Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Karl Wilhelm von Meister, Zeitungsberichte des Regierungspräsidenten in Wiesbaden an den Kaiser, 1914-1918

Abschnitt 16: Bericht vom 27. Oktober 1917 (3)

[1118-1119] IV. Die wichtigsten gewerblichen Erwerbszweige, der Weinbau und die Kurindustrie

Das gesamte Erwerbsleben der Bevölkerung hat sich allmählich ausschließlich auf die Forderungen des Krieges eingestellt. Die bedeutende chemische Industrie des Regierungsbezirks ist mit der Herstellung wichtiger Kriegsmaterialien aufs äußerste angespannt. Zur Bewältigung der Aufträge haben deren Werke zahlreiche auswärtige Arbeitskräfte, besonders aus Sachsen und den besetzten Gebieten, nicht ohne Überwindung großer Schwierigkeiten heranziehen müssen. [1119] Die Höchster Farbwerke wurden am 29. August d. Js. durch den Besuch Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin ausgezeichnet. Nach einem längeren Rundgange durch mehrere Betriebsabteilungen überreichte Alleröchstdieselbe persönlich an 50 verdiente Arbeiter und Arbeiterinnen das Verdienstkreuz für Kriegshilfe, was große und dankbare Freude ausgelöst hat.

Der Erzbergbau vermochte der herrschenden lebhaften Nachfrage auch im Sommer 1917 nachzukommen. Auf den Betrieb der Bergwerke wirkte allerdings die Knappheit an vielen notwendigen Brennstoffen erschwerend ein. Es fehlt besonders an guten Sprengstoffen, Schmieröl und Karbid. Grubenholz war von den benachbarten Wäldern noch hinreichend zu beschaffen. Mangel an Fuhrwerken und Eisenbahnwagen hinderte bisweilen die Abfuhr der geförderten Erze. Die Löhne in den Eisenerzgruben sind durchweg sehr hoch, so daß die Arbeiterschaft zufrieden ist.

Die Westerwälder Tongruben sind für die Gewinnung von Ton zur Herstellung feuer- und säurefester Formstücke für die Eisen-, Stahl- und chemische Industrie bis zur Grenze ihrer Leistungsfähigkeit beschäftigt.

Wenn auch infolge der starken Kälte des vergangenen Winters die Reben in einigen Lagen des Rheines gelitten haben, wird die Weinernte infolge der günstigen Sommerwitterung doch recht gut werden, so daß man auf einen halben Herbst (ein ganzer Herbst = 1.200 Liter vom Metermorgen) und auf eine sehr gute Beschaffenheit des Weines rechnen kann. Die Weinpreise sind unerhört gestiegen. Die Winzer gelangen dadurch allmählich in die Lage, ihre alten Schulden abtragen zu können.


Personen: Meister, Karl Wilhelm von · Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, Auguste Viktoria von
Orte: Höchst · Sachsen
Sachbegriffe: Bergbau · Eisernes Verdienstkreuz · Farbwerke Höchst AG · Industrie · Kur · Löhne · Rohstoffversorgung · Weinanbau
Empfohlene Zitierweise: „Karl Wilhelm von Meister, Zeitungsberichte des Regierungspräsidenten in Wiesbaden an den Kaiser, 1914-1918, Abschnitt 16: Bericht vom 27. Oktober 1917 (3)“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/32-16> (aufgerufen am 06.05.2024)