Contemporary History in Hessen - Data · Facts · Backgrounds

US-Soldaten mit Fahrzeugen beim Manöver Reforger '83 in Stockheim (Vogelsbergkreis), 1983

Panzer der US-Armee verwüsten Naturschutzgebiete im Vogelsberg, 26.-29. September 1983

Im Rahmen des alljährlichen REFORGER-Großmanövers der NATO-Streitkräfte in der Bundesrepublik¹ verwüsten etwa 100 Panzer der US-Streitkräfte die Naturschutzgebiete „Forellenteiche“ und „In der Breungeshainer Heide“ im Vogelsbergkreis. Das 1974 als Naturschutzgebiet (NSG) ausgewiesene Hochmoor In der Breungeshainer Heide (Fläche 62,8 Hektar; Gemeinden Herbstein, Lautertal, Schotten und Ulrichstein) und das NSG Forellenteiche (heute: Oberes Niddatal / Forellenteiche in der Gemeinde Schotten; Fläche 131,3 Hektar) sind Teil des Naturparks Hoher Vogelsberg, der als erster seiner Art in der Bundesrepublik Deutschland bereits 1956 – damals noch unter der Bezeichnung „Landschaftsschutzgebiet Hoher Vogelsberg“ – eingerichtet wurde. Ein Schadensbericht der Außenstelle der Oberen Naturschutzbehörde (AONB¹) Gießen, der wenige Tage nach Ende des Manövers veröffentlicht wird, liefert eine Beschreibung über das Ausmaß der von den Kettenfahrzeugen angerichteten ökologischen Schäden. Auf großen Wiesenteilen im NSG [Forellenteiche] waren breite Fahrspuren zu sehen, durch Kurvenfahren war die Grasnarbe an vielen Stellen heruntergerissen und lag nun um 40 Zentimeter versetzt neben der Fahrspur. In dem Naturschutzgebiet, das Pflanzengesellschaften mit einigen äußerst seltenen Arten eine Heimat bietet, haben die US-Panzer den Boden zum Teil deutlich sichtbar um mehrere Zentimeter zusammengedrückt. Das bedeutet, dass das Bodengefüge erheblich gelitten hat. Wir haben es mit einer einschneidenden Standortveränderung zu tun, auf welche die vorhandene Lebensgemeinschaft reagieren wird. Der Bericht gelangt zu dem Schluss, dass im Bereich des NSG „Forellenteiche“ davon auszugehen sei, dass dem Naturschutzgebiet ein irreparabler Schaden zugefügt wurde. Die von der AONB Gießen im benachbarten Naturschutzgebiet „Breungeshainer Heide“ ermittelten Schäden sind ähnlich gravierend. Der dortige Standort des gefährdeten Scheiden-Wollgrases (Eriophorum vaginatum)³, ein Bereich höchster Schutzwürdigkeit, wurde von den Panzerfahrzeugen erheblich in Mitleidenschaft gezogen: Auch hier haben wir es auf absehbare Zeit mit einem irreparablen Schaden zu tun.⁴
(KU)

1. REFORGER = Return of Forces to Germany (Rückkehr von Streitkräften nach Deutschland). ↑
2. Die Abkürzung AONB wird im Kontext des Landschaftsschutzes in Großbritannien auch als Kürzel für <i>Area of Outstanding Natural Beauty</i> gebraucht. ↑
3. Das Scheiden-Wollgras (auch: Moor-Wollgras, Scheidiges Wollgras oder Schneiden-Wollgras) ist in Deutschland nicht gesondert geschützt, gilt aber heute in elf Bundesländern als gefährdete Art. Der zur Familie der Sauergrasgewächse (Cyperaceae) gehörende Pflanze wächst auf nährstoffarmen, sauren Moorböden wird eine bedeutsame Rolle bei der Renaturierung von industriell abgetorften Flächen zuerkannt. Vgl. Wikipedia: Scheiden-Wollgras (Stand: 23.6.2012). ↑
4. Wieland Schnedler, Schadensbericht der AONB Gießen, 5. Oktober 1983, zitiert nach Knut Krusewitz, Umweltkrieg. Militär, Ökologie und Gesellschaft, Königstein/Ts. 1985, S. 56 f. ↑