Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

Inhalt

↑ Wilhelm Egly, Kriegstagebuch eines Soldaten aus Friedberg, 1916-1917

Abschnitt 23: IV. Verlegung nach Frankreich

◀ [70-71] [S. 70] 30. März 1917.
Ich stehe am Vorabend des Tages, an dem Pflicht und Schicksal mich zum vierten Mal dem Feind entgegenschicken.
In freiem Feld, in vernichteten Schützengräben bin ich buchstäblich durch Blut, über Leichen und zerfetzte Menschenleiber gegangen und geklettert.

Das Schwerste und Letzte aber, das allem ein Ende machen soll, steht noch bevor.

1. April 1917.
Seit gestern auf der Fahrt. Wohin? Nach Makkaronien? Nach dem Westen? Die eigenartige Reise, die uns vom Norden Deutschlands aus durch fast alle Bundesstaaten führt, läßt es tatsächlich nicht unmöglich erscheinen, daß wir für den Süden bestimmt sind. Italien — unser Wunsch, unsere Sehnsucht! Lawinengleich hinunterbrausen zu dürfen von den eisigen Höhen in die italienischen Ebenen, in denen Teutonen und Welfen und Staufen im Kampf lagen gegen römische Legionen und päpstliche Söldner, hinunter in das sonnige Land — das wäre noch Krieg, ein schöner Krieg!

Wünschend und hoffend und zweifelnd — so fahren wir hin durch unser großes Vaterland, über das diese [S. 71] wenigen Vorfrühlingstage einen schimmernden Glanz ausgießen, als ob sie die Heimat in ihrer ganzen Schönheit noch einmal voll erschließen möchten, um das Scheiden recht schwer und bitter zu machen. Es ist mir, als ob über Deutschland ein so viel hellerer Schein liege als über anderen Ländern, als ob die Luft leuchtender, wärmer, weicher und durchsichtiger über Städte und Dörfer, über Berge und braune Felder, durch Täler und Wälder fließen und strömen würde.

Wenn das Schicksal es will, daß ich verbluten soll, so wird der letzte Schimmer des Lichts, den ein brechendes Auge zu fühlen vermag, in dieses Auge das Bild der Heimat und ihrer Menschen hineinleuchten. ▶