Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

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5714 Kettenbach
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Herzogtum Nassau 1819 – 33. Dörsdorf

Kettenbach Karten-Symbol

Gemeinde Aarbergen, Rheingau-Taunus-Kreis — Von Carina Schmidt und Hartmut Heinemann
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

Ende 17. Jahrhundert

Location

65326 Aarbergen, Ortsteil Kettenbach, Oberstraße 4 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Wiesbaden

preserved

nein

Jahr des Verlusts

ca. 1965

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Kettenbach wird 845 n. Chr. erstmals urkundlich erwähnt und war bis in die Neuzeit Sitz eines Zehntgerichts. Im 14. Jahrhundert gehörte das Gericht, zu dem auch die Gemeinden Rückershausen, Daisbach und Hausen (heute Hausen über Aar) zählten, den Grafen von Weilnau, die Teile davon als Lehen oder Pfandschaften vergaben. So erlebte Kettenbach zahlreiche Herrschaftswechsel. Um 1405 etwa ging eine Hälfte des Fleckens in den erblichen Besitz der Grafen von Nassau über, mit dem anderen Teil waren seit Mitte des 15. Jahrhunderts die Herren von der Leyen vom Stift Gemünden belehnt. Später verfügten vor allem die Freiherren von Galen über das Gericht. Im Jahr 1721 gelangte das Gericht bzw. das Kirchspiel Kettenbach zur Hälfte und 1777 ganz unter nassauische Herrschaft (Nassau-Usingen). Damit nahm das Gericht im 19. Jahrhundert seinen historischen Weg über das Herzogtum Nassau von 1806, Amt Wehen, bis hin zum Königreich Preußen 1866. Ab 1945 hessisch, ist Kettenbach heute Teil der Großgemeinde Aarbergen im Rheingau-Taunus-Kreis.1

Die vier Gemeinden des Gerichts bzw. des Kirchspiels Kettenbach bildeten seit dem Mittelalter ein Kleinterritorium, das sich auch in der Geschichte der Juden widerspiegelt. Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Kettenbach ist besonders eng mit derjenigen der jüdischen Gemeinde Rückershausen verknüpft. Gemeinsam mit den Filialorten Daisbach und Hausen bildeten sie einen eigenen Kultusbezirk bzw. eine Synagogengemeinde. Der Mittelpunkt lag im 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts in Rückershausen, wo sich die Synagoge befand. Er richtete sich wie andernorts auch in solchen Fällen nach dem Ort, wo die meisten Juden lebten. Erst um 1850, als das alte Gotteshaus verkauft und ein neues in Kettenbach erworben wurde, entwickelte sich das Dorf Kettenbach zum Mittelpunkt des religiösen Lebens.2

Im Kirchspiel Kettenbach, zu dem die genannten Filialorte gehörten, waren nachweislich seit dem späten 17. Jahrhundert Juden ansässig.3 In einer Liste jüdischer Einwohner werden 1730 elf erwachsene Personen genannt, die zum Teil schon seit Jahrzehnten vor Ort lebten oder in Kettenbach geboren waren. Dort zur Welt gekommen und aufgewachsen sind u.a. die Brüder Görschel und Feist Loiser, deren Großeltern bereits um 1690 in den Schutz nach Kettenbach aufgenommen worden waren. Auch einzelne jüdische Bürger aus Hausen und Rückershausen sind im 18. Jahrhundert nachweisbar. Doch bis um die Jahrhundertwende scheint die Zahl der Juden in Kettenbach zurückgegangen zu sein, denn 1788 sind in den Gemeinderechnungen nur noch drei steuerpflichtige jüdische Einwohner aufgeführt: Aaron, Abraham Lazarus und die Witwe des Joseph Löw lebten in Kettenbach; sie entrichteten je zwei Gulden Schutzgeld jährlich. Auch in den Nachbarorten waren nur wenige Juden ansässig, in Rückershausen waren es 1767 drei Familien. Dennoch fand der Gottesdienst dort in einem Privathaus statt.4

Im 19. Jahrhundert wuchs die Mitgliederzahl der Kultusgemeinde an. Die meisten Juden im Kirchspiel lebten 1843 in Kettenbach, dort waren 23 von ihnen wohnhaft. In Daisbach wurden zu diesem Zeitpunkt 17, in Rückershausen 16 und in Hausen sieben jüdische Einwohner gezählt. Diese Entwicklung, parallel zu dem baulichen Verfall der Synagoge in Rückershausen, dürfte maßgeblich zur Verlegung des Kultuszentrums nach Kettenbach beigetragen haben. Dort stand seit 1857 ein jüdisches Gotteshaus, das die wachsende Gemeinde gekauft hatte, zur Verfügung. 1875 zählten insgesamt 96 Personen zur Kultusgemeinde Kettenbach, die damit die größte im früheren herzoglich-nassauischen Amt Wehen war. Bis ins 20. Jahrhundert hinein gehörten zumeist über 90 Juden der Synagogengemeinde an, von denen 1905 allein 56 in Kettenbach lebten.5

Bis um 1933 sank die Zahl der jüdischen Familien in der Kultusgemeinde auf 15. Diese hielten nach 1935, nachdem sie die Synagoge verkauft hatten, zeitweilig Gottesdienst im Haus des letzten Vorstehers Simon Mayer. Er zog jedoch 1936 nach Wiesbaden, wo er im gleichen Jahr verstarb. 1938 lebten noch etwa neun Juden in Kettenbach, die nach Amerika auswanderten oder in größere Städte wie Frankfurt am Main, Wiesbaden und Bonn verzogen. Während die Synagoge, die ja bereits in nichtjüdischer Hand war, im November 1938 von Verwüstungen verschont blieb, wurden zwei jüdische Wohnhäuser demoliert und die Inneneinrichtungen zerstört. Daraufhin verließen bis zum Jahresende auch die letzten Juden den Ort. Dennoch fielen mindestens 37 aus Kettenbach und Umgebung stammende jüdische Menschen dem NS-Regime zum Opfer.6

Betsaal / Synagoge

Gottesdienst feierten die Juden der Kultusgemeinde schon seit dem frühen 18. Jahrhundert an wechselndem Ort, mal in Kettenbach, mal in Daisbach oder in Rückershausen. Ein separates Synagogengebäude gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht, stattdessen wurden verschiedene jüdische Privatgebäude genutzt. Ein häufig besuchter Betraum befand sich im Wohnhaus des Juden Salomon in Rückershausen, den dieser um 1738 auf eigene Kosten eingerichtet hatte. Als dieses Gebäude 1782 versteigert werden sollte, entschloss sich ein Teil der Kultusgemeinde dazu, das Haus zu kaufen. In ihrem Auftrag erwarb Meier Löw von Rückershausen das Anwesen, dazu nahm er ein Darlehen von 100 Gulden bei dem ortsansässigen Johann Adam Neeb auf. Einige Juden von Kettenbach jedoch, die schon seit Jahren den Gottesdienst in ihren Heimatort verlegen wollten, weigerten sich, anteilig für das geliehene Geld aufzukommen. Um den Gläubiger auszahlen zu können, musste das Haus 1788 wieder versteigert werden. Herz Kettenbach von Rückershausen, Lohnarbeiter im herrschaftlichen Bergwerk, bemühte sich um den Erwerb des Hauses, doch da er keine Sicherheiten bieten konnte, erhielt offenbar ein anderer Käufer den Zuschlag.7

Daraufhin errichteten die Juden zu Rückershausen eine neue Synagoge, die am 28. Juli 1798 förmlich und unter Beteiligung von Spielleuten eingeweiht wurde. Dabei handelte es sich wahrscheinlich nicht um einen Neubau, sondern um ein zu rituellen Zwecken umgebautes Haus. Weil aber diese Synagoge ohne Konsens der Landesregierung eingerichtet worden war, befahl das Oberamt Idstein wenige Tage später die Schließung der Judenschule. Der Schultheiß verriegelte das Gebäude und nahm die Schlüssel vorerst an sich. Da Rückershausen aber bis um 1850 das Kultuszentrum im Kirchspiel Kettenbach blieb und nachweislich über eine Synagoge vor Ort verfügte, steht zu vermuten, dass die Gemeinde die landesherrliche Genehmigung zur Nutzung des 1798 geweihten Gotteshauses nachträglich erhielt. Überliefert ist zudem, dass sich in der Synagoge bis 1812 eine wertvolle Thorarolle befand, eine Leihgabe von Rebecka Abraham aus Rückershausen, die angeblich 500 Gulden gekostet hatte. Ob diese im Zuge der Erbteilung später verkauft wurde oder weiterhin in Händen der Kultusgemeinde blieb, lässt sich nicht feststellen. Um 1843 ging zeitweilig auch eine jüdische Familie aus dem heute rheinland-pfälzischen Allendorf nahe Katzenelnbogen nach Rückershausen zum Gottesdienst, allerdings bestand die Kultusgemeinde darauf, dass die Allendorfer einer anderen Gemeinde zugeteilt würden.8

1851 verkauften die Juden ihre alte, baufällige Synagoge in Rückershausen für 45 Gulden an die Eheleute Johann Philipp I und Maria Elisabetha Muth, die das Gemäuer offenbar abreißen ließen. In diesem Zusammenhang wird das Gebäude beschrieben als 7 Meter langes und 10,5 Meter tiefes Häuschen, gelegen in der Obergasse neben Feist Seemann und Christian Otto. Mit dem Erlös plante die inzwischen zahlenmäßig stärkste Gliedgemeinde Kettenbach den Ankauf eines Bauplatzes für die Errichtung einer neuen Synagoge vor Ort. Darüber entbrannte ein Streit mit den Filialorten, so dass der Plan eines Neubaus verworfen wurde. Vorübergehend wurde ein Betlokal genutzt, das Löb Grünebaum von Kettenbach in seinem Wohnhaus eingerichtet hatte.9

1857 kaufte die Kultusgemeinde dann ein etwa zwei Jahre zuvor errichtetes Haus in der Oberstraße 4 in Kettenbach von Peter Kimpel. Dabei handelte es sich um ein einstöckiges Fachwerkhaus mit Ziegeldach und einer Grundfläche von rund 108 Quadratmetern. Auf dem Hof des Anwesens befand sich ein Stallgebäude von 6 Metern Länge und 9 Metern Tiefe. Über die Ausstattung der Synagoge ist wenig bekannt. Im Kettenbacher Brandkataster von 1875, in dem die Judenschule samt Einrichtung mit einer Versicherungssumme von 1980 Mark taxiert wird, sind neun Sitzbänke für die Männer und eine Empore mit acht Bänken für die Frauen sowie ein Altar verzeichnet.10 Genutzt wurde die Synagoge bis 1935, als die Kultusgemeinde das Gebäude an den Landwirt Georg Ullius von Kettenbach verkaufte. Die Einrichtungs- und Kultgegenstände nahm der Vorsteher Simon Mayer zunächst mit in sein Wohnhaus, der weitere Verbleib des Inventars ist jedoch ungeklärt; möglicherweise wurden die Kultgegenstände in das Verwaltungsgebäude der jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main gebracht und dort 1938 zerstört. Das Synagogengebäude wurde in den 1960er Jahren abgerissen.11

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Angeblich befand sich im Keller der Synagoge in Kettenbach ein rituelles Tauchbad, nähere Angaben dazu sind aber nicht bekannt.12

Schule

In den 1860er Jahren bestand ein Schulverband zwischen den jüdischen Gemeinden Kettenbach, Wehen und Hausen. Gemeinsam verpflichteten die Juden den Lehrer Kahn, der mehrere Jahre lang in den drei Orten wirkte. 1870 löste Wehen sich aus dem Verbund, doch in Hausen und Kettenbach erteilte Kahn weiterhin den Religionsunterricht. Ein eigenes Schulgebäude gab es in beiden Gemeinden nicht, vielmehr dienten die Synagogen oder angemietete Zimmer als Lokal. 1875 gab es in Kettenbach zehn schulpflichtige Kinder, die von Löb Löwenthal vor Ort unterrichtet wurden; zu seinen Schulstunden kamen auch drei Kinder aus Hausen. Des Weiteren waren 1876 Lehrer Fried aus Mogendorf und ab 1883 Lehrer Blum aus Holzhausen in den Gemeinden tätig.13

Cemetery

Die Kultusgemeinde Kettenbach verfügte über keinen eigenen Friedhof. Die Juden aus Kettenbach, Rückershausen und den beiden anderen Filialorten wurden vielmehr auf dem jüdischen Sammelfriedhof im benachbarten nassauischen Burgschwalbach beigesetzt (heute VG Aar-Einrich, Rhein-Lahn-Kreis, Rheinland-Pfalz).14 Auch wenn es in Burgschwalbach zu Anfang des 18. Jahrhunderts vereinzelt Juden gab, heißt es in einer Bestandaufnahme des Friedhofs zum Jahr 1770, dass dort nur Juden aus dem Kirchspiel Kettenbach mit den vier Ortschaften Kettenbach, Rückershausen, Hausen und Daisbach beerdigt wurden. Dabei wird vermerkt, dass der Friedhof schon im Feldbuch von 1680 verzeichnet ist. Zum Jahr 1811 erfolgte eine Erweiterung.15 1864 schloss sich die Judengemeinde Hahnstätten, die vorher ihre Toten in Diez beerdigt hatte, der Friedhofsgemeinschaft an.16 In diesem Zuge dürften dann auch die Juden aus Oberneisen gefolgt sein. Heute sind auf dem Friedhof Burgschwalbach im mittleren Aartal im Grenzgebiet zwischen den Bundesländern Hessen und Rheinland-Pfalz noch 81 Grabsteine seit dem frühen 19. Jahrhundert vorhanden. Die letzte Beerdigung fand dort 1936 für Nathan Meyer aus Holzhausen über Aar (heute Hessische Gemeinde Hohenstein) statt, der Grabstein ist erhalten.

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Indices

Persons

Weilnau, Grafen von · Nassau, Grafen von · Leyen, Herren von der · Galen, Freiherren von · Görschel · Feist Loiser · Aaron · Abraham Lazarus · Joseph Löw, Witwe des · Salomon · Meier Löw · Neeb, Johann Anton · Herz Kettenbach · Rebecka Abraham · Muth, Johann Philipp I · Muth, Maria Elisabetha · Seemann, Feist · Otto, Christian · Grünebaum, Löb · Kimpel, Peter · Ullius, Georg · Mayer, Simon · Kahn, Lehrer · Löwenthal, Löb · Fried, Lehrer · Meyer, Nathan

Places

Daisbach · Hausen über Aar · Rückershausen · Aarbergen · Frankfurt am Main · Wiesbaden · Bonn · Allendorf (Rhein-Lahn-Kreis) · Katzenelnbogen · Wehen · Mogendorf · Holzhausen · Burgschwalbach · Oberneisen

Sachbegriffe Ausstattung

Thorarollen · Altäre

Sachbegriffe Architektur

Fachwerkbauten · Satteldächer · Emporen

Fußnoten
  1. Schmidt, Gericht Kettenbach, S. 224-232
  2. HHStAW 244, 91
  3. Marzi, Judentoleranz, S. 34-36
  4. HHStAW 134, 99; HHStAW 134, 1129
  5. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 443; HHStAW 362/27: Immobilien der jüdischen Gemeinde Kettenbach, Stockbuch Kettenbach, Bd. 1, Artikel 8; HHStAW 244, 1460
  6. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 443; HHStAW 518, 1218 Bd. 1, fol. 167-169
  7. HHStAW 134, 99; HHStAW 134, 169
  8. HHStAW 134, 169; HHStAW 134, 350
  9. HHStAW 244, 91
  10. HHStAW 362/27: Immobilien der jüdischen Gemeinde Kettenbach, Stockbuch Kettenbach, Bd. 1, Artikel 8; Immobilien des Peter Kimpel von Kettenbach, Stockbuch Kettenbach, Bd. 2, Artikel 54; HHStAW 1247, 86. Zur Umrechnung der Maßeinheiten siehe Verdenhalven, Meß- und Währungssysteme. S. 19 f.
  11. HHStAW 518, 1218, Bd. 1, fol. 167-169; Altaras, Synagogen, S. 369
  12. Altaras, Synagogen, S. 369
  13. HHStAW 244, 1460; HHStAW 244, 1241; HHStAW 244, 1094
  14. Gölzenleuchter, Jüdische Spuren, S. 50-52
  15. HHStAW 132, 357
  16. HHStAW 221, 951
Recommended Citation
„Kettenbach (Rheingau-Taunus-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/501> (Stand: 22.7.2022)