Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Louis Betschart, Evakuierte Elsässer in Hünfeld, Fulda und der Rhön, 1916-1918

Abschnitt 2: Vorbereitungen zur Evakuierung des Orts

[115-116]
So war es bei aller Sorge doch eine gewisse Erlösung, als am 27. Januar der «Jäger Chari» austrommelte : «Bis zum 5. Februar muss Illfurth geräumt sein. Wer nicht zu Verwandten gehen kann, soll sich auf der Mairie anmelden. Es wird ein Extrazug zusammengestellt, der die Illfurther in Sicherheit bringen soll.»
War das ein Zusammenstehen der Leute I Und ein Packen ging los, ein Verlesen, ein «Vergraben» von Flaschen und Büchsen.
Die Hilfsdienstler, es war ein Regiment aus der Ruhr, halfen grosszügig mit. Man packte ein, was man konnte, stellte die Kisten auf die Bühne, damit sie der Einquartierung nicht im Weg und vielleicht etwas gesicherter waren.
Am 30. Januar wurde in der Dorfkirche die letzte heilige Messe gefeiert. Darauf vernagelte man die Altäre mit Brettern und überliess die Kirche dem Schutz des hl. Martin.
Auf den 5. Februar mittags drei Uhr war Sammlung in der Grossgasse ausgetrommelt worden : «Man darf nur mitnehmen, was man tragen kann! Es stehen Trainwagen zur Verfügung.
Kinder und Frauen und das Traggepäck werden gefahren. Die Männer laufen hinterher. Weil man nicht sicher ist, ob geschossen wird, geht der Marsch übers Kuppele nach Zillisheim1. Dort steht der Zug bereit.»
«Ins Hessische gehts », wusste der alte Futsche Toni als Gemeinderatsmitglied zu erzählen. Das war aber auch alles. Ich suchte auf der Landkarte. Ein ziemlich weites Stück Weg stand uns bevor.

Dann kam der «Auszug aus Ägypten». Alte Koffer, gefüllte Kopfkissen und Kelsche, grosse Nastücher in allen Farben, wie sie aus der alten Schnupfzeit noch in der Kommode lagen, mussten her, um die sieben Sachen zu verpacken, die man mitnehmen durfte.
In der « Anere Gass » wurden dann die Kranken und Kinder und Frauen verladen. Auf einmal zogen die Pferde an. Ein trauriges Schauspiel. Die Männer schlossen sich hinten an. Natürlich auch wir Buben, [S. 116] denn auch wir zählten uns zu den Männern. Ich sehe immmer noch meinen Vater, wie er am « Gassle» stehen blieb und einen letzten Blick hinaufwarf. Und sich die Augen wischte. Das war das einzige Mal, dass ich den Vater weinen sah. So erging es auch den andern Männern, von den Frauen gar nicht zu reden. In einem grossen Schweigen zogen die meisten die Strassen hinunter übers Kuppele nach Zillisheim. Dort stand der lange Zug bereit, der die 470 Personen aufnehmen sollte. Bis da nun alles verladen war und die richtigen Leute sich zusammen gefunden ! Die Dämmerung fiel schon hernieder als eine grosse Empörung den Zug durchlief. Ein unglücklicher Leutnant muss einem Kritikaster, der allmählich die Geduld verlor, gesagt haben : «Schaut euch das Land nochmals an, jetzt geht es nach Ostpreussen. Hierher kommt keiner von euch mehr zurück !» Das Echo kann sich jeder selber ausmalen. Der Kerl konnte von Glück reden, dass er nicht gelyncht wurde.


  1. Zillisheim ist der nördliche Nachbarort Illfurths.

Personen: Betschart, Louis
Orte: Illfurth · Sundgau · Zillisheim · Ostpreußen
Sachbegriffe: Evakuierung · Eisenbahnzüge · Leutnante
Empfohlene Zitierweise: „Louis Betschart, Evakuierte Elsässer in Hünfeld, Fulda und der Rhön, 1916-1918, Abschnitt 2: Vorbereitungen zur Evakuierung des Orts“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/115-2> (aufgerufen am 02.05.2024)