Topografie des Nationalsozialismus in Hessen
Kelsterbach, „Durchgangslager“ mit Hilfskrankenhaus
- Kelsterbach, Gemeinde Kelsterbach, Landkreis Groß-Gerau | Historisches Ortslexikon
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Kategorie:
Verwaltung
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Subkategorie:
Arbeitsverwaltung
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Objektbeschreibung:
Das Landesarbeitsamt in Frankfurt-Sachsenhausen unterhielt in Kelsterbach ein „Durchgangslager“ für Zwangsarbeiter. Das Lager war umzäunt und bewacht und war für 2.000 Menschen ausgelegt. Männer und Frauen wurden getrennt voneinander untergebracht; Familien durften in separaten Baracken zusammen wohnen. Das Durchgangslager umfasste ein Fläche von 50.000qm auf denen rund 25 Baracken errichtet worden waren.
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Beschreibung:
In diesem Lager wurden Männer und Frauen, aber auch Familien, die mehrheitlich aus der Sowjetunion verschleppt worden waren, entlaust und anschließend als „Ostarbeiterinnen“ und „Ostarbeiter“ registriert. Nach der Bekanntgabe der Regeln und Gesetze denen „Ostarbeiterinnen“ und „Ostarbeiter“ unterlagen, wurden sie in die verschiedenen Betriebe, in denen sie arbeiten sollten, transportiert. Auch die bei den Höchster IG Farben Werken eingesetzten „litauischen Polen“, durchliefen im Januar 1942 dieses Lager. In dieses Lager wurden auch kranke Ostarbeiterinnen und Ostarbeiter gebracht, die nach Hadamar und Eichberg transportiert und dort getötet werden sollten. Sie wurden in Kelsterbach kurzzeitig im Hilfskrankenhaus des Lagers einquartiert. Im Hilfskrankenhaus wurden seit März 1943 aufgrund einer Änderung der Rechtslage, Schwangerschaftsabbrüche bei „Ostarbeiterinnen“ aus dem Raum Frankfurt auch gegen deren Willen vorgenommen. Bis dahin waren schwangere, auch hochschwangere, „Ostarbeiterinnen“ abgeschoben worden, da die Schwangerschaft ihre Arbeitsfähigkeit einschränkte und sie somit als volle Arbeitskräfte ausfielen, d.h. sie waren in den Augen des NS-Regimes nutzlos. Abtreibungen wurden in Kelsterbach nur bis zum fünften Schwangerschaftsmonat durchgeführt. Die Mütter hatten größtenteils unter Zwang den Abtreibungen zuzustimmen. In Kelsterbach sind nachweislich Kinder gestorben. Ob diese allerdings gezielt getötet wurden, oder aufgrund unzureichender Versorgung u.a. in der eingerichteten „Kleinkinderversorgungsanstalt“ verstarben, ist bislang unklar. Allerdings sollen hier auch Kinder durch gezielte Rückenmarksinjektionen getötet worden sein. Die Belegstärke des Lagers reichte von 2.000 bis zu 5.000 Personen. 3.000 verschleppte Menschen befanden sich zum Zeitpunkt des Kriegsendes in dem Lager.
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Nutzungsanfang (früheste Erwähnung):
1941/1942
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Nutzungsende (späteste Erwähnung):
Frühjahr 1945
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Nutzung nach NS-Zeit:
Das Gelände auf dem das Lager bestanden hatte, wird heute als Gewerbegebiet genutzt.
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Orte:
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Sachbegriffe:
- Nachweise ↑
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Literatur:
- Krause-Schmitt, Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933–1945, Bd. 1, S. 71f., 100, 164.
- Lindner, Höchst. Ein IG Farbenwerk im Dritten Reich, S. 233.
- Brüchert, Zwangsarbeit in Wiesbaden, S. 164, S.187-236
- Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90 – Die Grünen betreffend Verfolgung und Vernichtung durch das NS-Regime in Hessen, Anlage III 2, S. 14
- Freiling, Das Durchgangslager für Ostarbeiter in Kelsterbach, in: Hessem hinter Stacheldraht, S. 115-122.
- Abbildungen ↑
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Abbildungen:
- 1403-L-010: Luftaufnahmen des Durchgangslagers in Kelsterbach, 1945 © Druck: Freiling, Durchgangslager für Ostarbeiter in Kelsterbach, in: Die Grünen (Hg:) Hessen hinter Stacheldraht, S. 114
- Zitierweise ↑
- „Kelsterbach, „Durchgangslager“ mit Hilfskrankenhaus“, in: Topographie des Nationalsozialismus in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/nstopo/id/1231> (Stand: 26.11.2022)