Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Höchst im Odenwald Karten-Symbol

Gemeinde Höchst i. Odw., Odenwaldkreis — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1680

Location

64739 Höchst, Wilhelminenstraße 2 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1946

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Seit Einführung der Reformation 1566/69 ist Höchst im Odenwald lutherischer Pfarrort. Einen ersten Hinweis auf jüdische Einwohner gibt es aus dem Jahr 1680, als Joseph, Mausche und Mortge im Ort ansässig waren. Mortge galt als arm, Mausche hatte ein Vermögen in Höhe von 60 Gulden und Joseph eines von rund 120 Gulden.1

1750 wurden die sieben Familien Hertz, Mordge Joseph, Löser Kopel, Mordge Kopel, Borg, Isaac und David genannt, so dass von 25 bis 30 jüdischen Bewohnern ausgegangen werden kann. Dies entsprach etwa 10 Prozent der Gesamtbevölkerung. 1826 erreichte diese Zahl mit 12 Prozent ihren relativen, 1871 mit 189 Personen ihren absolut höchsten Stand. Danach sank sie, lag aber 1933 noch bei über 100 jüdischen Einwohnern. Zur Gemeinde zählten auch die in Mümling-Grumbach und Seckmauern lebenden Juden, später auch die von Hetschbach.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebte der überwiegende Teil der jüdischen Familien vom Handel. Neben einigen Viehhändlern gab es eine bemerkenswerte Anzahl an Seifenhändlern, Hausierern und Lumpensammlern. Jette May verkaufte Konditoreiwaren und Likör, Joseph Siegel Tabakwaren und Samuel Flörsheimer Schreibfedern, Bleistifte, Siegellack, Handschuhe, Sicheln und Sensen.2 Bis in die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen entwickelten sich daraus das Kaufhaus Flörsheimer, sechs Manufakturwarenhandlungen, ein Haushaltswarengeschäft, ein Schuhgeschäft, zwei Metzgereien, eine Eisenwarenhandlung, eine Rechtsanwaltskanzlei, ein Mehl- und zwei Vieh- und Fellhandlungen.3

1898 wurde die Gemeinde Hetschbach der Gemeinde in Höchst angegliedert, nachdem dort die notwendige Anzahl der Männer für den Gottesdienst nicht mehr vorhanden war.

Als großer Mäzen erwies sich der aus Höchst stammende Moses May, der in Frankfurt als Kaufmann tätig war. Er spendete regelmäßig für alle Armen Lebensmittel, unterstützte den Bau der Synagoge und Schule und stiftete der politischen Gemeinde ein Volksbad.

Auch in Höchst setzten vergleichsweise früh antisemitische Tendenzen ein. Schon 1890 plakatierte der Schwerspatmüller und spätere Elektrizitätswerksbetreiber Ludwig Hofferbert, Juden, Hunde und Hausierer hätten keinen Zutritt zu seiner Hofreite.4 1909 wurde die Ortsgruppe Höchst der von Adolf Stoecker gegründeten antisemitischen „Christlich-Sozialen Partei“ eingerichtet.

Nach dem Überfall auf die Synagoge drangen im November 1938 Nationalsozialisten auch in private Wohnungen ein, beschädigten die Einrichtungen und misshandelten deren Bewohner. Einige Männer wurden nach Buchenwald deportiert.

Im März und September 1942 wurden die letzten Juden in das Konzentrationslager Theresienstadt und in Lager in Polen deportiert.

1985 ließ die politische Gemeinde unweit des ehemaligen Standortes der Synagoge auf dem Montmelianer Platz ein Denk- und Mahnmal errichten.

An den Lehrer, langjährigen Leiter des Gesangsvereins Liederkranz und zeitweise Oberchormeister des Odenwald-Sängerbundes erinnert heute die Hermann-Kahn-Straße.

Betsaal / Synagoge

Bis Ende des 18. Jahrhunderts wurde in einem angemieteten Raum Gottesdienst gehalten, ohne dass heute bekannt ist, um welches Haus es sich dabei handelte. Dieser Raum war bis 1795 zu klein geworden, so dass die Gemeinde den Antrag stellte, eine Synagoge bauen zu dürfen und den Fürsten von Wertheim bat, diesen Bau mit einigen Stämmen Bauholz zu unterstützen. Die gesamten Baukosten lagen bei etwa 1.600 Gulden. Mit Beschluss vom 31. Dezember 1796 wurde dieser Bitte entsprochen und vier Baumstämme aus dem Höchster Wald angewiesen. Vermutlich begann der Bau unmittelbar danach und umfasste wohl auch eine Schule. Der Standort war der gleiche, wie der der neuen Synagoge in der Wilhelminenstraße, heute etwa der Platz vor der Volksbank.5

Aus dem Jahr 1863 liegt der Bauplan zur Vergrößerung der Frauenempore vor.6 Ob dieser allerdings ausgeführt wurde, ist unklar.

1870 wurde die Synagoge auf Kosten der israelitischen Gemeinde Höchst mit Mümmling-Grumbach sowohl innen als auch außen wieder in guten Stand versetzt, das heißt renoviert.

Bis 1898 war die Synagoge abermals in schlechten Zustand gekommen, senkrechte Risse durchzogen das Mauerwerk. Nachdem nur provisorisch Abhilfe geschaffen worden war, begann man 1901 mit Planungen für den Neubau. Diese wurden auch genehmigt, zunächst aber nicht ausgeführt, weil es zu Änderungen in der Ausführungsplanung kam. Diese hatte der Darmstädter Brandversicherungsassistent Jakob Fleckenstein vorgelegt. Die straßenseitige Giebelwand wurde durch zwei Ecktürme mit Zwiebelhaube begrenzt. Über dem First erhob sich die Tafel mit den zehn Geboten. Der zur Straße gelegene Eingang, der von zwei gekuppelten Rundbogenfenstern begleitet wurde, wirkte vergleichsweise bescheiden. Dominiert wurde die Fassade durch ein mächtiges, über dem Eingang eingebrachtes, ebenfalls gekuppeltes Rundbogenfenster mit farbigem Glas. Die Traufwände waren durch Strebepfeiler gegliedert, zwischen denen im Erdgeschoss gekuppelte, im Obergeschoss einfache große Rundbogenfenster eingebracht waren. Ein ursprünglich geplanter, der nördlichen Traufseite vorgelagerter Treppenturm, wurde nicht realisiert.

Im Inneren erstreckte sich der große Synagogensaal, über dem sich die Frauenempore erhob. In der Ostwand befand sich der Thoraschrein, der sich ähnlich eines Chores außen vorwölbte. Seitlich neben dieser Vorwölbung setzte der Anbau der Schule an.

Die Baukosten wurden zunächst auf 20.000 Mark taxiert, die teilweise durch Spenden, teilweise durch ein Darlehen aufgebracht werden konnten.7 Sie beliefen sich schließlich aber auf rund 30.000 Mark, von denen der ursprünglich aus Höchst stammende Frankfurter Konfektionär Moses May einen Großteil beisteuerte.

Die Einweihung fand am 12. Februar 1904 unter großer Beteiligung auch der christlichen Bevölkerung statt. Nach dem Abschiedsgottesdienst in dem zwischenzeitlich genutzten Betsaal zog der Festzug zur neuen Synagoge. Er bestand aus der Freiwilligen Feuerwehr, Musikkapelle, Schulkindern, einer Schlüsselträgerin, Ehrendamen, Thorarollenträgern, Rabbiner und Lehrer, dem Vorstand der jüdischen Gemeinde, Behörden, Bürgermeister und Gemeinderäten, örtlichen Vereinen, Gemeindemitgliedern und sonstigen Festteilnehmern. An der neuen Synagoge wurde feierlich der Schlüssel übergeben. Nach dem Abendgottesdienst fand im Hotel Zur Post ein Festkonzert statt. Der folgende Tag begann mit einem Frühgottesdienst morgens um 7:00 Uhr, dem um 9:00 Uhr ein Festgottesdienst folgte. Abends fand im Hotel Zur Post, im Gasthaus Zum Lamm und im Gasthaus Zum Schwanen der Festball statt. Auch am Sonntag fand im Hotel Zur Post ein Ball statt. Während der Feiertage wurde auch koscheres Essen angeboten. Die Festpredigt hielt der Landesrabbiner Dr. Marx aus Darmstadt.8

1922 wurde in einem Nebenraum die Gemeindemikwe eingebaut.

Die Synagoge enthielt 84 Sitzplätze mit Pulten für Männer und 66 Sitzplätze für Frauen. Die Garderobe verfügte über 150 Einheiten. Zudem waren vorhanden ein Thoraschrein mit Altaraufbau, ein Vorlesepult mit Podium, eine Wickelbank und zwei Leuchter, ein Vorleserpult, ein mehrflammiger Kronleuchter, 20 Seitenleuchter, zwei Teppiche, 50 Meter Läufer, ein Schrank für Kultgegenstände, eine Ofenheizung. Schließlich wurden hier die Kultgegenstände aus den Synagogen Pfaffen-Beerfurt und Neustadt aufbewahrt.9

Ähnlich wie in Michelstadt überfiel die SA die Synagoge in Höchst, konnte sie aber wegen ihrer Nähe zu den Fachwerkhäusern in der Nachbarschaft nicht in Brand setzen. Daher zerstörten sie die Inneneinrichtung und warfen die Bänke auf den Marktplatz, um sie dort zu verbrennen. Nachdem der damalige Bürgermeister dieses Vorhaben aus Sicherheitsgründen unterbunden hatte10, brachte man die Gegenstände zum Sportplatz und verbrannte sie dort. Dabei wurden auch die in der Synagoge aufbewahrten Kultgegenstände aus Pfaffen-Beerfurth und Neustadt zerstört. Die Kuppeln über den Ecktürmen der Synagoge waren ebenso entfernt worden wie die Gesetzestafeln, das Dach war durch Brand beschädigt. Während des Zweiten Weltkrieges diente das Gebäude als Raum für Luftschutzübungen. 1946 wurde es niedergelegt.

Weitere Einrichtungen

Weitere Einrichtungen

Nach der Wende zum 20. Jahrhundert wurde der Israelitische Wohltätigkeits- und Lernverein Höchst gegründet. Am 27. Oktober 1913 erfolgte die Gründung des Friedhofsvereines, wenig später die des Israelitischen Armenunterstützungsvereins. An politischen Vereinen bestand der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, die Ortsgruppe Höchst sowie die Ortsgruppe Höchst des Zentralvereins Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens.14

Mikwe

Im 18. und frühen 19. Jahrhundert wird die jüdische Gemeinde, wie andernorts auch, eine Mikwe in einem oder mehreren privaten Gebäuden genutzt haben. Wo genau dies war, ist heute nicht mehr bekannt.

Nachdem sich in den 1820erJahren die Gesetzeslage verändert hatte, taucht der erste Hinweis auf eine gemeindeeigene Mikwe im Jahr 1830 auf, als in die Synagoge ein Bad eingebaut werden sollte. Dazu sollte in das Zimmer vor dem eigentlichen Synagogenraum das Bad mit Heizmöglichkeit, Kessel und Pumpe eingebaut werden. Das Wasser stammte aus einem wenige Meter vor dem Gebäude gelegenen Marktbrunnen. Das eigentliche Bad sollte mit Steinen ausgemauert und mit einem hölzernen Geländer versehen werden. Schwierigkeiten bereitete die Wasserzufuhr. Oft war das Wasser verunreinigt oder der Brunnentrog und die Wasserleitung verstopft. Zeitweise wich man auf einen anderen Brunnen aus, um anschließend wieder auf das Wasser des Marktbrunnens zurückzugreifen, das aber nur nachts zur Verfügung gestellt wurde.

Gleichwohl blieb die Mikwe in der Synagoge kaum nutzbar. Daher stellte Baruch Hermann 1850 das untere Stockwerk seines Wohnhauses in der Groß-Umstädter Straße 21 zur Verfügung, um dort eine Gemeindemikwe einrichten zu lassen. Sie wurde bis 1922 benutzt. Anschließend richtete man in der Synagoge einen entsprechenden Baderaum ein.11

Schule

Seit 1814 wurde in Höchst ein eigener Lehrer beschäftigt. Der Unterricht fand in einem Nebenraum der Synagoge statt. Auch die 1904 errichtete neue Synagoge barg einen Schulraum. Ab 1922 bildeten die Gemeinden Höchst, Groß-Umstadt, Lengfeld, Habitzheim und Ober-Klingen einen Schulverband, der mit Unterstützung der politischen Gemeinde Höchst den Religionslehrer beschäftigte. Für den anderen Unterricht besuchten die Kinder die örtlichen Volksschulen. 1933 wurde der Zuschuss gestrichen.

Steigende Repressalien in den Schulen ließen den Lehrer Kahn 1935 die Gründung einer Privatschule unter dem Namen „Jüdische Bezirksschule“ beantragen, die den gesamten Unterricht übernahm. Sie wurde überwiegend durch die Reichsvereinigung der Juden, die Rosenthal-Stiftung in Beerfelden und Beiträge der Eltern finanziert und am 1. September 1935 eröffnet.

Nachdem der Schulleiter Kahn nach der Pogromnacht Höchst verlassen hatte und bereits zuvor Lehrer ausgewandert waren, stellte die Schule am 10. November 1938 den Unterricht ein.12

Cemetery

1897 hatte die Gemeinde ein Grundstück erworben, um darauf einen Friedhof einzurichten. In einer Beschwerde befürchteten einige Höchster Einwohner, dass dadurch das Wasser eines unweit gelegenen Brunnens verunreinigt werden könnte. Nachdem die politische Gemeinde ihren Zuschuss zu dem Vorhaben von 100 auf 200 Mark erhöht hatte, erwarb die jüdische Gemeinde ein anderes Grundstück. 1898 wurde der Friedhof schließlich eingeweiht. In der ersten Friedhofsordnung war festgelegt, dass der Gemeindevorstand die Reihenfolge der Gräber festzulegen hatte. Die Grabsteine hatten auf der Vorderseite ausschließlich hebräische Inschriften zu tragen. Auf der Rückseite durfte zwar der Name des Verstorbenen, nicht aber dessen Geburts- und Sterbetag in deutscher Schrift angebracht werden. Als erster Verstorbener wurde am 29. Oktober 1899 Hirsch Siegel beigesetzt.

1909 plante die Gemeinde den Bau einer Leichen- und Gerätehalle. Baubeginn sollte aus finanziellen Gründen erst in den Jahren 1915/16 sein. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhinderte schließlich die Ausführung.

Auf dem Friedhof wurden die Verstorbenen aus Höchst, Mümling-Grumbach und Hetschbach bestattet.

Nach der Pogromnacht wurden zahlreiche Steine umgestürzt und Grabflächen verwüstet. 1946 mussten ehemalige lokale Nationalsozialisten Grabsteine und Gräber wieder instand setzen.

1978 kam es abermals zu Schändungen.13

1985 stellte die politische Gemeinde ein Mahnmal für die jüdische Gemeinde auf. Dieses und der Friedhof wurden im September 1987 erneut geschändet, das Mahnmal mit Hakenkreuzen beschmiert.

Höchst (Odenwald), Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Indices

Persons

Joseph · Mausche · Mortge · Hertz · Mordge Joseph · Löser Kopel · Mordge Kopel · Borg · Isaac · David · May, Jette · Siegel, Joseph · Flörsheimer, Samuel · May, Moses · Hofferberth, Ludwig · Stoecker, Adolf · Kahn, Hermann · Wertheim, Fürst von · Fleckenstein, Jakob · Marx, Dr. · Hermann, Baruch · Siegel, Hirsch

Places

Mümling-Grumbach · Seckmauern · Hetschbach · Frankfurt am Main · Darmstadt · Pfaffen-Beerfurth · Neustadt · Groß-Umstadt · Beerfelden · Lengfeld · Habitzheim · Ober-Klingen

Sachbegriffe Geschichte

Christlich-Soziale Partei · Buchenwald, Konzentrationslager · Odenwald-Sängerbund · Höchst im Odenwald, Gesangsverein Liederkranz · Höchst im Odenwald, Jüdische Bezirksschule · Reichsvereinigung der Juden in Deutschland · Rosenthal-Stiftung · Beerfelden, Rosenthal-Stiftung · Pogromnacht · Höchst, Israelitischer Wohltätigkeits- und Lernverein · Höchst, Friedhofsverein · Höchst, Israelitischer Armenunterstützungsverein · Reichsbund jüdischer Frontsoldaten · Zentralverein Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens

Sachbegriffe Ausstattung

Thoraschreine · Pulte · Altaraufbauten · Vorlesepulte · Wickelbänke · Leuchter · Kronleuchter · Seitenleuchter · Teppiche · Läufer · Schränke

Sachbegriffe Architektur

Ecktürme · Zwiebelhauben · Gesetzestafeln · Rundbogenfenster · Strebepfeiler · Treppentürme · Frauenemporen · Chöre

Fußnoten
  1. Guth/Lammer, 2006, S. 87.
  2. Litt, 1988, S. 42.
  3. Litt, 1988, S. 55.
  4. Guth/Lammer, 2006, S. 148.
  5. Litt, 1988, S. 114.
  6. HStAD P 11, 356.
  7. Pläne in: HStAD P 11, 355/1-13.
  8. Litt, 1988, S. 130.
  9. HHStAW 518, 1437.
  10. Guth/Lammer, 2006, S. 221.
  11. Litt, 1988, S. 83.
  12. Litt, 1988, S. 144.
  13. Litt, 1988, S. 204.
  14. Litt, 1988, S. 155.
Recommended Citation
„Höchst im Odenwald (Odenwaldkreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/98> (Stand: 22.7.2022)