Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Die ersten Kriegswochen in der Oberhessischen Zeitung (Marburg), August 1914

Abschnitt 1: 1.8.1914: Panikkäufe in Marburg und Umgebung


Marburg und Umgegend.

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Kriegsrüstungen

Marburg, 1. August.

Kriegsrüstungen

treffen auch die Hausfrauen. Aus vielen Städten wird von kopflosen Einkäufen der Hausfrauen an Lebensmitteln und Konsumartikeln geredet. Leider kann man auch hier diese Erscheinung feststellen. Einzelne Geschäfte unserer Stadt hatten gestern zeitweise geschlossen. Wie wir hören, sind von wenig Köpfen zählenden Familien Hülsenfrüchte zentnerweise eingekauft, ebenso Mehl. Ja, das Eindeckungsbedürfnis erstreckt sich sogar auf Streichhölzer und Schuhputzmittel. Man kann diese Einkaufswut ruhig als Kopflosigkeit bezeichnen. Ist es sicher, daß wir ernsten Zeiten entgegengehen, vielleicht den ernstesten für unser Vaterland, so werden eben Alle auch Entbehrungen auf sich nehmen müssen. Ueberhaupt hört doch nicht alles wirtschaftliche Leben, Ernte usw. gleich auf. Setzt doch auch alles, was Waffen tragen kann, sogar mutig sein Leben für das Vaterland ein. Was will demgegenüber einmal eine Entbehrung der Zurückbleibenden besagen, oder sollten wesentliche Teile unseres Volkes schon so verweichlicht sein, daß die Aussicht auf Entbehrungen ihnen schon den blassen Schrecken einjagt! Die Folge dieser überstürzenden Einkäufe ist natürlich ein erhebliches Heraufgehen der Preise für Lebensmittel. Diejenigen unserer Volksgenossen, die nicht in der Lage sind, sich große Vorräte hinzulegen, werden dadurch immer ungünstiger gestellt und schwer geschädigt. In dieser schweren Zeit, wo alle zusammenstehen müssen, ist dies doppelt zu bedauern. Ein ernstes Wort muß man aber auch an die kaufmännischen Kreise richten, von denen, wie uns mitgeteilt wurde, einzelne die ernste Lage in unverantwortlicher Weise durch Preise ausnützen, die in ihrem Einkauf gar keine Berechtigung finden. Man soll sich da nicht wundern, wenn das Publikum in scharfer Weise dazu Stellung nimmt. Es ist einfach unverantwortlich, wenn einzelne sich auf Kosten der Allgemeinheit in schweren Zeiten bereichern wollen. Es ist auch zu erwarten, daß Staat und Gemeinde mit scharfen Mitteln dagegen einschreiten und, wie wir bereits aus Breslau berichten konnten, die Versorgung der Bevölkerung selbst übernehmen. Um einer unverhältnismäßigen Bewucherung des Volkes in Lebensmitteln zu begegnen, schlägt man in Bayern vor, ein Sondergesetz einzubringen, in welchem Bestrafungen festgesetzt werden sollen für die Händler, die in Zeiten nationaler Gefahr Lebensmittelwucher treiben. Die Zeiten sind ernst, und wie der Teil des Volkes, der die Verteidigung des Vaterlandes nach außen zu übernehmen hat, eine so herzerhebende, würdige Haltung zeigt, mit solcher Ruhe und solchem Vertrauen den Verhältnissen entgegensteht, so muß man auch erwarten, daß der Teil der Kriegsrüstung, der den Zurückbleibenden und den Hausfrauen obliegt, mit ebensolcher Ruhe und ebensolchem Gemeingefühl getragen wird.

[Oberhessische Zeitung vom 1. August 1914]


Orte: Marburg
Sachbegriffe: Zeitungen · Oberhessische Zeitung · Hamsterkäufe · Lebensmittelversorgung · Wucherpreise
Empfohlene Zitierweise: „Die ersten Kriegswochen in der Oberhessischen Zeitung (Marburg), August 1914, Abschnitt 1: 1.8.1914: Panikkäufe in Marburg und Umgebung“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/160-1> (aufgerufen am 19.04.2024)