Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Franz Goldschmitt, Kriegserlebnisse evakuierter Metzer Bürger in Hessen, 1914-1915

Abschnitt 6: Ankunft der Metzer Evakuierten in Kassel

[12-13] Während Tag und Nacht noch im Kampfe miteinander lagen, kamen wir in Frankfurt an. Die Waschbrunnen wurden erstürmt, dann gings zum Frühstück. Das rote Kreuz lieferte Kaffee und Brötchen. In Gießen, zweites Morgenessen. Hier trafen wir den Zug mit Metzern, die zwei Stunden vor uns abgefahren waren. In Wabern wurde soviel ausgeteilt, daß zur Verhütung von Mißbrauch eingeschritten werden mußte. Manche sammelten sich für mehrere Tage Proviant. Nach 24 stündiger Fahrt hielt endlich um ein Uhr der Zug in Cassel. Wir stiegen aus. In langen Zügen, zu vier und fünf in jeder Reihe, wanderten meine Leute, zum Bahnhof hinaus. Sie taten mir alle furchtbar leid. Schwer mit Paketen beladen, ein Kind auf dem Arm, eins an der Hand, zwei am Saum des Rockes, so zogen gar viele Mütter mit betrübten Gesichtern und rotgeweinten Augen in die Stadt hinein. Welch Elend, welche Armut! Eine S. [S. 13] endlose Volksmenge stand gaffend da. Die meisten hatten Mitleid mit den armen Flüchtlingen.

Natürlich lenkten sich vieler Blicke auf mich, da ich in der langen, französischen Soutane stack. Müde von der langen Reise schritt ich langsam dahin. Es war doch etwas peinlich für mich, als nicht wenig Leute stehen blieben und mir gaffend nachschauten. Und doch wollte ich meinen langen Rock nicht ablegen, damit meine Pflegebefohlene mich leicht aus der Menge herausfänden.

Als Präses des Metzer Gesellenhauses fand ich im Casseler Gesellenheim tadellose Aufnahme.


Empfohlene Zitierweise: „Franz Goldschmitt, Kriegserlebnisse evakuierter Metzer Bürger in Hessen, 1914-1915, Abschnitt 6: Ankunft der Metzer Evakuierten in Kassel“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/99-6> (aufgerufen am 02.05.2024)