Zeitgeschichte in Hessen - Daten · Fakten · Hintergründe

Bericht über die Stimmungslage in Südwestdeutschland und in Frankfurt, Januar 1935

In den Deutschland-Berichten des Exilvorstands der SPD (sopade) wird der Reisebericht eines Gewährsmanns aus Südwestdeutschland und Frankfurt wiedergegeben. Er beschreibt darin seine Eindrücke von der derzeitigen Stimmungslage in Deutschland:

Wenn man nach längerer Zeit wieder nach Deutschland kommt und sich mit offenen Augen umsieht, dann ist man geradezu erschüttert, was aus dem früheren Kulturstaat Deutschland geworden ist. Da läuft ein Volk umher, dem die Angst und die Furcht auf der Stirn geschrieben steht. Gehen zwei Personen miteinander, so sind beide unsicher, ob nicht ein Spitzel hinter oder vor ihnen hergeht. So langsam werden aber trotzdem die Leute wieder etwas selbstbewußter. Das „Heil Hitler“ hat aufgehört und die Leute sagen wieder „Guten Tag“. Auch im Zug sagt man „Guten Tag“ und die Beamten grüßen ebenfalls so. [...]
Auf der Bahnfahrt hörte man wenig über Politik, denn alles hat Angst, daß denunziert wird. Nazis erzählen sich, was alles gearbeitet wird, müssen aber doch zugeben, daß früher noch mehr geleistet worden ist.

In einem zweiten Bericht heißt es in ähnlicher Weise:
Ich fand die Atmosphäre in Südwestdeutschland unerträglich. Nach meinem Eindruck wird hier ein ganzes Volk systematisch in einer noch nicht dagewesenen Form zur Heuchelei erzogen. Vielleicht ist das Grauenhafteste, daß eine große Anzahl von Leuten, mit denen man spricht und von denen man hört, der Sache innerlich ablehnend oder doch mindestens gleichgültig gegenüberstehen, aber nach außen hin alles mitmachen. Die Bespitzelung und gegenseitige Beschnüffelung spielt besonders in den kleinen Orten und bei den Beamten noch immer eine erhebliche Rolle.
(OV)