Synagogen in Hessen
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- 5723 Altengronau
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- Kurfürstentum Hessen 1840-1861 – 103. Altengronau
Altengronau
- Gemeinde Sinntal, Main-Kinzig-Kreis — Von Wolfgang Fritzsche
- Basic Data ↑
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Juden belegt seit
13. Jahrhundert
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Location
36391 Sinntal, Ortsteil Altengronau, Frankfurter Straße 3 | → Lage anzeigen
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Rabbinat
Hanau
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preserved
ja
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Gedenktafel vorhanden
nein
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Weitere Informationen zum Standort
- History ↑
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Altengronau, heute ein Ortsteil der Gemeinde Sinntal, wurde schriftlich erstmals in einer Urkunde erwähnt, die in das zehnte Königsjahr Karls des Großen datiert. Unterschiedliche Interpretationen verweisen auf die Jahre 777/778 oder 780. Seit dem 14. Jahrhundert waren die Herren von Hutten Gerichtsherren des Gerichts Altengronau. Über die Grafen von Hanau-Münzenberg kam der Ort 1736 an die Landgrafen von Hessen-Kassel und gehörte ab 1821 zum Landkreis Schlüchtern. 1974 wurde Altengronau Ortsteil der Gemeinde Sinntal und nach Auflösung des Kreises Schlüchtern Teil des Main-Kinzig-Kreises.
Auch wenn die jüdische Gemeinde Altengronau bereits um 1100 bestanden haben soll, liegen über sie nur spärliche Nachrichten vor. So wanderten im 13. Jahrhundert Juden mit dem Namen Münz aus Frankreich ein, und 1349 flohen nach den Judenverfolgungen Mitglieder der Gemeinde Steinau nach Altengronau, respektive wurden auf dem dortigen Friedhof bestattet.1
Als sich Juden zu Beginn des 19. Jahrhunderts bürgerlichen Namen geben mussten, wählten sie überwiegend Goldschmidt, Guntersheimer, Strauß, Kahn, Heß, Freud und Ehrlich.2
1835 lebten 32 jüdische Einwohner im Ort. Ihre Zahl stieg über 44 im Jahr 1885 auf 51 in 1905, was gleichzeitig den höchsten Stand darstellt.
Weit über die Gemeinde hinaus bekannt war Raphael Levi. Geboren 1854 als Sohn einer berühmten Gelehrtenfamilie ließ er sich zum Thoraschreiber ausbilden. Als er 1926 verstarb, wurde er unter großer Anteilnahme auf dem Altengronauer Friedhof bestattet, dessen Verwaltung er ebenfalls innegehabt hatte.3
Die Gemeinde bestand in den 1930er Jahren aus zehn Familien mit insgesamt etwa 30 bis 35 Personen. Sie betrieben überwiegend Handel. Die Mehrzahl lebte in ärmlichen Verhältnissen. Nur das Geschäft der Brüder Benjamin und Salomon Münz hatte einen größeren Umfang.4
Im Zuge der Novemberpogrome kam es zu Ausschreitungen unter anderem der örtlichen SA gegen Personen und Haushalte. Dabei verlor Salomon Münz sein Leben. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden Beteiligte angeklagt. Nach der Urteilsverkündigung titelte die Fuldaer Volkszeitung „Altengronauer Kristallnacht fand Sühne“. Dem Artikel zufolge hatte die große Strafkammer Hanau gegen die früheren SA-Männer Sachs, Schüßler, Ullrich, Heiß, Gärtner, Christiner, Walther, Steinhäuser und Kraus aus Altengronau sowie Krapp und Dunkel aus Bad Brückenau verhandelt. Krapp, Dunkel, Steinhäuser und Kraus wurden nach der Beweisaufnahme amnestiert. Sachs als ehemaliger SA-Führer erhielt ein Jahr Gefängnis, Ullrich und Heiß jeweils acht bzw. neun Monate Haft. Die übrigen Beklagten fielen ebenfalls unter die Amnestie. Die Staatsanwaltschaft hatte vor allem gegen Sachs eine höhere Strafen gefordert, weil dieser Befehlshaber der Aktion gewesen war, bei der Salomon Münz ums Leben kam.5
- Betsaal / Synagoge ↑
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Die Synagoge in Altengronau befand sich in dem Haus Frankfurter Straße 3, einem zweigeschossigen Fachwerkbau mit bemerkenswert flachem Satteldach, das 1717 errichtet worden war.6 Es stand seit seiner Erbauung in jüdischem Besitz und gehörte um 1900 Benjamin und Salomon Münz. Der Betraum war zuletzt etwa 15 Quadratmeter groß.7 Er lag im Erdgeschoss in dem von der Straße abgewandten Gebäudeteil. Für die Frauen wurde ein getrenntes Abteil vorgehalten. Im vorderen Bereich lagen zwei Geschäftsräume, zwischen denen sich der Zugang zum Betraum befand.8
Als das Gebäude nach Auflösung der Gemeinde verkauft wurde, bestand die Einrichtung aus einigen Holzbänken und einem pultartigen Tisch. In einem in die Wand eingelassenen, etwa 100 x 80 cm großen Schrank befanden sich Gebet- und Gesangsbücher. Mitte Oktober 1938 wurde das Gebäude von den verbliebenen Gemeindemitgliedern geräumt und an eine Privatperson verkauft, weshalb es während der Novemberpogrome 1938 unbeschädigt blieb.9
Einige Kultgegenstände waren zuvor in die Synagoge nach Schlüchtern verbracht worden, wo sie in der Pogromnacht der Zerstörung anheimfielen. Dazu gehörten drei Thorarollen, drei goldbestickte Thoramäntel und drei handbemalte Wimpel.10
- Weitere Einrichtungen ↑
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Mikwe
Die Mikwe lag in dem hinter dem Synagogengebäude befindlichen Hofraum, war aber lange vor 1933 nicht mehr in Gebrauch.11
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Schule
Zumindest zeitweise wurde in Altengronau auch Unterricht erteilt. Den spärlichen Überlieferungen ist zu entnehmen, dass nur wenige Kinder schulpflichtig waren. 1887 hieß es, dass bereits seit mehr als 30 Jahren der Vorsänger den Unterricht erteilte.12 Dieser fand vermutlich ebenfalls im Haus Frankfurter Straße 3 statt.
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Cemetery
Der Friedhof in Altengronau liegt rund 500 Meter südöstlich der Dorfmitte auf dem Grauberg.
Er wurde im 16./17. Jahrhundert gegründet und gilt heute als der zweitgrößte jüdische Landfriedhof Hessens. Erstmals soll er 1661/62 genannt worden sein. Auf einer Fläche von 8.887 Quadratmetern haben sich 1.498 Grabsteine erhalten. Dabei stammt der älteste aus dem Jahr 1684, der Jüngste von 1937. Im 19. Jahrhundert erstreckte sich der Friedhof über zwei Staaten des Deutschen Bundes, das Kurfürstentum Hessen-Kassel und das Königreich Bayern.
Vermutlich wegen seiner abgeschiedenen Lage hat der Friedhof die Zerstörungswut während der NS-Zeit weitgehend unbeschadet überstanden. Das Totenhäuschen (Tahara-Haus) birgt noch heute einen steinernen Tisch zum Waschen der Verstorbenen. Die Bauinschrift im Türsturz lautet “SLMZ 1838 ISRT“, was ausgeschrieben bedeutet „Samuel Münz 1838 Israelitischer Totenhofverband“ und verweist nicht auf das Baujahr des Hauses, sondern auf eine Neueindeckung. Das Haus selbst stammt wenigstens aus dem 18. Jahrhundert.
Der alte Teil des Friedhofs ist von einer Mauer eingefasst, der neuere durch einen Maschendrahtzaun. Hier bestatteten die Gemeinden aus Altengronau, Bad Brückenau, Burgsinn, Heubach, Lohrhaupten, Mittelsinn, Oberzell (Zell), Rieneck, Sterbfritz, Uttrichshausen, Völkersleier, Zeitloffs und Züntersbach ihre Toten. Erweiterungen des Terrains erfolgten 1721, 1741, 1757, 1805/06 und 1877/78.
Die älteren, meist recht kleinen Steine fallen durch ihre vergleichsweise feinen Schmuckelemente, wie beispielsweise kleine Vögel, auf. Äußerst ungewöhnlich ist, dass um 1800 die Grabsteine zumindest teilweise farbig gestaltet waren.13 Auf dem Friedhof findet sich auch noch der Grabstein des Jidle, Sohn des Menachem (verst. 3.6.1782), der laut Grabinschrift der Gemeinde einen Wohnraum seines Hauses als Gebetsraum zur Verfügung gestellt hatte.
Am 24. Juli 1948 schändeten drei Jungen im Alter zwischen 6 und 9 Jahren den Friedhof. Da dies als Dummer-Jungen-Streich gewertet wurde und ihre Väter als politisch unbelastet galten, wurden sie nicht weiter belangt.14
Am 21. März 2004 enthüllte die Gemeinde hier zwei Gedenktafeln. Die eine, an der Außenmauer des Totenhauses, erinnert an die jüdischen Bewohner in den Gemeinden Sterbfritz, Oberzell, Züntersbach und Altengronau. Die andere Tafel steht auf einem Sockel unmittelbar neben dem Totenhaus und enthält die Namen von 33 der 93 im Holocaust ermordeten Juden aus Sterbfritz. Sie entstand auf Initiative und auf Kosten von Henry Schuster, der, in Sterbfritz geboren wurde.15
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Grabstätten
- References ↑
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Weblinks
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Sources
- Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW):
- HHStAW Best. 503, Nr. 7366: Entschädigungsansprüche der jüdischen Gemeinden im Regierungsbezirk Wiesbaden. Band 11: Gebäude der jüdischen Kultusgemeinde in Schlüchtern (darin auch: Zerstörung von Kultgegenständen aus der Synagoge in Altengronau), (1932-1933) 1960-1962
- HHStAW Best. 518, Nr. 1175: Entschädigungsakte Jüdische Gemeinde Schlüchtern (enth. Aufstellung der aus der Synagoge Altengronau ausgelagerten Kultgegenstände), 1954-1962
- HHStAW Best. 660, Nr. 43: Leichenschau und Instandhaltung der Friedhöfe, 1940, 1944, 1946-1953
- HHStAW Best. 660 Nr. 487: Verwaltungsangelegenheiten der Städte und Gemeinden, Allgemeines. Altengronau Band 1, 1938-1957
- Hessisches Staatsarchiv Marburg (HStAM):
- HStAM Best. 166, Nr. 3844: Israelitische Religionsschule Altengronau, 1887-1916
- HStAM Best. 180 Hanau, Nr. 6028: Israelitische Gemeinden der Kreise Gelnhausen und Schlüchtern, 1913-1922
- HStAM Best. 180 Schlüchtern, Nr. 511: Totenhof der Israeliten zu Altengronau, insbesondere dessen Beibehaltung und dessen Vorsteher, 1851-1866
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Bibliography
- Alicke, Klaus-Dieter: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. Gütersloh 2008
- Altaras, Thea: Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen – Was geschah seit 1945? 2. Aufl. Königstein im Taunus 2007, S. 324-325
- Arnsberg, Paul: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang. Untergang. Neubeginn, 2 Bde. Frankfurt a.M. 1971/1972, hier: Band 1, S. 35
- Elm, Hans: Chronik und Festschrift zur 1200-Jahr-Feier. Sinntal 1980
- Euler, Wilhelm: “Gedenke, dass wir Staub nur sind“. Israelitischer Totenhofverband in Altengronau. In: Bergwinkel-Bote 37, 1986, S. 36-40
- Heinemann, Hartmut: Alte jüdische Sammelfriedhöfe aus Hessen im Vergleich. In: Friedhöfe in Deutschland. Kulturerbe entdecken und gestalten. Kassel 2015, S.118-126
- Kühnert, Alfred: Symbole auf Grabsteinen des Judenfriedhofs in Altengronau. In: Bergwinkel-Bote 28 (1987), S. 70-72
- Kühnert, Alfred: Die Synagogengemeinde Altengronau. In: Bergwinkel-Bote 40 (1989), [S. 13]
- Müller-Marschhausen, Ernst / Müller, Thomas. Der Judenfriedhof in Altengronau. In: Bergwinkel-Bote 57 (2006), S. 37-43
- Schwierz, Israel: Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Bamberg 1988
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Illustrations
- Indices ↑
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Persons
Karl der Große · Hutten, Herren von · Hanau-Münzenberg, Grafen von · Hessen-Kassel, Landgrafen von · Münz · Goldschmidt · Guntersheimer · Strauß · Kahn · Heß · Freud · Ehrlich · Levi, Raphael · Münz, Salomon · Münz, Benjamin · Sachs · Schüßler · Ullrich · Heiß · Gärtner · Christiner · Walther · Steinhäuser · Kraus · Krapp · Dunkel · Schuster, Henry
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Places
Sinntal · Frankreich · Steinau · Hanau · Bad Brückenau · Schlüchtern · Burgsinn · Heubach · Lohrhaupten · Mittelsinn · Oberzell · Zell · Rieneck · Sterbfritz · Uttrichshausen · Völkersleier · Zeitloffs · Züntersbach
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Sachbegriffe Geschichte
Novemberpogrome · Zweiter Weltkrieg · Deutscher Bund · Hessen-Kassel, Kurfürstentum · Bayern, Königreich
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Sachbegriffe Ausstattung
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Sachbegriffe Architektur
- Fußnoten ↑
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- Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 35 ↑
- HStAM 82 Hanau, 878 ↑
- Ortsartikel Altengronau auf Alemannia Judaica (s. Weblink) ↑
- HHStAW 518, 1175 ↑
- Fuldaer Volkszeitung vom 9. Februar 1951. In: HHStAW 660, 487 ↑
- Altaras 2007, S. 325 ↑
- HHStAW 503, 7366 ↑
- Altaras 2007, S. 324 ↑
- HHStAW 503, 7366 ↑
- HHStAW 518, 1175 ↑
- Altaras 2007, S. 325 ↑
- HStAM 116, 3844 ↑
- Heinemann 2015 ↑
- HHStAW 660, 43 ↑
- Müller-Marschhausen/Müller, Judenfriedhof Altengronau, S. 42 ↑
- Recommended Citation ↑
- „Altengronau (Main-Kinzig-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/183> (Stand: 25.8.2022)