Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Topografie des Nationalsozialismus in Hessen

Erbach, Landesheilanstalt Eichberg

Erbach, Gemeinde Eltville am Rhein, Rheingau-Taunus-Kreis | Historisches Ortslexikon
Kloster-Eberbach-Straße 4
Klassifikation | Nutzungsgeschichte | Indizes | Nachweise | Abbildungen | Zitierweise
Klassifikation

Kategorie:

Verfolgung

Subkategorie:

Euthanasie 

Nutzungsgeschichte

Objektbeschreibung:

Die "Kinderfachabteilung" verfügte über eine eigene Tötungsbaracke, in der Kinder und Jugendliche gezielt ermordet wurden.

Bemerkungen:

1932 wurde der 38-jährige Dr. Wilhelm Hinsen zum Direktor der Landesheilanstalt Eichberg gewählt. In den folgenden Jahren verringerte sich Hinsens Einfluss auf Personaleinstellungen stetig. Im Januar 1936 wurde Dr. Friedrich Mennecke als Volontärarzt eingestellt, vermittelt durch die Intervention von Fritz Bernotat. Ausschlaggebend für diese Einstellung war wohl Menneckes Mitgliedschaft in der SS, wie in anderen Fällen von Stellenvergaben im Bezirksverband Nassau bekannt ist. Im Februar 1936 wurde Hans Bodo Gorgaß als Medizinalpraktikant eingestellt und ab März 1937 als Arzt am Eichberg tätig, bevor er anderthalb Jahre später als leitender Arzt zum Idstein (Kalmenhof) wechselte. Auch im pflegerischen Bereich hatte die Parteizugehörigkeit zunehmend Einfluss auf die Personalpolitik. Die Personalabteilung des Bezirksverbandes Nassau informierte das Eltviller Arbeitsamt im Jahr 1936 darüber, welche Bewerberinnen und Bewerber bevorzugt eingestellt werden sollten. 1938 erreichte der Bezirksverband die Verbeamtung entsprechender Personen. Im Dezember 1937 bat Hinsen um seine Entlassung. Mennecke wurde zum 1. Dezember 1938 zum Direktor der Anstalt ernannt. Nach einem verlorenen Machtkampf mit Bernotat wurde Mennecke zur Wehrmacht eingezogen. Er blieb offiziell bis 1945 Direktor des Eichbergs, kehrte jedoch nicht mehr zur Anstalt zurück. Oberarzt Dr. Walter Schmidt übernahm die Leitungsgeschäfte. Zuvor leitete er die „Kinderfachabteilung“ am Eichberg und galt als verlängerter Arm von Bernotat. Vom Anstaltspersonal wurde er als „Massenmörder“ bezeichnet; Schmidt tötete eigenhändig Eichberger Patientinnen und Patienten.

Im Sommer 1940, ein halbes Jahr vor Beginn der Gasmordaktion in Hadamar, überstellte der Bezirksverband etwa 1.500 Meldebögen zur Erfassung. Im Juli 1940 erfassten der zukünftige Anstaltsleiter Dr. Friedrich Mennecke, Oberarzt Dr. Leopold Coulon und Ärztin Dr. Elfriede Conrad offenbar alle damals untergebrachten 1.488 Patientinnen und Patienten.

Aufgrund einer vertraulichen Mitteilung über eine groß angelegte Unterschlagung und Veruntreuung von Lebensmitteln und Textilwaren durch Verwaltungsmitarbeiterinnen und Verwaltungsmitarbeiter begann die Kriminalpolizeistelle Frankfurt am Main am 9.11.1943 mit Ermittlungen. Mehrere Verwaltungsbeamte und Verwaltungsangestellte wurden festgenommen, ihren Posten in der NSDAP-Ortsgruppe Eichberg-Eberbach enthoben, und Parteiausschlüsse wurden eingeleitet. Der Bezirksverband sprach zudem gegen mehrere Beschuldigte fristlose Kündigungen aus. Die Lebensmittelunterschlagungen gingen explizit zu Lasten der Patientinnen und Patienten. Kleiderkarten von Patientinnen und Patienten aus Anstalten außerhalb des Bezirks wurden konfisziert. Die Verwaltungsangestellten, unter Mitwirkung des Landesoberinspektors Ludwig Wierig, tauschten in Zusammenarbeit mit einem Kaufmann aus Eltville und dem Anstaltsmetzger Martin D. Kleidung gegen Lebensmittel.

Das Pflegepersonal war außerdem an der Vorbereitung der Verlegungen vom Eichberg in die Tötungsanstalt Hadamar beteiligt. Vor dem jeweiligen Verlegungstag waren sie damit beschäftigt, die für den Transport vorgesehenen Patientinnen und Patienten im vorderen Stationshaus zu konzentrieren, da dieses am einfachsten von den Bussen der „Gemeinnützigen Krankentransportgesellschaft mbH“ (Gekrat) anzufahren waren. Am Verlegungstag kennzeichneten sie die Patientinnen und Patienten, die transportiert werden sollten, indem sie Nummern auf deren Rücken oder Arm schrieben.

Darüber hinaus war die Anstaltsverwaltung auch an der Sicherstellung einer reibungslosen Finanzabwicklung der Massenmorde beteiligt. Bis zur Gründung der „Zentralverrechnungsstelle Heil- und Pflegeanstalten“ im Frühjahr 1941 übernahmen die „Zwischenanstalten“ selbst die notwendigen Verwaltungsmaßnahmen zur Verschleierung und Vertuschung der Tötungen. Dazu gehörte die Täuschung der Kostenträger über den tatsächlichen Aufenthaltsort der entsprechenden Patientinnen und Patienten. Die Pflegekosten wurden weiterhin an die Ursprungsanstalten ausgezahlt. Nach der mehrwöchigen Unterbringung am Eichberg stellte die Verwaltung der Landesheilanstalt eine Rechnung an die entsprechende Ursprungsanstalt aus.

Für die Unterbringung der Patientinnen und Patienten standen je Geschlecht acht Abteilungen zur Verfügung. Der Eichberg war einer der Hauptantragsteller in Sterilisationsverfahren. Von Inkrafttreten des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GzVeN) am 1.1.1934 bis zum Kriegsbeginn 1939 gab es insgesamt 320 Zwangssterilisationen, wovon 178 direkt am Eichberg durchgeführt wurden, die anderen 142 extern im städtischen Krankenhaus Wiesbaden. In einer eigens eingerichteten Operationsabteilung am Eichberg wurden sowohl Patientinnen und Patienten der Anstalt als auch solche aus Aulhausen (St. Vincenzstift) und Idstein (Kalmenhof) sterilisiert. Die Sterilisationsabteilung auf dem Eichberg wurde von 1934 bis Ende 1938 genutzt, danach fand die Sterilisation ausschließlich im städtischen Krankenhaus Wiesbaden statt.

Der Ausbildungsgrad der Ärzte nahm stetig ab. Während Anfang 1936 noch vier ausgebildete Psychiater auf dem Eichberg tätig waren, waren es 1937 nur noch drei von fünf Ärzten, die diese Qualifikation hatten und 1939 nur noch zwei von vier, bei gleichzeitig geringerer Berufserfahrung. Ab 1937 zeigte sich eine Verschärfung in der Personalpolitik des Verbandsbezirks. In Kombination mit der Überbelegung und dem starken Anstieg von Neuaufnahmen verschlechterten sich die Zustände am Eichberg.

1936 wurden Patientinnen und Patienten aus kirchlichen Anstalten aus dem Bezirksverband Nassau, der Rheinprovinz und dem Landesfürsorgeverband Saarbrücken in einem ersten Schritt verlegt, darunter fast 700 Patientinnen und Patienten in den Bezirksverband Nassau. 500 von ihnen kamen nach Weilmünster, zunächst 20 auf den Eichberg. Ab Ende 1937 befanden sich etwa 120 Patientinnen und Patienten aus dem Saargebiet und etwa 40 aus der Rheinprovinz auf dem Eichberg. Aufgrund der Einrichtung von Wehrmachtslazaretten wurden Patienten aus dem bezirksinternen St.-Valentinus-Haus in Kiedrich aufgenommen. Ursprünglich waren 800 Plätze vorgesehen, aber Anfang 1937 waren bereits über 900 Menschen am Eichberg, Mitte 1938 mehr als 1050 und Mitte 1939 fast 1200. Im Jahr 1940 waren es etwa 1400.

Die allermeisten Patientinnen und Patienten starben aufgrund der absichtlich herbeigeführten strukturellen Bedingungen, darunter permanente Überbelegung. Die jährlichen Todeszahlen schwankten stets zwischen 600 und 800. Zur Unterversorgung kamen medikamentöse Tötungen hinzu. Laut Aussagen einer ehemaligen Pflegerin wurde bereits ab 1938 durch Nahrungsentzug getötet.

Wie auch in anderen Heil- und Pflegeanstalten waren jüdische Patientinnen und Patienten unter den ersten, die nach Hadamar transportiert und ermordet wurden. Alle 18 vom Eichberg wurden am 5.2.1941 nach Hadamar transportiert und ermordet.

Während der zentralen Mordphase wurden Patientinnen und Patienten zwischen Januar und August 1941 auf dem Eichberg und in vier weiteren hessisch-nassauischen Anstalten sowie in Andernach, Galkhausen, Weinsberg und Wiesloch gesammelt und meist nach vier bis sechs Wochen nach Hadamar transportiert. Der Transport erfolgte mit Bussen der eigens für die „Aktion T4“ gegründeten „Gemeinnützigen Krankentransportgesellschaft mbH“ (Gekrat). Dort wurden mehr als 10000 von ihnen weitgehend am selben Tag getötet, wobei mindestens 2300 aus der Anstalt am Eichberg stammten. Am 13.1.1941 begann die erste Verlegung vom Eichberg nach Hadamar. Bis Ende April 1941 wurden weitere fast 800 Menschen vom Eichberg nach Hadamar transportiert und ermordet. Danach wurden Patientinnen und Patienten aus anderen Anstalten, wie Merxhausen, nach Eichberg verlegt und ab Mai 1941 von dort ebenfalls nach Hadamar gebracht und ermordet. Bis zum Ende der Gasmordaktion in Hadamar im August 1941 wurden zwischen 1942 und Anfang 1945 weitere 1500 Menschen dorthin transportiert und ermordet.

Auf dem Eichberg selbst starben zwischen 1939 und März 1945 mindestens 2300 Opfer der NS-„Euthanasie“. Vom Sommer 1941 bis zum Sommer 1942 erfolgte die Tötung der auf dem Eichberg verbliebenen und nachkommenden Menschen noch überwiegend durch gezielte Unterernährung.

Ab dem Sommer 1942 wurden auf dem Eichberg unterschiedliche Schockbehandlungen an den Patientinnen und Patienten durchgeführt, darunter Insulin-Koma, Cardiazol- und Azomanschock sowie Elektroschockbehandlungen. Dazu kamen Dauerbäder in kaltem Wasser, was zur systematischen Auskühlung und Überbelastung des Organismus und letztlich zum Tod führte.

Ebenfalls ab dem Sommer 1942 wurde in der Anstalt gezielt durch Medikamenteneinsatz gemordet. Wie in anderen Anstalten geschah dies durch die Gabe von Morphium, Luminal, Veronal oder Trional in Spritzen- oder Tablettenform. Ab 1944 wurden auf diese Weise auch Tuberkulose erkrankte Zwangsarbeiterinnen ermordet. Einige von ihnen wurden aus dem Kelsterbacher Durchgangslager in die Landesheilanstalt verlegt. Ein Teil der an Tuberkulose erkrankten Zwangsarbeiter wurde vom Eichberg nach Hadamar transportiert und dort getötet, während andere vor Ort durch gezielte Medikamentengabe ermordet wurden.

Zwischen Sommer 1942 und Sommer 1944 kamen weitere mindestens 1000 Menschen aus anderen Provinzen und Ländern auf den Eichberg. Aufgrund der massiven Überbelegung wurden in einigen Abteilungen Strohsäcke direkt auf den Boden oder auf den mit Stroh bedeckten Boden gelegt.

Nutzungsanfang (früheste Erwähnung):

1934

Nutzungsende (späteste Erwähnung):

30.3.1945

Weitere Nutzungen des Objekts:

Nutzung vor NS-Zeit:

Von 1849 bis 1928 wurde die Anstalt unter dem Namen „Heil- und Pflegeanstalt Eichberg“, zwischen 1928 und 1957 als „Landesheilanstalt Eichberg“ geführt. Ihre Tätigkeit bestand in der Behandlung psychisch kranker Menschen.

Nutzung nach NS-Zeit:

1957 wurde die „Landesheilanstalt Eichberg“ in „Psychiatrisches Krankenhaus Eichberg“ umbenannt und seit 1998 trägt die Einrichtung den Namen „Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Eichberg“, der eine Reihe von verschiedenen psychiatrischen Einrichtungen angehören.

Indizes

Orte:

Erbach

Sachbegriffe:

Euthanasie · Gesundheitswesen · Verfolgung · Zwischenanstalten

Nachweise

Literatur:

Weblinks:

Fachtagung: "'Zwischenanstalten'. Ein besonderer Typus Anstalt im NS"? (15.11.2023)

Zitierweise
„Erbach, Landesheilanstalt Eichberg“, in: Topographie des Nationalsozialismus in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/nstopo/id/100> (Stand: 18.2.2024)