Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Hergershausen Karten-Symbol

Gemeinde Babenhausen, Landkreis Darmstadt-Dieburg — Von Georg Wittenberger
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1604

Location

64832 Babenhausen, Ortsteil Hergershausen, Tränkgasse 2 | → Lage anzeigen

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1938

Art des Verlusts

Zerstörung

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

In Hergershausen sind bereits 1604 Juden nachweisbar. Der Jude Lew von Hergershausen wurde 1616 ausweislich der Dieburger Stadtrechnungen wegen Beleidigung zu einem Bußgeld verurteilt.1 1688 verfügten die Herren von Groschlag zu Dieburg – Hergershausen war wie Sickenhofen Groschlagsches Lehen –, dass nur eine geringe Anzahl in beiden Dörfern geduldet werden sollte.

Im Jahre 1819 lebten in Hergershausen elf jüdische Familien. Wenig später lag der jüdische Bevölkerungsanteil bei etwa 21 Prozent: 1830 waren 122 von 510 Einwohnern jüdisch. 1871 wurden 105 jüdische Einwohner erfasst. Jetzt begann eine Abwanderung in die Städte und auch eine Auswanderung in die USA. 1905 zählte der Ort noch 77 Juden. Die Familien lebten vornehmlich vom Geflügel-, Vieh- und Pferdehandel. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg siedelten einzelne Geflügelzüchter und -händler nach Groß-Zimmern um. Zwei in Hergershausen geborene jüdische Einwohner fielen im Ersten Weltkrieg: Adolf Strauß am 19. Mai 1916 in Frankreich und Abraham Kahn, der zuletzt in Dieburg wohnhaft war, am 10. Oktober 1914.2 Aus den Unterlagen der Volkszählungen3 vom 1. Dezember 1910 und 16. Juni 1925 ergeben sich folgenden Zahlen: 1910: 642 Protestanten, 14 Katholiken, 69 Juden; 1925: 631 Protestanten, 33 Katholiken, 70 Juden, 1 sonstiger Christ. 1933 war die Zahl der Juden auf 31 zurückgegangen, 1938 lebten noch sieben Juden in Hergershausen. Der Pferdehändler Daniel Siegel II. war der letzte, der mit seiner Familie im März 1939 Hergershausen verließ.

Betsaal / Synagoge

Es muss wohl schon lange ein Betsaal oder eine Synagoge vorhanden gewesen sein, da bereits 1767 eine Judenschule erwähnt wird. Im Jahre 1869 wurde eine neue Synagoge, ein einstöckiger Fachwerkbau mit einem Krüppelwalmdach, errichtet. Kenntnis davon gibt es durch eine Anzeige im „Starkenburger Provinzial-Anzeiger – Dieburger Kreisblatt“ vom 18. September 1869, ferner nochmals durch Anzeigen am 22. und 25. September, in denen für Montag, 27. September, bei Gastwirt Hägny zu Nachfeier der Einweihung der israelitischen Synagoge zu Hergershausen eingeladen wird.4

In der Synagoge – sie befand sich in der Bachgasse, auch Tränkgasse 2 genannt – waren 38 Männer- und 20 Frauenplätze. Auch ein rituelles Bad war vorhanden. In der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 13. Oktober 1884 wird von dem nach Amerika ausgewanderten Ehepaar Joseph Götz berichtet, das bei einem Besuch ihrer Eltern im Heimatdorf unter anderem für die Synagoge ein Parochet, eine Schulchan-Decke für das Vorlesepult sowie ein Thoramäntelchen spendete.

Herta Ben Shlomo, geb. Stern erinnert sich an das Gemeindeleben in Hergershausen, das harmonisch gewesen sei. Zur Synagoge schreibt sie: „Vom Hof aus ging man in zwei separate Räume, einen größeren für die Männer mit dem Altar und dem Thoraschrein, einen kleinen für die Frauen. Die Gemeindemitglieder kauften und bezahlten jedes Jahr ihre Plätze. Der Vorbeter war auch unser Religionslehrer, der uns Mittwoch und Sonntag Nachmittag unterrichtete. Er bereitete auch die Knaben für die Bar Mizwa vor. Bei der Synagoge befand sich auch ein Ritualbad für die Frauen.“5 Und ihre Schwester Irene Cohen, geb. Stern nennt die Synagoge „ein würdiges bescheidenes Gotteshaus“.

Bis zum Jahre 1938 fanden in der Synagoge regelmäßig Gottesdienste statt.6

Zwar fehlt Hergershausen in dem „Erfolgsbericht“ vom 11. November 1938 im Bereich der Standarte 186, von Augenzeugenberichten wissen wir jedoch, dass in der Pogromnacht die Synagoge zerstört und später von der Hergershäuser Feuerwehr abgetragen wurde. Kommandant der Feuerwehr von 1936 bis 1945 war Philipp Hägny. Heinrich Klein, später Landrat in Kreis Dieburg und danach SPD-Bundestagsabgeordneter, der aus Hergershausen stammt, erinnert sich als Zeitzeuge an eingeschlagene Scheiben, zerstörte Sitzbänke und fehlende Türen. Die Bücher und Schriften seien auf der nahegelegenen Bachwiese aufgeschichtet und angezündet worden. Hauptsächlich auswärtige SA- und SS-Leute sollen an der Zerstörung beteiligt gewesen sein.7

Bürgermeister Klein meldete am 30. September 1939 auf eine entsprechende Anfrage an den Landrat: „Die hier niedergelegte Synagoge ist ordnungsgemäß geräumt. Räumungskosten wurden von den noch hier wohnhaften gewesenen Juden bezahlt. Das Grundstück erwirbt die Gemeinde.“8 Zu dem gemeindlichen Erwerb ist es nicht gekommen. Am 7. Juni 1942 fragt nämlich Ludwig Katz, Kaufmann in Dieburg, Steinstraße 55, beim Bürgermeister in Hergershausen an: „Im Auftrag der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland frage ich bei ihnen an, ob sie für die Erwerbung des Synagogengrundstückes noch Interesse haben; wenn ja, bitte ich um Angabe eines Preisangebotes.“9 Das Grundstück wurde zwischen 1947 und 1949 von einem Privatmann von einer Frankfurter jüdischen Vereinigung erworben.10 Es wird teilweise bebaut.

Im Rahmen der Dorferneuerung gab der „Arbeitskreis Dorferneuerung Hergershausen“ eine Gedenktafel in Auftrag Sie wurde am 29. Oktober 2006 an dem Haus mit dem Ladengeschäft, das teilweise auf dem Grundstück der ehemaligen Synagoge erbaut wurde, von Rabbiner Mendel Gurewitz und dem Hergershäuser Ortsvorsteher Horst Grimm enthüllt.11 Die Tafel hat einen deutschen und einen hebräischen Text.

Weitere Einrichtungen

Schule

In der Gemeinde war ein Religionslehrer angestellt, der zugleich Vorbeter war. Letzter Lehrer, Kantor und Schächter seit 1922 war der 1893 in Minsk (Lubez) geborene Ascher Schmulowitz (Oszer Ancel Szmulowitz), der sich mit seiner Familie am 27. Juli 1933 nach Arnheim abmeldete. Er wurde am 19. Februar 1943 in Auschwitz ermordet.12

Cemetery

Die Verstorbenen von Hergershausen wurden zunächst auf dem jüdischen Friedhof in Dieburg beigesetzt. In den Stadtrechnungen finden sich Einträge bis 1685.13 Danach wurden die Toten auf dem neu angelegten jüdischen Friedhof in Sickenhofen begraben.

Dieburg, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Sickenhofen, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Dieburg, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Lew · Groschlag zu Dieburg, Herren von · Strauß, Adolf · Kahn, Abraham · Siegel II., Daniel · Götz, Joseph · Ben Shlomo, geb. Stern, Herta · Cohen, geb. Stern, Irene · Hägny, Philipp · Klein, Heinrich · Katz, Ludwig · Gurewitz, Mendel · Grimm, Horst · Schmulowitz, Ascher · Szmulowitz, Oszer Ancel

Places

Dieburg · Sickenhofen · Groß-Zimmern · Amerika · USA

Sachbegriffe Geschichte

Erster Weltkrieg · Bar Mizwa · Pogromnacht · Reichsvereinigung der Juden in Deutschland · Hergershausen, Arbeitskreis Dorferneuerung

Sachbegriffe Ausstattung

Parochets · Schulchan · Vorlesepulte · Thoramäntel · Gedenktafeln

Sachbegriffe Architektur

Krüppelwalmdächer · Fachwerkbauten

Fußnoten
  1. Franz/Wiesner 2009
  2. Gedenkbuch 1932
  3. Gemeindeverzeichnis 1927
  4. Starkenburger Provinzial-Anzeiger 1869; Wittenberger 1988
  5. Schreiben von Herta Ben Shlomo vom 11.10.1987
  6. Arnsberg 1972
  7. Klein 1988
  8. HStAD G 15 Dieburg L 10
  9. HStAD G 15 Dieburg L 21
  10. Hinweise von Ekke Feldmann in Lötzsch/Wittenberger 1988
  11. Offenbach-Post v. 31.10.2006; Main-Echo v. 31.10.2006
  12. Mitteilung von Dave Gerressen vom 25.2.2013
  13. Franz/Wiesner 2009
Recommended Citation
„Hergershausen (Landkreis Darmstadt-Dieburg)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/99> (Stand: 22.7.2022)