Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Louis Betschart, Evakuierte Elsässer in Hünfeld, Fulda und der Rhön, 1916-1918

Abschnitt 4: Evakuierte in der Rhön und Nachrichten aus dem Elsass

[117-118] Bald kamen Ostern und der Frühling. Und weil aus den prophezeiten sechs Wochen zehn geworden waren, sammelten sich die Familien wieder so weit wie möglich im eigenen Haushalt. Zwei Mark bezahlte ja der Staat pro Kopf, pro Kind eine Mark. Die meisten Mütter hatten nie so viel Haushaltungsgeld zur Verfügung gehabt. Aber die Unterstützung ward bald auf die Hälfte herabgesetzt. Und es begann die Zeit der Rationierung, der Karten und Märklein, die man ja auch anderswo miterlebte.

Auf die Dauer wurde die Belastung der Gemüter übergross. Da und dort stellte sich der « Flüchtlingskoller » ein. Nichts war mehr recht. Wenn keine Nachrichten von den Bekannten kamen; wenn die Zensur einige Zeilen schwarz überstrichen hatte; wenn wieder junge Leute eingezogen und die älteren nicht entlassen wurden; wenn die allzu grossen Menschlichkeiten unter den Landsleuten schwüle Luft schufen; wenn die Jungen an die Sieg der Deutschen glaubten — sie hörten ja nichts anderes — und die Älteren am Sieg der Alliierten nicht zweifelten, entstanden Spannungen, die sich gar nicht leicht lösen liessen. Mit der Zeit bestätigten die Urlauber den «Glauben» der Alten. Dieser Koller hatte auch jene befallen, die im Elsass geblieben waren. Es ging eben zu lange.

Aufs Ganze gesehen darf man aber sagen, dass die Einheimischen mehr als recht waren zu uns Flüchtlingen. Das zeigte sich vor allem, wenn Unglück und Not einkehrten oder wenn gar der Schnitter Tod Ernte hielt. Eines schönen morgens gegen zwei Uhr hörte ich alle Glocken läuten. Wir waren kaum ein Monat im Dorf. Ich sprang auf und sah den roten Feuerschein durchs Fenster. Vor dem Haus merkte ich, dass ausgerechnet das Haus in Feuer stand, in dem mein Vater, meine Mutter und mein Brüderchen wohnten. Wie ein Windhund sauste ich durch die Nacht und sah gerade, wie alle heil zum Haus herauskamen nur ganz notdürftig gekleidet. Alles, was wir noch mitgenommen hatten, ist radikal verbrannt. Da waren die Leute wirklich gut zu uns, wie man es nicht schöner hätte erwarten können. Ähnliche Beweise könnten in verschiedenen Musterehen aufgezeigt werden ...

Es boten sich mit der Zeit gute Arbeitsgelegenheiten für die heranwachsenden Kinder. Ich selbst konnte mein Studium weiterführen und fand auch hier gute Menschen, nicht zuletzt im Pfarrhaus beim « Kaplan ».

Das Klima war etwas rauh, aber gesund. Unser gute alte Futsche Toni meinte zwar : « Acht Monate lang sei Winter und vier Monate sei's kalt. Und der Boden sei so reich, dass sogar die Steine auf den Äckern wachsen, aber leider sonst nur Roggen und Wigge. » Das war eben die Rhön.

Also, das Leben ging weiter. Kinder kamen zur Welt. Leider konnten die Väter zur Geburt selten nach Hause kommen, weil sie irgendwo [S. 118] an der West- oder an der Ostfront standen. Es wurden mehrere Kinder geboren in der Fremde.

Auch Bruder Tod führte eine ganze Anzahl Illfurther heim. Sie harren dort, wo sie sich zur Ruhe gelegt, der Auferstehung entgegen.

Urlauber kamen und gingen. Auch Verwandte aus dem Eisass verbrachten ihre Ferien bei ihren Leuten. Soldaten, die im Sundgau lagen, brachten Nachricht aus der Heimat und erfüllten die Herzen der älteren Leute mit Freude oder mit Sorge.


Personen: Betschart, Louis
Orte: Illfurth · Elsass · Rhön
Sachbegriffe: Flüchtlingsunterstützung · Flüchtlingskoller · Zensur · Kinder · Evakuierung
Empfohlene Zitierweise: „Louis Betschart, Evakuierte Elsässer in Hünfeld, Fulda und der Rhön, 1916-1918, Abschnitt 4: Evakuierte in der Rhön und Nachrichten aus dem Elsass“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/115-4> (aufgerufen am 02.05.2024)