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Hessische Biografie

Portrait

Lisa Heise
(1893–1969)

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GND-Nummer

116675969

Heise, Lisa [ID = 10960]

* 10.2.1893 Hersfeld, † 17.4.1969 Ravensburg
Klavierlehrerin, Gärtnerin, Sekretärin, Autorin
Andere Namen | Wirken | Familie | Nachweise | Leben | Zitierweise
Andere Namen

Weitere Namen:

  • Schmidt, Louise (Lisa)
Wirken

Werdegang:

  • Ausbildung zur Klavierlehrerin auf dem Konservatorium Kassel
  • 1916 Eheschließung mit Wilhelm Heise
  • 1926-1938 Sekretärin in Jena

Werke:

Lebensorte:

  • Hersfeld; Eschwege; Kassel; Hofgeismar; Tiefurt/Weimar; Jena; Meiningen; Schweinfurt; Ravensburg
Familie

Vater:

Schmidt, Wilhelm, 1863–1947, Landkrankenhausverwalter in Hersfeld, Eschwege, Kassel

Mutter:

Kranz, Margarethe, 1869–1938

Partner:

  • Heise, Wilhelm, 1892–1965, Heirat 1916, geschieden 1919, Maler und Kunstgewerbler

Verwandte:

  • Heise, Michael <Sohn>, 1917–2000, Ingenieur
  • Schmidt, Karl Hugo <Bruder>, 1896–1921
  • Schmidt, Kurt Wilhelm <Bruder>, 1904–1978
Nachweise

Literatur:

Leben

Lisa Heise wurde am 10. Februar 1893 in Hersfeld als Tochter des Landkrankenhausverwalters Wilhelm Schmidt (1863–1947) und dessen Ehefrau Margarethe, geb. Kranz (1869–1938), geboren. Im Frühjahr 1897 zog die Familie nach Eschwege, wo Wilhelm Schmidt in die Leitung des Krankenhauses in der Luisenstraße eintrat. Die Privatwohnung befand sich über dem Totenkeller, für ein empfindsames kleines Mädchen wahrscheinlich keine allzu ideale Umgebung, zumal Krankheit und Tod allgegenwärtig waren.

Lisa Heise fühlte sich von den Eltern ungeliebt und in der Schule ausgestoßen. Dafür liebte sie die Natur und besonders den zum Krankenhaus gehörigen Park mit seinem Springbrunnen und seinen verwunschenen Winkeln. Zu ihrer Traumwelt gehörten Spuk- und Gespenstergeschichten ebenso wie die sichere Überzeugung, dass dereinst ein Traumprinz zu ihrer Erlösung kommen werde.

Im Frühjahr 1910 wurde der Vater an das Landkrankenhaus in Kassel versetzt. Der Abschied von Eschwege und der Aufbruch ins Neue und Ungewisse fielen Lisa Heise zwar nicht leicht, aber sehr schnell war sie auch voller Erwartung all des Schönen, das ihr die große Stadt bieten wird: Bauten, Schaufenster, Theater und Bibliotheken. Vor allen Dingen aber die Möglichkeit, endlich einmal unerkannt durch die Straßen streifen zu können.

Nach langen Diskussionen um ihre berufliche Zukunft wurde ihr eine Ausbildung zur Klavierlehrerin auf dem Konservatorium gestattet. Wissenshungrig saugte sie nicht nur die Vorlesungen in den theoretischen Fächern auf, war doch zuhause Lesen immer nur heimlich möglich gewesen. Sie schloss Freundschaft mit der sehr selbstbewussten Carola Schönherr (1890–1936), die der bereits vom Elternhaus fortstrebenden Lisa Heise Mut zu eigenen Entscheidungen machte. Schönherr war mit dem Maler Gerhard Sy (1886–1936) befreundet. In diesem Umfeld lernte Lisa den angehenden Maler und Kunstgewerbler Wilhelm Heise (1892–1965) kennen und verliebte sich in ihn. Da kam ihr eine erneute familiäre Ortsveränderung gänzlich ungelegen, noch dazu kurz vor dem Examen. Ihr Vater hatte 1913 seine Pensionierung beantragt und beschlossen, seinen Lebensabend in Meiningen zu verbringen. Ein Bruder wohnte bereits dort, und der ursprüngliche Heimatort Schmalkalden lag ganz in der Nähe. Notgedrungen musste sich die noch nicht volljährige Lisa Heise vorerst fügen. Wenig später kam es jedoch zu einer heftigen Auseinandersetzung mit den Eltern, in deren Folge sie heimlich ihren Koffer packte, aus dem Fenster kletterte und zu allem entschlossen nach Kassel zurückfuhr. Vorläufig wohnte sie abwechselnd bei Schönherr und Sy, bis sie ein eigenes Zimmer fand. Die Miete dafür wurde durch Klavierstunden für die Kinder der Wirtin abgegolten. Darüber hinaus gab es gelegentlich Arbeit bei Bauern rund um Kassel.

Lisa Schmidt und Wilhelm Heise ließen sich im Mai 1916 in Kassel standesamtlich trauen und siedelten nach Hofgeismar über. Mit Unterstützung des Vaters, der sich schließlich mit der Heirat abgefunden hatte, konnte ein Häuschen am Altstädter Kirchplatz erworben werden, das hergerichtet werden musste. Die finanzielle Lage blieb stets prekär, Klavierspiel und künstlerisch gestaltete Bucheinbände halfen über die größte Not hinweg. Bald kündigte sich erster Nachwuchs an. Der aufstrebende Künstler fühlte sich jetzt zunehmend eingeengt, auch einen ihm angebotenen Lehrauftrag an der Kunsthochschule in Kassel schlug er zugunsten der Freiheit des Künstlers aus. Er setzte sich immer häufiger nach Süddeutschland ab und überließ Lisa Heise ihrem Schicksal. Die Geburt des gemeinsamen Sohnes Michael im Juni 1917 änderte an der Situation nichts. Heise wendete sich einer anderen Partnerin zu, strebte 1919 die Scheidung an, betrieb den Verkauf des Hauses und ließ Lisa mit ihrem Kind ziemlich mittellos als Untermieterin bei Fremden zurück.

In dieser Situation wendete sich Lisa Heise noch von Hofgeismar aus an Rilke. Sie hatte sein 1902 erschienenes „Buch der Bilder“ als erstes seiner Werke kennengelernt. Und in ihrer tiefen Lebenskrise wurde der Dichter ihr Trost und Hilfe, so sehr, dass sie dem Wunsch nachgab, Rilke zu danken. Wider Erwarten antwortete dieser schnell und ausführlich. In der Folge entwickelte sich ein bis ins Jahr 1924 andauernder Briefwechsel. Und bereits wenige Jahre nach Rilkes Tod erschienen dessen Briefe an eine junge Frau 1930 erstmals im Insel-Verlag Leipzig. Der Name der Empfängerin blieb jedoch stets ungenannt. Erst als Lisa Heise – einem Wunsch aus Kreisen der Rilke-Freunde folgend – 1934 auch ihre eigenen Briefe an Rainer Maria Rilke in der Berliner Rabenpresse veröffentlichte, sollte man erfahren, wer sie ist.

Anfang der 1920er Jahre ergab sich in Tiefurt bei Weimar die Möglichkeit eines Neuanfangs. Durch ein Zeitungsinserat war Lisa Heise auf Thekla Mulert (1883–1973) gestoßen, die eine Mitstreiterin zum Betreiben einer Gärtnerei suchte, ganz in der Nähe des Ilmtalviadukts. Ohne rechten Wasseranschluss und Elektrizität mühten sich die beiden Frauen unter harten Bedingungen ab, kümmerten sich um Bestellung und Ernte, verkauften Gemüse und Blumen auf dem nahen Wochenmarkt. Lisa Heise erteilte zusätzlich Klavierunterricht, Mulert lehrte Gemüseanbau am Bauhaus und betreute auch den dortigen Garten, aber nie reichten die Geldmittel wirklich aus. Arbeit und Leben der beiden Frauen sprachen sich herum, und aus der Stadt wanderten immer wieder Gäste herbei, unter anderem der Architekt und Bauhaus-Gründer Walter Gropius (1883–1969) und die Tänzerin Gret Palucca (1902–1993).

Klar erkannte Lisa die politischen Übel der Zeit. Bei der Liga für Menschenrechte lernte sie Elisabeth Neubauer kennen und dann auch deren Mann, den Lehrer und kommunistischen Parlamentarier Dr. Theodor Neubauer (1890–1945). Ebenso zählte der Schriftsteller und Übersetzer Bernhard Bernson (1888–1963) zu ihren Weimarer Freunden.

Die Gärtnerei in Tiefurt scheiterte, als der Grundeigentümer auf dem Höhepunkt der Inflation den Pachtvertrag zum Ende des Jahres 1923 kündigte. Die Frauen mieteten nun ein altes Bauernhaus in Oberweimar. Aber Klavierstunden, etwas Gartenbau und die Vermietung von Zimmern an Bauhaus-Schüler brachten nicht genug Geld ein, um Miete und Lebensunterhalt auf Dauer zu sichern. Thekla Mulert fand schließlich Arbeit als Gartenbaulehrerin im Landschulheim Schloss Gebesee und nahm Lisa Heises Sohn Michael mit, der dort eine Freistelle erhielt. Dadurch konnte Heise eine Stelle als Sekretärin in der von Prof. Emil Klein (1873–1950) geleiteten Universitätspoliklinik für Naturheilverfahren in Jena antreten. Maschineschreiben und Stenografie hatte sie sich selbst beigebracht. Als diese Klinik von den Nationalsozialisten geschlossen wurde, wechselte sie an die HNO-Universitätsklinik. Insgesamt zwölf Jahre hielt sie bei kargen Verdienstmöglichkeiten durch und hoffte, sich durch Schreiben eines Tages von der Büroarbeit loskaufen zu können. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Trotz allem konnte sie ihrem Sohn ein Ingenieurstudium ermöglichen, das er bereits abgeschlossen hatte, als sie 1938 im Rahmen von Sparmaßnahmen ihre Kündigung erhielt.

Im selben Jahr wurde ihr unerwartet ein mehrmonatiger, nahezu kostenloser Aufenthalt am Lago Maggiore zuteil, vermittelt von einer Schweizer Verehrerin ihres Briefwechsels mit Rilke. Aus Dankbarkeit kümmerte sie sich um den sich selbst überlassenen Teil des Gartens, in dem sie auf eigenen Wunsch auch wohnte. Die hier empfangenen Landschaftseindrücke verarbeitete sie später in der Novelle „Der Brunnen“.

Auf der Rückreise passierte sie Bebra und sprang dort kurz entschlossen in einen Zug Richtung Eschwege. Erstmals nach über 20 Jahren kehrte sie zurück, war aber sehr enttäuscht, als sie bei ihrem Rundgang durch die vertrauten Straßen den Zauber der Jugendjahre nicht wiederfand.

Im Sommer 1938 starb die Mutter in Meiningen. Lisa Heise zog von Jena dorthin, um ihrem alten Vater beizustehen. Da er über eine auskömmliche Pension verfügte, traten die Geldsorgen vorerst in den Hintergrund. Sie bearbeitete einen Teil des Hausgartens, hielt Perlhühner, pachtete auch noch etwas Land hinzu, um vom Verkauf der Erträge zu leben, und erteilte zusätzlich Klavierunterricht. Nach dem Tod des Vaters ließ sie sich eine kleinere Wohnung zuweisen. Und noch in Meiningen begann sie mit der Niederschrift ihrer autobiografisch geprägten Prosatexte.

Dort lebte sie, bis sie 1959 nach Erreichen des Rentenalters mit Genehmigung der DDR-Behörden in die Bundesrepublik übersiedelte, zunächst nach Schweinfurt, wo ihr Sohn bald nach seiner Flucht eine Anstellung als Motorenbauingenieur bei Fichtel & Sachs gefunden hatte. Als er sich erneut beruflich verändern konnte, zog die Familie noch einmal nach Ravensburg um, wo Lisa Heise am 17. April 1969 ihrem Leben ein Ende setzte.

York-Egbert König

Zitierweise
„Heise, Lisa“, in: Hessische Biografie <https://www.lagis-hessen.de/pnd/116675969> (Stand: 28.11.2023)