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Eröffnung der 45. Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt, 13. September 1973

Nach einer vierjährigen Pause wird in Frankfurt am Main unter dem Motto „Mit dem Auto in die Zukunft“ wieder eine Internationale Automobilausstellung (IAA) eröffnet. Im Januar 1971 war die damals für den Spätsommer angekündigte 45. Ausgabe der IAA aufgrund des enormen Anstiegs der mit der Ausstellung verbundenen Kosten vom VDA-Präsidenten Dr. Johann Heinrich von Brunn (1908–1983) überraschend abgesagt worden.

Ansprachen zur Eröffnung

Der den offiziellen Start der Messe verkündende Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs (geb. 1931; FDP) wirbt bei seiner Eröffnungsansprache um Verständnis für die Fortsetzung der gegenwärtigen Stabilisierungspolitik der Bundesregierung1 und wendet sich scharf gegen betriebliche Maßnahmen, mit denen die Tarifautonomie unterlaufen worden sei. Der Präsident des Verbandes der deutschen Automobilindustrie (VDA), von Brunn, weist vor dem Hintergrund der derzeitigen harten politischen Kontroversen um den motorisierten Straßenverkehr in Deutschland auf den bedeutenden gesamtwirtschaftlichen und individuellen Nutzen des Personenkraftwagens hin und warnt vor einer übermäßigen Reglementierung des Automobils. Hessens Ministerpräsident Albert Osswald (SPD; 1919–1996) betont, dass es im Verhältnis von Individual- und öffentlichem Verkehr kein Entweder-Oder geben könne.

Größer als je zuvor, aber ohne Überraschungen

Mit einer Ausstellungsfläche von 185.000 Quadratmetern ist die 45. Ausgabe der Internationale Automobilausstellung in Frankfurt größer als je zuvor und bietet rund 1.200 Ausstellern aus 28 Ländern Platz für die Präsentation ihrer Produkte. Große Überraschungen bietet die Schau, gegenüber früheren Automobil-Messen vergleichsweise arm an echten Neuigkeiten, allerdings nicht: Bereits Wochen vor der Eröffnung haben die Hersteller fast alle Geheimnisse neuesten Modelle und Entwicklungen gelüftet.

Erstarkende Stimme der öffentlichen Automobilkritik

Die 45. IAA steht unübersehbar unter dem Schatten einer in der Öffentlichkeit seit Jahren wachsenden Skepsis gegenüber der automobilen Massenmotorisierung. Anfang der 1960er Jahre hatte der sprunghafte Anstieg der Zahl der im Straßenverkehr Getöteten und Verletzten schockierte Reaktionen hervorgerufen und eine breite Diskussion über die Verkehrssicherheit auf deutschen Straßen entfacht. Ende der 1960er Jahre keimten erste Befürchtungen über die durch Autoabgase verursachten Gesundheitsschäden. Der 1972 vom Club of Rome veröffentlichte Bericht zu den „Grenzen des Wachstums“ lenkte breite Aufmerksamkeit auf die bevorstehenden Folgen irreparabler Umweltzerstörung und aufgebrauchter Rohstoffvorräte.2
Bezeichnend für die im Zuge der Kontroverse um die Bedeutung des Autos als dominantem Wirtschaftsfaktor (in Hessen lebt etwa jeder sechste Einwohner direkt oder indirekt von der Automobilwirtschaft) und Fiskalobjekt einerseits, und als Verursacher stark zunehmender Umwelt- , Verkehrssicherheits- und andererseits verhärtete Front der Automobilgegner ist im Rahmen der diesjährigen IAA zum Beispiel die bereits vor Beginn der Messe für Aufsehen sorgende Debatte um den BMW 2002 „turbo“, des ersten in Serie hergestellte deutschen Autos mit einem durch Abgasturbolader leistungsgesteigerten Motor (170 PS). Der Wagen sorgt nicht nur aufgrund seines hohen Benzinverbrauchs für Kritik. Ein vom BMW-Chef Robert Anthony „Bob“ Lutz (geb. 1932) erdachter „Gag“ – der auf dem Frontspoiler des Wagens spiegelverkehrt prangende „turbo“-Schriftzug, den man im Rückspiegel, wenn sich der Wagen auf der Überholspur näherte, gut lesen konnte, löst einen Sturm der Empörung aus. Zur IAA-Präsentation erscheint das Sportmodell schließlich ohne die provozierende Aufschrift.3

Bis zu ihrem Ende am 23. September 1973 werden die 45. IAA rund eine dreiviertel Million Menschen besuchen. Damit zählt die Ausstellung deutlich weniger Gäste als die letzte in Frankfurter gezeigte Autoschau im Jahr 1969 (900.000).
(KU)


  1. Im Mai 1973 hatte die sozialliberale Koalition zur Bekämpfung der Inflation einen Maßnahmenkatalog aufgesetzt, der unter anderem mit der Anhebung der Mineralölsteuer, dem Abbau von Steuervergünstigungen und einer Stabilitätsabgabe auf die Einkommens- und Körperschaftssteuer, die die Kaufkraft der privaten Haushalte und der Unternehmer abschöpfen sollte, verbunden war. Die Bundesbank erhöhte zwecks Verminderung der umlaufenden Geldmenge und Stabilisierung des Geldwertes den Diskontsatz. Gleichzeitig entschied die Bundesregierung, auf eine Beschränkung der Staatsausgaben zu verzichten, da dies das Aus für viele Reformvorhaben bedeutet hätte.
  2. Nur wenige Wochen nach der Eröffnung der 45. IAA wird der arabisch-israelische Oktoberkrieg („Jom-Kippur-Krieg“, 6. bis 26. Oktober 1973) die bis dahin folgenschwerste Ölpreiskrise auslösen. Um die Israel unterstützenden westlichen Staaten unter Druck zu setzen, drosselt die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) ihre Fördermengen zwischen Oktober und Dezember um ca. fünf Millionen auf 15,8 Millionen Barrel pro Tag. Die Auswirkungen dieses künstlich erzeugten „Engpasses“ wiegen umso schwerer, als das die OPEC bereits am 16. Oktober den „Posted Price“ (Listenpreis, nicht identisch mit dem Marktpreis, zu dem das Fass Öl tatsächlich gehandelt wird) pro Barrel um 70 Prozent auf 5,11 US-Dollar nach oben verschiebt. Der dramatischen Ölverknappung und -verteuerung (der Preis für eine Tonne Erdöl erhöht sich zwischen 1973 und 1974 von 82,20 DM auf 223,87 DM) folgt in Deutschland unmittelbar ein mehrfaches Sonntagsfahrverbot (im November und Dezember 1973) und die Einführung neuer Geschwindigkeitsbeschränkungen. 1974/75 stagniert bzw. fällt das vorher deutliche Wirtschaftswachstum, die Zahl der Arbeitslosen klettert von 273.000 im Jahre 1973 auf 1.047.000 im Jahre 1975.
  3. Vgl. zwischengas.com, Beitrag vom 4.9.2011: Die Internationale Automobilausstellung in Frankfurt von 1973 bis 1979 / von Bruno von Rotz (eingesehen am 12.9.2012).
Belege
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.9.1973, S. 31: Frankfurter Automobil-Ausstellung nach vier Jahren wieder eine große Schau: Ein breites Angebot, aber nur wenig wirklich Neues auf der 45. IAA
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.9.1973, S. 15: Friderichs: Für das Auto gibt es noch keine Alternative: Die Industrie warnt vor zuviel Reglementierung / 45. Internationale Automobilausstellung eröffnet
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Eröffnung der 45. Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt, 13. September 1973“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/1332> (Stand: 13.9.2022)
Ereignisse im August 1973 | September 1973 | Oktober 1973
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