Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Fritz Sames, Das Landwehr-Infanterie-Regiment 81 in den Vogesen, 1914

Abschnitt 15: Gefechtsvorbereitungen

[14-15] Der Scharrachberg wurde am meisten dadurch in Mitleidenschaft gezogen, so sehr, daß sich sogar sein Landschaftsbild jäh veränderte. Schon waren seine schönen Reben von Schützengräben durchpflügt. Jetzt beschnitt man sogar seine Silhouette. Das Wäldchen, das sein Gipfel schmückte, wurde zur Hälfte umgelegt, „damit die dahinter ausgestellten Kanonen besseres Schußfeld bekämen". Aber noch mehr. Weit ins Land hineinblickend hatte droben das „Scharrachberg-Hotel" bisher den Wanderern eine prächtige Umschau auf die gesegneten Gauen des Elsaß und die Bergwelt drüben gewährt. Jetzt mußte es fallen, um nicht der französischen Artillerie zum Richtpunkte zu dienen. Der überraschte Wirt bekam die Summe von Mk. 28 000 aus der Staatskasse angewiesen, und schon begann das Werk der Vernichtung. Alles, was auf dem Berg an Infanterie, Artillerie und Pionieren lag, beteiligte sich daran. Erst prasselten die Ziegel von dem Gebäude, dann flogen Bilder, Betten, Spiegel, Kommoden durch die Fenster, und das zusehends niedriger werdende Haus hüllte sich in den Staub seiner stürzenden Wände. Während die Dachbalken herunterbrachen, spielte ein Landwehrmann auf dem Klavier, das man auf den Hof getragen hatte, die alte Weise:

Muß i denn zum Städtle hinaus".

Das Instrument wurde am gleichen Tage von einem Pionier-Hauptmann an den Schlüsselwirt von Dahlenheim gegen ein fettes Schwein eingetauscht. Auch die mit dem Abbrechen Beschäftigten kamen auf ihre Kosten. Sie schleppten die Bierfässer aus dem Keller zwischen die Weinreben. Waren sie geleert, so ließ man sie mutwillig den steilen Hang hinabspringen, wo sie sich durch die knackenden Rebstöcke Bahn brachen.

Die armen Bauern von Dahlenheim sahen mit Bangen diese Zurüstungen zum Kampf. Ihr Dorf duckte sich zwar hinter die schützende Seite des Scharrachberges, doch erhielten sie von einigen Alleswissern die bündige Erklärung, daß das Nest bis spätestens übermorgen von den Franzosen kurz und klein geschossen sei. Wer es nicht glaubte, wurde überzeugt, als er sah, wie die Regimentsärzte mit ernsten Mienen die Kirche umschritten, um den gegen einschlagende Granaten sichersten Winkel des Kirchgartens zu ermitteln. Dort sollte der Verbandsplatz hinkommen. Die Verwundeten hatte man vor, in die Kirche zu legen. Vor der Kirchtüre [S. 15] hatte sogar ein übereifriger Arzt der im Orte quartierenden Artillerie einen Tisch sauber gedeckt. Darauf lagen Instrumente; Schüsseln mit Wasser standen daneben. Es konnte also losgehen.

Es war Sonntag den 16. August. Die verängstigten Frauen drängten sich in die Kirche. Der Pfarrer von Dahlenheim stand vor dem Gottesdienste in seinem Gärtlein und schaute betrübt zu seinem Gotteshause hinüber. Der stattliche Turm würde wohl zuerst verderbt werden. Gestern Abend hatte er noch fröhlich seinen Quartiergästen aus seinem guten Weinkeller Bescheid getan, hatte eine Lanze für die Elsässer gebrochen, die zum Teil sogar mit Begeisterung dem Kriege gegenüberständen. Heute hatte er keine Gedanken für politische Betrachtungen, und die Falten der Sorge lagen auf seinem rundlichen Antlitz. Er schritt zu seiner versammelten Gemeinde hinüber. Noch nie hatte er sie so vollzählig um sich geschart und so voller Not an seinen Lippen hängen sehen, als an jenem Morgen.

Doch nicht jedes Gewitter muß sich entladen, siehe es auch noch so drohend am Himmel. Starke Truppenteile zogen mittags durch Dahlenheim, man erkannte darunter das 40. und 142. Regiment, die bei Mülhausen gefochten.

Sie marschierten nach Wasselheim. Abends rückten die 99er im Dorfe ein. Es waren das 14. und 15. Korps, die sich um Wasselheim zusammengezogen. So war diese Ausbruchstelle den Franzosen verriegelt. Auch vom Süden her erfolgte kein Angriff. Wie es sich herausstellte, waren die Franzosen bei Mülhausen von Neuem derartig geschlagen worden, daß sie ihr Vorgehen gegen das untere Elsaß aufgeben mußten. So kam der Plan, stärkere französische Kräfte auf Straßburg vorzulassen und dann erst anzugreifen, nicht zur Durchführung. Dem Elsaß ist dadurch der verwüstende Tritt des Krieges erspart worden. Der Pfarrer von Dahlenheim aber brauchte in seiner Chronik bloß zu vermerken, daß sein Dörflein gnädiglich von Kriegswut bewahrt und nur ein Ausfall an Scharrachbergwein zu beklagen sei, — schmerzlich zwar, so doch erträglich. . .


Personen: Sames, Fritz
Orte: Dahlenheim · Mülhausen · Scharrachberg · Straßburg · Wasselheim
Sachbegriffe: Bierverbrauch · Gottesdienste · Hotel · Kirche · Landschaft · Landwehr-Infanterie-Regiment 81 · Lied · Lazarett · Schützengräben · Weinberge · Zerstörung
Empfohlene Zitierweise: „Fritz Sames, Das Landwehr-Infanterie-Regiment 81 in den Vogesen, 1914, Abschnitt 15: Gefechtsvorbereitungen“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/47-15> (aufgerufen am 26.04.2024)