Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Heinrich Höhle, Kriegstagebuch eines Lehrers aus Landau, 1914-1919

Abschnitt 8: Versorgungsprobleme, Hamsterfahrten, Stadtkinder

[18-19] Vom 20. Jan. 1917 bis 9. Februar war es kalt hier. 11-19° Celsius. Die kälteste Nacht war am 4. Febr. -19°. Der Schnee lag 25 cm tief. Wasserleitungen frieren ein; es mangelt an Kohlen, Kartoffeln, Fett, Fleisch.

Am 1. Febr. 1917 beginnt der uneingeschränkte U-Bootkrieg. Er wird uns vielleicht helfen, England auszuhungern. In der ersten Zeit hat er große Erfolge. Nun kommt Amerika als schlimmer Gegner zu unsern Feinden. Werden wir dann Sieger bleiben?

Militärisch waren die Deutschen auf allen Kriegsschauplätzen siegreich. Kein Volk der Welt hat wohl jemals Gleiches in der Art geleistet. Was uns aber am meisten schadete, das war die wirtschaftliche Abschnürung von andern Ländern, aus denen wir im Frieden Rohstoffe u. Nahrungsmittel bezogen. England wollte uns aushungern. Leider ist ihm das zuletzt gelungen. Aus den Großstädten kamen Frauen u. Kinder und kauften sich hier bei uns Kartoffeln, Brot, Speck, Erbsen, Bohnen, Wicken, schleppten alles mühsam im Sack an die Bahn u. brachten die Nahrungsmittel nach Hause, wo hungrige Angehörige sehnsüchtig warteten. Viele hatten auch kein Geld zum Kaufen, weil sie die Bahnfahrt zu bezahlen hatten. Da muß ich zur Ehre unserer Landauer Bauern u. kleinen Landwirte [S. 19]. Handwerker sagen, daß sie den Städtern umsonst etwas abgaben. Unsere Schule macht den Eindruck eines stattlichen Bauernhauses, das natürlich von vielen aufgesucht wurde. Wir haben selbst 1 Morgen Kartoffeln u. 1 Morgen Roggen angebaut u. konnten allen etwas mitteilen. Wenn sie dann glaubten, die Schule sei ein Bauernhaus, dann zeigte ich ihnen ein Klassenzimmer. Es hat mich ergriffen, wie sie dann zusammenzuckten u. denkbar anerkannten, daß wir ihnen nicht mehr abgeben konnten. Oft kamen täglich 5-10 Personen.

Während der Kriegsjahre sind von unsern Landauern 40 - 50 Stadtkinder aus Rheinland u. Westfalen frei aufgenommen worden. Die Kinder haben sich gut erholt u. sind auch von mir unterrichtet worden, später auch von Lehrerin Fräulein Bangert. Im Oktober 1918 hatte die Stadt Dortmund eine Anzahl Lehrer aus Waldeck eingeladen, mit den zurückkehrenden Kindern im Sonderzuge nach dort zu kommen, wo wir in die Stätten der Arbeit, Eisenwerke u. Bergwerke geführt wurden, wie freuten sich die Arbeiter dort, wenn der Führer ihnen sagte: „Die Lehrer bringen Ihnen Ihre Kinder wieder." Wir wurden auch auf die Zeche Freier Vogel gebracht u. durften einfahren unter Tag u. dort unten erkennen, welche schwere, gefahrvolle Arbeit dort geleistet wurde. Die Bergleute waren nur mit Hose bekleidet. Der Oberkörper war schwarz; einzelne weiße Bächlein Schweiß rannen an ihm nieder. So erkannten wir, daß jeder Arbeit Ehre zuzuerkennen ist.

In Dortmund hörten wir dann zu unserm größten Schrecken, daß Deutschland nicht mehr länger standhalten konnte gegen unsere Feinde. Nun war alles Kämpfen, Ausharren, Hungern u. Sterben vergeblich.


Personen: Höhle, Heinrich · Bangert, Lehrerin
Orte: Landau · England · USA · Vereinigte Staaten von Amerika · Rheinland · Westfalen · Dortmund · Waldeck, Freistaat
Sachbegriffe: Witterung · Unterseebootkrieg · Blockadepolitik · Versorgungsprobleme · Lebensmittelmangel · Bauern · Kartoffeln · Stadtkinder · Sonderzüge · Eisenhütten · Bergwerke · Arbeiter · Bergleute
Empfohlene Zitierweise: „Heinrich Höhle, Kriegstagebuch eines Lehrers aus Landau, 1914-1919, Abschnitt 8: Versorgungsprobleme, Hamsterfahrten, Stadtkinder“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/15-8> (aufgerufen am 16.04.2024)