Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Jakob Ebersmann, Berichte aus der Heimat in den Dieburger Feldbriefen, 1915-1917

Abschnitt 49: Einführung von Brot- und Fleischkarten, Mangelwirtschaft

[Nr. 49] Feldbrief vom 11. Juni 1916

In Dieburg sind schon seit 16. März 1916 Brotkarten eingeführt. Diese Einrichtung hat sich hier wie sonstwo gut bewährt. Es wird dadurch wenigstens verhindert, daß manche Leute darben müssen, während andere hinreichend mit Brot versorgt sind. Die Reichen erhalten nicht mehr als die Armen und wenn sie auch noch so viel dafür bezahlen wollten. Ja, der arme Arbeiter ist eigentlich besser dran als der Reiche; denn er erhält wegen anstrengender körperlicher Arbeit, wo es irgendwie gemacht werden kann, Brotzusatzkarten.

Seither konnte man sagen, und ich habe das öfters selbst gehört: „Die reichen Leute können sich durch andere Speisen helfen, die noch kräftiger sind als Brot, z. B. Fleisch, Wildpret, Süßspeisen u. dgl." Aber auch das hat in Zukunft ein Ende. Bereits seit 1. Mai d. Js. sind Zuckerkarten eingeführt, auf die ein jeder Haushaltungsvorstand nicht mehr als die ihm zugebilligte Menge Zucker empfängt. Und jetzt sind auch noch Fleischkarten eingeführt worden. Vom 8. Juni an wird pro Kopf und Woche nicht mehr als ein halbes Pfund Fleisch verabreicht werden. Dadurch wird auch in dieser Beziehung der Unterschied zwischen Arm und Reich aufgehoben. Jetzt sind die Bauersleute, die selbst geschlachtet haben, am besten dran. Sie haben Fleisch und Fett und Eier und Milch und Butter; andere hätten es gern.

Auch Teigwaren, Graupen und Gries werden gegenwärtig seltener. Damit nicht einige wenige die geringen Vorräte aufkaufen und damit eine gleichmäßige Verteilung stattfinden kann, werden besondere Kaufscheine von der Stadt ausgegeben, nämlich für Teigwaren Scheine zu 140 Gramm, Graupen zu 60 und Gries zu 60 Gramm.

Schmalz soll jetzt in größeren Mengen von der Stadt angekauft und an die einzelnen Haushaltungen verteilt werden. Andere Orte der näheren und ferneren Umgebung haben damit bereits gute Erfahrungen gemacht.

Ihr wundert Euch vielleicht darüber, daß ich heute so viel vom Essen schreibe. Allein das ist jetzt im Krieg ein sehr wichtiges Thema. In Friedenszeiten hat man, wenn man nichts anderes wußte, mit einander vom Wetter gesprochen. Jetzt spricht man statt vom Wetter recht oft vom Essen. Jeder interessiert sich dafür, wie der andere sich durchschlägt. Besonders die Frauen lernen von einander, wie man ohne viel Fleischwaren eine schmackhafte und kräftige Mahlzeit bereitet. Hoffentlich hat der Krieg bald ein Ende, damit auch in der Küche wieder geordnete Verhältnisse eintreten. —

Der Kriegsfreiwillige Georg Gruber erhielt die hessische Tapferkeitsmedaille.


Personen: Ebersmann, Jakob
Empfohlene Zitierweise: „Jakob Ebersmann, Berichte aus der Heimat in den Dieburger Feldbriefen, 1915-1917, Abschnitt 49: Einführung von Brot- und Fleischkarten, Mangelwirtschaft“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/19-49> (aufgerufen am 01.05.2024)