Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

Inhalt

↑ Otto Herpel, Kriegszeit in einem hessischen Dorf in der Beschreibung des Pfarrers von Lißberg, 1914-1916

Abschnitt 18: Landsturm und Urlauber

◀ [52-53] Landsturm und Urlauber.

Aber der Krieg verschlingt die Männer.
Es war in der Nacht nach dem Tage der Mobilmachung, da versuchte ich endlich, meine Gedanken weit weg zu schieben und einen künstlichen Hohlraum in meinem Hirne zu erzeugen. Es gelang nicht. Es gab nur einen unruhigen Halbschlummer.
Unversehens schreckte ich hoch. Ein Wirrwarr aufgeregter Stimmen stieß von der Straße nach den Wänden meines Zimmers. Noch halb benommen eilte ich ans Fenster um die Siebzehnjährigen vor mir zu sehen.
„Was habt ihr !"
Überstürzt kam die Antwort: „Der Landsturm! Herr Pfarrer, auch der Landsturm!"
Ich atmete auf: das galt auch mir.
„Gut," antwortete ich, „da dürfen auch wir mit, ihr und ich!"
Aber das Dürfen verstanden sie noch nicht. Sie mußten und schwiegen. Meinten wohl auch, bereits morgen sollten sie in den Tod.

Doch einer — älter als die andern — seufzte unter ihnen. Es war der Wilhelm; einer von jenen Halbschwachen, die's immer am schwersten haben. Einen Krüppel bedauert man, läßt ihn das Feuer im Schulsaale anzünden und die Gänse auf die Weide treiben. Dem Halbschwachen aber mutet man [S. 53] die Arbeit der Starken zu und ist ärgerlich, wenn er sie nicht leisten mag. Und ist gar die Schwachheit ein kleines Verwachsensein, so kommt zum Ärgern leicht das Verspotten. So ein Armer ist der Wilhelm; und hat schon viel erleiden und erdulden müssen ob seiner Armut.
Als die Kriegsgefahr heranwuchs, machte sich der Wilhelm keine schweren Gedanken. Denn Soldat ist er nie gewesen; wenn der Tod seine Ernte beginnt, wird er an ihm vorübergehen müssen. Denn er ist „Landsturm ohne Waffen".
Aber der Landsturm ist aufgeboten. Darum seufzt jetzt der Wilhelm. ▶