Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Lohra Karten-Symbol

Gemeinde Lohra, Landkreis Marburg-Biedenkopf — Von Susanne Gerschlauer
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1664

Location

35102 Lohra, Lindenplatz 1 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Oberhessen

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Seit 1237 war Lohra im Besitz des Erzstiftes Mainz und wurde zum Gerichtssitz erhoben. In den folgenden Jahrhunderten wechselte häufig die Ortsherrschaft und die Gerichtshoheit zwischen den Merenbergern, den Landgrafen von Hessen, den Grafen von Solms(-Lich), den Grafen von Nassau-Saarbrücken und den Herren von Buseck. Bis 1866 konsolidierte sich der Besitz auf die Herrschaft der Landgrafschaft Hessen-Kassel resp. das Königreich Preußen.

Seit wann Juden im Ort lebten, ist bisher nicht eindeutig fassbar, offenbar wohnten jedoch seit Ende des 17. Jahrhunderts kontinuierlich Juden in Lohra. 1664 wird ein Jude genannt,1 1744 wurden drei Juden(-familien) gezählt.2

Entsprechend der Anzahl der im Ort lebenden Juden, die einen Minjan ermöglichte, könnte eine jüdische Gemeinde bereits seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bestanden haben. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts bildeten die Lohraer Juden zusammen mit den Juden aus Fronhausen und Roth eine jüdische Gemeinde, zunächst mit dem Hauptort Roth. Um 1746 zählte die zusammengeschlossene Gemeinde 15 Personen jüdischen Glaubens. 1835 lebten 21 Juden in den drei Gemeinden; 1885 waren es 34. Bereits um 1906 war ihre Zahl auf 30 gesunken.3 Der Anteil von Juden an der Gesamtbevölkerung lag in Lohra seit Beginn des 19. Jahrhunderts bis um 1906 durchschnittlich bei drei Prozent.4

Erste Abspaltungsbestrebungen, zunächst der beiden Gemeinden Lohra und Fronhausen von Roth, die schließlich zur Trennung aller drei Gemeinden führten, können schon um 1830 (Fronhausen) und Ende der 1870er Jahre (Lohra und Fronhausen) nachgewiesen werden. Zur Trennung kam es 1881, als die Fronhäuser und Lohraer Juden sich zu einer eigenen Religionsgemeinde zusammenschlossen, deren religiöser Mittelpunkt der Betraum in Fronhausen war. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts trennte sich die Lohraer Gemeinde von der Fronhäuser und bildete bis zu ihrer Zerschlagung durch die Nationalsozialisten eine eigene jüdische Gemeinde.5 Der letzte Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Lohra war Herman Nathan II.6

Die jüdischen Familien der Gemeinde Lohra lebten in eigenen Häusern und verdienten ihren Lebensunterhalt um die Jahrhundertwende in der Mehrheit als Kaufleute (Vieh, Krämer, Landhandel). Darüber hinaus gab es einen Schuster, einen Metzger, einen Polsterer sowie einen Lumpensammler.

Von den bei der Machtübergabe der Nationalsozialisten ehemals 34 Mitgliedern7 der jüdischen Gemeinde Lohra emigrierten 11 Personen ins Ausland, zwei verzogen innerhalb Deutschlands. Die verbliebenen jüdischen Lohraer wurden ab 1942 verhaftet, in Vernichtungslager (Polen und Tschechien) deportiert und dort umgebracht.8 Auf dem christlichen Friedhof in Lohra in der Schulstraße befindet sich zwischen den Gräbern der beiden zuletzt Verstorbenen der jüdischen Gemeinde Lohra, Jeanette Mendels (verstorben im März 1936) und Abraham Nathan (verstorben im April 1936) ein Gedenkstein mit einer Bronzetafel, deren Aufschrift der während der nationalsozialistischen Herrschaft ermordeten jüdischen Bürger und Bürgerinnen Lohras gedenkt.

Betsaal / Synagoge

Bisher nur mündlich überliefert ist ein Betraum im Obergeschoss eines Privathauses in der heutigen Bahnhofstraße 16. Um die Jahrhundertwende vermieteten die nichtjüdischen Eigentümer des Fachwerkhauses der kleinen jüdischen Gemeinde von Lohra Räume im ersten Obergeschoss für gottesdienstliche Zwecke.9 Ihre Nutzung diente zudem gemeindlichen Zwecken und endete 1918 mit dem Wechsel des Hauseigentümers, da wegen Eigenbedarfs der Platz gebraucht wurde. Direkt im Anschluss konnte die jüdische Gemeinde das Obergeschoss des historischen Rathauses am heutigen Lindenplatz Nr. 1, ehemals „Im Dorfe 73“ von der politischen Gemeinde anmieten. Im Betraum wurde auch der Religionsunterricht abgehalten. Nebenräume im Obergeschoss wurden an den jüdischen Lehrer vermietet.

Das unverputzte zweizonige Fachwerkgebäude aus dem Jahr 1713 wurde als Rathaus in repräsentativer Lage und besonders gut verarbeitetem und gestaltetem Fachwerk errichtet. Als markanter Bau, der den ehemals als Marktplatz genutzten Raum im Osten nach Süden begrenzt, hebt es sich auch heute noch von den umgebenden bauzeitlichen und jüngeren Fachwerkgebäuden durch seine aufwändigen Schmuckformen der oberen beiden Geschosse ab.

Zur Nutzungszeit als Bet- und Schulraum für die jüdische Gemeinde betrat man das Gebäude über eine fünfstufige steinerne Treppe durch eine einflügelige Tür im Ostgiebel. Der Betraum im Obergeschoss lag im östlichen Teil des Hauses und wurde über eine viertelgewändelte Holztreppe aus der Bauzeit des Rathauses erschlossen. Sie ist in die nordwestliche Gebäudeecke eingebaut. Durch eine in der Westwand eingebaute Tür konnte der Raum betreten werden, der vermutlich ehemals als Ratssaal genutzt worden war. Er bot nach Umbau zum Betraum mit fast 50 Quadratmetern Fläche über quadratischem Grundriss für die Zwecke der jüdischen Gemeinde die geeignete Größe. Heute bringen je vier moderne Kreuzstockfenster im Süden und Osten dem Innenraum Licht.10 Der Mittellängsunterzug, der durch die Mitte der Obergeschossdecke verläuft, sowie die vermutlich aus der Bauzeit des Rathauses stammende Holzsäule, zur Unterstützung des Unterzuges, bestimmten damals wohl den Raumeindruck. Über die ursprüngliche Aufteilung des Betraumes ist nichts bekannt. Wahrscheinlich – bisher aber bauhistorisch nicht untersucht – ist eine getrennte Sitzordnung von Männern und Frauen durch eine vielleicht im nordwestlichen Bereich des Raumes eingebaute Frauenestrade. Unklar ist ebenso die Position von Thoraschrank und Vorbeterpult, die sich vermutlich im Osten des Raumes befanden. Von Schmuckelementen und besonderen Attributen jüdischer Religion war zum Untersuchungszeitraum 1992 und einer Begehung 2009 nichts zu erkennen.

1937 wurde der Betraum durch die jüdische Gemeinde Lohra nicht mehr genutzt. Die noch in Lohra lebenden Juden besuchten bis 1938 den Gottesdienst im etwa sechs Kilometer entfernt liegenden Gladenbach.

Die politische Gemeinde Lohra nutzte das Gebäude in den folgenden Jahren unter anderem als Feuerwehrgerätehaus. Nach seiner teilweisen Renovierung, 1963, erfolgte in den 1980er Jahren eine umfassende Sanierung durch die seit 1982/83 als Mieterin fungierende Sparkasse, die im Gebäude bis Mitte 1990 eine Filiale betrieb (z.B. Schornsteinanbau an der Nordfassade, Betonierung der Decken des Flachkellers).11 Das Obergeschoss wurde als Abstellraum benutzt. In dieser Zeit wurden zusätzliche Wände eingezogen. Um 2002 übernahm der Freundeskreis „Altes Rathaus Lohra“ die Nutzung des Obergeschosses. Für die Neunutzung als kulturelle Begegnungsstätte und Vereinsraum wurden die zuvor eingezogenen Trennwände im östlichen Hausbereich wieder entfernt und dadurch der ursprüngliche Raumeindruck wieder hergestellt. Des Weiteren wurde die bauzeitliche hölzerne Wandbekleidung auf Brüstungshöhe renoviert und ein moderner Holzfußboden eingebaut. Das Untergeschoss steht der politischen Gemeinde zur Nutzung zur Verfügung.

Weitere Einrichtungen

Cemetery

Ein älterer jüdischer Friedhof liegt am Rand des alten Ortskerns im „Steinweg“, westlich der Hausnummer 13. Der Friedhof hat eine Grundfläche von etwa 121 Quadratmetern und liegt mitten in einem seit etwa der Wende zum 20. Jahrhundert bebauten Wohngebiet. Die ältesten Steine stammen aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert, die jüngste Bestattung fand 1927 statt. Von den insgesamt erhaltenen 11 Steinen für 13 Bestattete fehlen bei vier Grabsteinen die Inschriftentafeln. Zwei jüdische Gräber auf dem christlichen Friedhof in der Schulstraße, nordöstlich von Lohra am Ortsausgang gelegen, bezeugen die letzten am Ort verstorbenen jüdischen Mitglieder.

Lohra, Alter Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Lohra, Neuer Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Fußnoten
  1. Ortsartikel Lohra auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  2. Arnsberg: Jüdische Gemeinden 1, S. 496
  3. Ortsartikel Lohra in LAGIS, Historisches Ortslexikon (siehe Link oben)
  4. Ortsartikel Lohra auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  5. Gerschlauer/Klein, Synagogen im Landkreis Marburg-Biedenkopf, S. 21, 69
  6. Ortsartikel Lohra auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  7. Händler-Lachmann, S. 21
  8. Daten aus privat zusammengestelltem Stammbaum von Horst Köhler, Lohra 2002, nach der Erinnerung des einzig überlebenden ehemaligen Lohraer Juden, Herrn Meier Manfred Nathan, Basel.
  9. Mündliche Auskunft der Familie Elfriede und Horst Köhler, Lohra, 4. Juni 2009
  10. Zur Nutzungszeit als Betraum waren statt der modernen Fenster Galgenfenster des 19. Jahrhunderts in Benutzung.
  11. Die Sanierungs- und Umbaumaßnahmen erfolgten unter Einhaltung der denkmalschutzrechtlichen Auflagen. Seit 9. Juli 1982 steht das Gebäude unter Denkmalschutz.
Recommended Citation
„Lohra (Landkreis Marburg-Biedenkopf)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/144> (Stand: 22.7.2022)