteinplatten in diagonaler Lage von Südosten nach Nordwesten verlegt.

Alle Wände und die Decke waren farbig angelegt, teils mit vegetabilem, teils geometrischem Muster vor ockerfarbenem Hintergrund. Die Mitte der Flachdecke zierte in Ost-West-Richtung ein großes aufgemaltes Oval. Weiße Wolkenformen und goldfarbene Sterne vor mittelblauem Hintergrund zeigten eine Himmelsdarstellung. Das Deckenfeld belegt die vermutete zentrale Stellung des Almemor. Die Bemalung der Ostwand u.a. mit rundbogigem Abschluss, großem Davidstern, goldfarben mit schwarzen Konturen im Scheitel, bekrönte das darunterliegende Feld. Dies zeichnete den darunter stehenden Schrein ornamental nach und rahmte ihn. Besonders betonte der vor blauem Hintergrund in hellem Ocker gemalte Dekalog mit hebräischer Aufschrift den Standort. Er wurde von zwei filigran gemalten goldenen Löwen gehalten und durch eine in Rot und Goldtönen gestaltete Krone gekürt. Zur Ausstattung zählte ein Handwaschbecken aus Tisch und Schüssel, das unterhalb der Treppe angebracht war.12 Nach dem erzwungenem Verkauf wurden die ehemals aus Fachwerk bestehenden Erdgeschosswände während einer umfassenden Umbaumaßnahme 1954 durch massive Wände ersetzt, so dass Befunde aus dieser Ebene nicht möglich sind.13

Während der Pogromnacht des Jahres 1938 wurde die Synagoge innen vollständig zerstört. Das Mobiliar und weitere Einrichtungsgegenstände wurden außerhalb des Gebäudes zusammengetragen und verbrannt.

Seit dem 30.10.1939 war die ehemalige Synagoge durch Zwangsverkauf im Besitz des Grundstücksnachbarn, der als Bauer den Raum zunächst als Gemüselager nutzte. Durch erhebliche Umbauten im Jahr 1954 wurde das Haus zu einer Scheune umgebaut. Noch heute dient es als Abstellraum u.a. für bäuerliche Geräte. Die letzte Sanierung wurde zwischen 2004 und 2009 vorgenommen. Das Haus befindet sich noch heute im Besitz der Familie des ehemaligen Grundstücksnachbarn. Seit 1988 erinnert an der Wand der hofseitigen Osttraufe eine Bronzetafel an die ehemalige Nutzung des heute denkmalgeschützten Gebäudes.

Weitere Einrichtungen

Cemetery

Zujnächst beerdigten die Momberger Juden ihre Verstorbenen auf dem jüdischen Friedhof im etwa 9 Kilometer entfernt westlich liegenden Hatzbach.14

1828/29 konnte die Synagogengemeinde Neustadt mit Momberg auf einem Grundstück auf dem zwischen beiden Orten liegenden „Simonsberg“, heute „Simmesberg“ ihren eigenen jüdischen Friedhof anlegen.

Hatzbach, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Neustadt (bei Marburg), Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Neustadt (bei Marburg), Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Indices

Persons

Blumenfeld, Moses · Spier, Joseph · Blumenfeld, Abraham · Lion geb. Spier, Ruth

Places

Neustadt · USA · Südafrika · Ebsdorfergrund · Hatzbach · Simonsberg · Simmesberg

Sachbegriffe Geschichte

Mainz, Erzstift · Holocaust

Sachbegriffe Ausstattung

Thorarollen · Aron Hakodesch · Almemore · Thoraschreine · Vorbeterpulte · Davidsterne · Dekaloge · Handwaschbecken · Gedenktafeln

Sachbegriffe Architektur

Fachwerkscheunen · Fachwerkbauten · Steinsockel · Sockel · Buntsandstein · Holzverkleidungen · Gefache · Brustriegel · Wandstiele · Satteldächer · Oberlichter · Sprossenfenster · Fächersprossen · Sandsteintreppen · Emporen · Holztreppen · Säulen · Flachdecken · Windfänge · Sandsteinplatten · Deckenfelder

Fußnoten
  1. Ortsartikel Momberg in LAGIS, Historisches Ortslexikon (siehe Link oben)
  2. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 124
  3. Gerschlauer/Klein, Marburg-Biedenkopf, S. 87
  4. Gerschlauer/Klein, Marburg-Biedenkopf, S. 99
  5. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 126
  6. Gerschlauer/Klein, Marburg-Biedenkopf, S. 87
  7. Gerschlauer/Klein, Marburg-Biedenkopf, S. 86
  8. Gerschlauer/Klein, Marburg-Biedenkopf, S. 87
  9. Gerschlauer/Klein, Marburg-Biedenkopf, S. 88 ff.
  10. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 125
  11. Diese Raumstruktur spiegelt eine orthodoxe Haltung in der Synagogengemeinde wider. Synagogen ähnlicher Bauzeit wiesen in ihrer Raumdisposition die modernere liturgische Praxis auf, in der Almemor und Vorbeterpult vor den Thoraschrein an der Ostwand platziert waren (z.B. Beuern, Gemeinde Großen-Buseck, um 1850).
  12. Detaillierte bauhistorische Beschreibung mit Fotos und Plänen in Gerschlauer/Klein, Marburg-Biedenkopf, S. 88–102 und Bildtafeln in Gerschlauer/Klein, Marburg-Biedenkopf, S. 161-163
  13. Gerschlauer/Klein, Marburg-Biedenkopf, S. 88
  14. Sieburg, S. 45 f.
Recommended Citation
„Momberg (Landkreis Marburg-Biedenkopf)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/135> (Stand: 23.8.2022)