Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Lieblos Karten-Symbol

Gemeinde Gründau, Main-Kinzig-Kreis — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

19. Jahrhundert

Location

63584 Gründau, Ortsteil Lieblos, Rathausstraße 2 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Hanau

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Lieblos wurde im Jahr 1173 urkundlich zum ersten Mal erwähnt. Seit dem Mittelalter Bestandteil von Mark und Zehnt Gründau, kam der Ort in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts an das Haus Isenburg, bis er 1816 an Preußen gelangte. Nach dessen Auflösung gehörte er zu Hessen. Heute ist Lieblos Ortsteil der Gemeinde Gründau im Main-Kinzig-Kreis.

Über die frühe Geschichte der Juden in Lieblos liegen keine Nachrichten vor. Nach Arnsberg sollen bereits im 18. Jahrhundert Juden im Ort gelebt haben.1 Eine archivalische Überlieferung setzt nach bisherigem Kenntnisstand aber erst nach 1800 ein.

Die in Lieblos lebenden Juden zählten zu Beginn des 19. Jahrhunderts formal zu der Gemeinde Meerholz. Als in den 1820er Jahren eine Neuaufteilung der Synagogenbezirke diskutiert wurde, hieß es, dass Lieblos und einige andere Orte zwar die dortige Synagoge besuchten, „seit einiger Zeit haben sich die kleinen Gemeinde Lieblos u. Rothenbergen [aber] besonderer Bethäuser angemaßt“.2 Der Berichterstatter Löbenstern aus dem Provinzialrabbinat Hanau empfahl, die Gemeinde Meerholz auch formal zu trennen: „Es dürfte diese Eintheilung in zwei Synagogengemeinden um so zweckmäßiger sein, als der Kinzigfluß beide scheidet, und die Synagogengemeinde Meerholz auf das linke, jene von Lieblos auf das rechte Kinzigufer sich beschränken wird.“3 Weiter schlug er vor, für die durch die Trennung entzogenen Mitgliederbeiträge eine Entschädigung an Meerholz zu zahlen.

Zu dieser formal nicht bestätigten Gemeinde zählten auch die in Niedergründau, Roth und Rothenbergen lebenden Juden. Insgesamt waren dies 17 Familien. In Lieblos lebten Moses Kaufmann mit seiner Frau, einem Knecht, einer Magd, einem Verwandten sowie Mordechai, dem Schullehrer; Herz Kaufmann mit vier Personen; Meyer Kaufmann mit drei Personen; Bär Herz Heilmann mit vier Personen sowie einem Knecht und einer Magd; Nathan Seibel mit acht Personen, einem Knecht und Micka, dem unehelichen Kind seiner Frau sowie Meyer Löbenstein mit vier Personen. In Roth wohnten Schmul Rosenthal mit Frau und zwei Kindern; Mayer Rosenthal mit Frau und sechs Kindern und die von ihrem Mann verlassene Blümche Loeb mit einer Tochter. In Rothenbergen lebten Jonas Grünebaum mit Frau und einem Sohn; Gumbrech Blumenbach mit Frau und zwei Kindern; Salomon Dillenburger mit Frau und seinem Vater; Noa Dillenburger mit Frau und zwei Kindern, einem Verwandten und einer Magd und Jacob Blumenbach mit Frau und drei Kindern. In Niedergründau schließlich wohnten Löb Grunebaum mit Frau und drei Kindern sowie einem Zögling aus einem Waisenhaus; Jüdel, die Witwe von Abraham Herz mit fünf Kindern und Jacob Grünebaum mit Frau und drei Kindern.4 Tatsächlich ist es zu diesem Zeitpunkt nicht zu einer Trennung der beiden Gemeinden gekommen. Nach der Neueinteilung der Synagogenbezirke zählte 1837 Lieblos immer noch zu Meerholz.

Davon ließen sich die Juden besagter Ortschaften aber nicht beirren. Bereits 1826 hatte Moses Kaufmann den Wunsch geäußert, in einem Privathaus in Lieblos Gottesdienst halten zu dürfen. Vordergründiges Argument waren sowohl sein eigener schlechter Gesundheitszustand, als auch der seiner Frau. Er wies darauf hin, dass die Kinzig häufig hohes Wasser führte und kaum zu passieren sei. Dadurch würde der rund eine dreiviertel Stunde dauernde Fußweg weiter ausgedehnt. Der Gottesdienst sollte in seinem Wohnhaus stattfinden, in dem er bereits zehn Jahre zuvor, also um 1816, auf eigene Kosten einen kleinen Betraum eingerichtet hätte. Im Dezember 1826 wurde die Genehmigung erteilt, in der Zeit zwischen dem Sonntag vor dem jüdischen Neujahrsfest und dem Sonntag vor dem Osterfest, gemeint war wohl das Pessachfest, Privatgottesdienst halten zu dürfen.5 Gleichzeitig wurde festgelegt, dass die Mitgliederbeiträge an die Muttergemeinde Meerholz weiter zu zahlen waren.

Rund zehn Jahre später, 1839, stellten die jüdischen Einwohner von Lieblos erneut den Antrag, sich von Meerholz trennen zu dürfen, der aber abermals abgelehnt wurde. Dies änderte sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Seit 1850 waren wieder Anträge auf Loslösung von Meerholz bei der Regierung eingegangen, die sich überwiegend auf die weite Entfernung und die oft Hochwasser führende Kinzig gründeten. Als neues Argument kam nun die bereits bestehende eigene Schule hinzu. In einem der Schreiben heißt es: „Wir haben unsere eigene Schule, unseren eigenen Gottesdienst, glauben daher auch solches selbständig unterhalten und verwalten zu dürfen. Da wir nun unser eigenes Synagogenwesen vor Ablauf dieses Jahres noch gerne einzurichten wünschen ...“.6 Daraufhin erteilte die Regierung in Hanau den Dörfern rechts der Kinzig zunächst die Erlaubnis, im Winter in Lieblos Privatgottesdienst halten zu dürfen. Im Sommer war weiterhin die Synagoge in Meerholz zu besuchen. Obwohl die Antragsteller darauf verwiesen, dass zwischen den Gemeindeältesten unterschiedliche Auffassungen in Bezug auf Religion und Durchführung von Gottesdiensten immer wieder zu Zwistigkeiten führten, wurde die endgültige Loslösung nochmals abgelehnt, dann aber zum 1. Januar 1854 zugesagt. Die durch die Provinzialregierung Hanau erteilte Genehmigung enthielt die Auflagen, dass alle Mitglieder der neuen Gemeinde auf ihre Rechte an der Gemeinde Meerholz verzichteten und dass der in Lieblos beschäftigte Lehrer ausschließlich von deren Mitgliedern bezahlt werde. Der gemeinsame Friedhof aber sollte so lange bestehen bleiben, bis die Gemeinde Lieblos nachgewiesen hatte, auf eigene Kosten einen eigenen Friedhof anlegen zu können.7 In dem Verzeichnis der neuen Synagogenbezirke in der Provinz Hanau wurden für 1854 in der neuen Gemeinde 101 Seelen gezählt, davon 41 in Lieblos, 23 in Roth, 14 in Rothenbergen und 23 in Niedergründau.8 Erste Älteste wurden Herz Kaufmann aus Lieblos und Michael Rosenthal aus Roth.

1816 lebten zwölf jüdische Erwachsene und 16 Kinder in Lieblos. Diese Zahl blieb bis 1842 relativ konstant. In diesem Jahr standen vier Häuser in jüdischem Besitz. Als Berufe werden ein Metzger und drei Seifensieder genannt.9 Ihren zahlenmäßigen Höhepunkt erreichte die Gemeinde 1861 mit 40 Personen.10 In den folgenden Jahren und Jahrzehnten nahm die Bedeutung wieder ab.

Der Literatur ist zu entnehmen, die jüdischen Einwohner seien gut in das Gemeindeleben integriert gewesen. „Insbesondere hat Salomon Adler an dem Vereinsleben regen Anteil genommen.“11

1933 lebten noch sieben jüdische Personen im Ort. Sie erlebten die allgemeinen Entrechtungen, Ausgrenzungen, Zwangsmaßnahmen und Boykotte. Auch kam es zu Zerstörungen an und in Privatwohnungen und Geschäften. Einige Personen wanderten bis 1938 aus. Am 16. Dezember 1938 meldeten sich Moses und Bertha Löwenstein sowie die Schwester Johanna Adler nach Frankfurt ab. Nur drei Tage später folgten Salomon und Emma Adler. Sie waren die letzten in Lieblos verbliebenen Juden gewesen.12 Ihre Deportation erfolgte aus Frankfurt.

Betsaal / Synagoge

Der älteste Hinweis auf einen Betraum in Lieblos stammt aus dem Jahr 1826, als Moses Kaufmann namens der im Ort lebenden Juden das Gesuch stellte, Privatgottesdienst halten zu dürfen. In seinem Schreiben wies er darauf hin, dass er bereits zehn Jahre zuvor, also um 1816 in seinem Haus und auf seine Kosten einen Betraum eingerichtet hatte. Ob es sich dabei um das gleiche Haus handelte, das Herz Kaufmann gehörte, einem Sohn von Moses Kaufmann, und in dem ab 1828 Unterricht für die jüdischen Kinder abgehalten wurde, ist zwar wahrscheinlich, aber nicht abschließend geklärt.

Seit Bildung einer eigenständigen Gemeinde suchte diese die Möglichkeit, eine Synagoge einzurichten. Nachdem Herz Kaufmann 1858 verstorben war, wurde sein Haus verkauft und die Gemeinde erwarb das sogenannte Schnuthsche Haus13 und richtete darin das Gemeindezentrum mit Synagoge, Schule und Lehrerwohnung ein, das 1860 eingeweiht wurde.14

Es handelt sich um einen heute noch bestehenden zweistöckigen Streckhof vermutlich noch aus dem 18. Jahrhundert mit zweizonigem Wohnteil und einzonigem Scheuen-Stallanbau. Dieser wurde zur Synagoge umgebaut, die sich über beide Stockwerke erstreckte. Die Grundfläche betrug rund 7 x 8 Meter. Der Schulraum befand sich im Erdgeschoss des vormaligen Wohnteils, die Lehrerwohnung lag unmittelbar darüber.15

Im Inneren befanden sich acht Bänke, der Altar, ein Predigerpult, drei Schränke, ein Kronleuchter aus Bronze sowie persönliche Kleidungsstücke. Der Fußboden war mit Sandsteinplatten belegt, die 1960 teilweise noch vorhanden waren.

Der Aufgang zur Empore über dem Betraum führte durch den Wohnteil.

Die zu der Ausstattung gehörenden Gegenstände waren vor der Pogromnacht nach Frankfurt verbracht worden. Da es aber keine dezidierte Aufstellung gab, wurde nach Ende des Zweiten Krieges nur eine Liste „sine qua non“ mit denjenigen Kultgegenständen erstellt, ohne die eine Gemeinde in dieser Lage und Größe nicht existieren konnte.16

Nachdem die jüdische Gemeinde vor den Novemberpogromen aufgelöst wurden war, erwarb die bürgerliche Gemeinde das Anwesen. Trotzdem wurde das Innere in der Pogromnacht angezündet. Der Brand konnte aber rasch gelöscht werden.

1949 zahlte die politische Gemeinde im Zuge der Restitutionsverfahren 6.000 DM an die IRSO. 1960 diente das Gebäude als Schuppen und wurde später vollständig zu einem Wohnhaus umgebaut.

Weitere Einrichtungen

Weitere Einrichtungen

Mit der Bildung der Gemeinde wurde 1855 eine Gesellschaft zur Unterstützung erkrankter Mitglieder der Synagogengemeinde Lieblos gegründet17, über die keine weiteren Nachrichten vorliegen.

Mikwe

1827 bauten die im Gründauer Gericht lebenden Juden eine eigene Mikwe und wollten sich daher nicht an dem ebenfalls neu erbauten Bad in Meerholz beteiligen. Dieses stand im Haus des Juden Kaufmann und war auf dessen Rechnung entstanden. Es darf vermutet werden, dass es sich um das gleiche Haus handelte, in dem ein Jahr später auch Schule eingerichtet wurde und in dem sich vermutlich der Betraum befand. Nach damaliger Auffassung, schrieben die jüdischen Bewohner aus Lieblos, gehörte die Einrichtung eines Bades aber „nicht zu den gottesdienstlichen Pflichten oder gemeinschaftlichen Aufgaben. Jeder könne sich eines bauen. Schon seit mehr als hundert Jahren haben die Juden im Gründauer Gericht hier und da, bald in Lieblos, bald in Rothenbergen u.s.w gemeinschaftlich Bäder besessen ...“18

Die Gemeinde in Meerholz bestand aber auf ihrem Beschluss, ein gemeinschaftliches Bad auf gemeinschaftliche Kosten zu bauen. 1838 wurde sie genutzt und befand sich in der Hofreite des Nathan Stiefel, dessen Familie auch die Schlüssel verwaltete. Bis 16. Mai 1839 war es vollständig hergestellt.

1845 nutzte ein Teil der Familie Stiefel die Mikwe zeitweise als Waschhaus. Dieser leugnete zwar, aber im Ergebnis wurde zunächst Sara Stiefel beauftragt, das Bad sauber zu halten, es für die Nutzerinnen zu öffnen und den Schlüssel zu verwahren.

Der Kompromiss mit der sich beklagenden Gemeinde Meerholz sah vor, dass deren Mikwe auf Kosten der gesamten Gemeinde errichtet würde, während die Kosten für das Bad in Lieblos ausschließlich aus Privatmitteln aufzubringen seien. Daraus resultierten Badeberechtigungen, die 1846 von 19 Frauen aus Lieblos, Roth, Niedergründau und Rothenbergen wahrgenommen wurden.

Nur wenig später muss die Mikwe verlegt worden sein, denn 1848 lag sie im Privateigentum und im Haus der Familie Kaufmann. Hierbei wird es sich mit ziemlicher Sicherheit um das Haus gehandelt haben, in dem sich zu dieser Zeit auch der Betraum befand. Ob die Mikwe mit der Einrichtung des Gemeindezentrums um 1860 in die heutige Rathausstraße umzog, ist nicht geklärt. Ackermann erwähnt zwar, dass sich die Gemeinde 1892 ein neues Bad wollte bauen wollte, macht aber keine Angaben zu dessen Lage.19

Schule

Die schulpflichtigen Kinder besuchten seit 1823 die örtliche Volksschule, mussten aber für den Religions- und Hebräischunterricht nach Meerholz gehen. Nach 1828 beschäftigten die jüdischen Familien zeitweise einen eigenen Lehrer, der den Unterricht im Haus von Herz Kaufmann erteilte.

1847 eröffnete schließlich eine „Öffentliche israelitische Schule für den gesamten Jugendunterricht“.20 Bis zum 1. Januar 1854 wurden unter anderem die folgenden Lehrmittel dafür angeschafft: eine Europakarte, eine von Kurhessen sowie eine Kurhessenkarte mit Einteilung der Bezirksdirektionen, Nipoth/Holzamers Anleitung zu schriftlichen Aufsätzen, Steins Geographie mit Einband, Kellners Sprachlehre mit Übungsbuch, Hebräische Sprachlehre von Wilhelm Gesenius, das Rechenbuch von Küßner, eine Zähltabelle für die untere Klasse, eine Anleitung zum Kopfrechnen, ebenfalls von Küßner, eine Anleitung zum Anschauungsunterricht von Denzel, Gabriel Gottfried Bredows Weltgeschichte, die Vorlegeblätter von Diehl und Wurst, eine Geographie von Kurhessen und Lochners Rechenbuch für die obere Klasse mit Einband.21

Nach Einrichtung einer eigenen Synagoge zog auch die Schule in dieses Gebäude um.

Cemetery

Unmittelbar nach Loslösung von der Muttergemeinde Meerholz bemühte sich die Gemeinde Lieblos auch um einen eigenen Friedhof. 1855 wollte sie zu diesem Zweck ein Grundstück nördlich des Ortes erwerben, das 33 Schritte von der nächsten Bebauung entfernt lag. Nachdem die bürgerliche Gemeinde dieses Ansinnen aber mit der Begründung abgelehnt hatte, das Areal läge im Quellgebiet, aus dem das Trinkwasser des Ortes stamme, wurde der Antrag auch von der Regierung abgelehnt.22 Bis zur Auflösung der Gemeinde im 20. Jahrhundert wurden die Verstorbenen aus Lieblos weiterhin auf dem Friedhof in Niedermittlau bestattet.

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Fußnoten
  1. Arnsberg, 1971, S. 491
  2. HStAM 82 Hanau, c 863
  3. HStAM 82 Hanau, c 863
  4. HStAM 180 Gelnhausen, 3557
  5. HStAM 82, c 941
  6. HStAM 82, c 864
  7. HStAM 180 Gelnhausen, 3161
  8. HStAM 82, c 863
  9. HStAM 180 Gelnhausen, 26
  10. Arnsberg, 1971, S. 491
  11. Semmel, 2018, S. 121
  12. Semmel, 2018, S. 128
  13. Ackermann, 1993, S. 44
  14. HStAM 82, c 941
  15. Friedrich, 2011, S. 730
  16. HHStAW 518, 1218
  17. HStAM 82, c 935 und 86, 9986
  18. HStAM 180 Gelnhausen, 3135
  19. Ackermann, 1993, S. 45
  20. Ackermann, 1993, S. 44
  21. HStAM 82, 863
  22. HStAM 1800 Gelnhausen, 4234
Recommended Citation
„Lieblos (Main-Kinzig-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/319> (Stand: 22.7.2022)