Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Zeitgeschichte in Hessen - Daten · Fakten · Hintergründe

Gehe zu Treffer
 

Festnahme führender RAF-Mitglieder in Frankfurt, 1. Juni 1972

Am Fronleichnamstag werden die RAF-Terroristen Andreas Baader (1943–1977), Holger Meins und Jan-Carl Raspe im Garagenhof eines Wohnblocks im Frankfurter Nordend (Stadtteil Dornbusch) gestellt und nach einer Schießerei, bei der Andreas Baader am linken Oberschenkel verletzt wird, von der Polizei verhaftet. Damit gelingt den Behörden nach mehr als zweijähriger bundesweiter Großfahndung nach den Köpfen der „Roten Armee Fraktion“ in Frankfurt ein schwerer Schlag gegen den „harten Kern“ der linksextremistischen Terrorgruppe, die im Mai 1972 durch eine Anschlagsserie auf deutsche und US-amerikanische Einrichtungen insgesamt vier Menschen tötet und mehr als 30 verletzt hat.

Das Grundstück wird von Beamten umstellt, die die Terroristen auffordern, sich zu ergeben. Ein Panzerfahrzeug blockiert den Garagenhof und versucht, das Garagentor einzudrücken. Explodierende Tränengaskörper zwingen die Gesuchten zum Fluchtversuch, ein Kugelhagel aus den Maschinenpistolen der Polizei treibt sie zurück. Baader wird getroffen und geht schreiend zu Boden. Nur Augenblicke später ergibt sich Holger Meins, der von den Kriminalbeamten aus Sicherheitsgründen fast vollständig entkleidet wird. Zufällig auf das Geschehen aufmerksam gewordene Journalisten des Hessischen Rundfunks, dessen Hauptgebäude nur wenige hundert Meter entfernt liegt, dokumentieren die Festnahme in Bild und Ton.

An der dreistündigen Aktion, die über einen Zeitraum von mehr als zwei Wochen durch Observation des „Objekts Garage“1 akribisch vorbereitet worden ist, beteiligten sich Kräfte der Frankfurter Polizei, der hessischen Bereitschaftspolizei und des Bundeskriminalamtes (BKA). Seitens der Ordnungskräfte rechnete man mit dem Erscheinen der Terroristen, da ein in Stuttgart aufgetauchter anonymer Brief für Freitag den 2. Juni (Todestages des Berliner Studenten Benno Ohnesorg, der am 2. Juni 1967 bei einer Demonstration gegen den Schahbesuch von einem Polizisten erschossen wurde) Anschläge mit Sprengsätzen angekündigt hat. Andreas Baader wird vorläufig in die Frankfurter Universitätsklinik gebracht, seine Komplizen lässt die Polizei ohne Angabe eines Zielortes ausfliegen.

Ausnahmslos erklären die Anwohner gegenüber Journalisten der „Frankfurter Rundschau“, dass ihnen die Anwesenheit der „jungen Leute“ stets unverdächtig erschienen ist.2 Lediglich die Vielzahl auffälliger Automobile erregt Aufmerksamkeit: neben dem dunkelvioletten Porsche 911 Targa, mit dem die Terroristen am frühen Morgen des 1. Juni (nach Aussage der Einsatzbeamten entgegen der Einbahnstraße) am Hofeckweg eintreffen, stehen hier regelmäßig noch ein Alfa Romeo und ein NSU Ro80 – und momentan ein äußerst exklusiver italienischer Sportwagen des Typs Iso Rivolta 300, das Lieblingsmodell von Andreas Baader, der keinen Führerschein besitzt und in der Vergangenheit wiederholt durch halsbrecherische Fahraktionen und Unfälle polizeilich aktenkundig wurde.

Sowohl in Baaders Porsche als auch in der Garage werden Sprengstoffe sichergestellt. Im Kofferraum des auberginefarbenen 911 Targa transportieren die Extremisten Eierhandgranaten und eine Bombe in Form einer verschweißten Geldkassette. Die Garage beherbergt neben dem Iso weitere Sprengsätze (ein hochexplosives Pulver ist von den observierenden Beamten bereits zwei Tage zuvor gegen ein harmloses Duplikat ausgetauscht worden), Munition, Zünder und Kabel. In Frankfurt existiert ein dicht geknüpftes Netz von Sympathisanten, das die Terroristen nutzen, nachdem ihnen der Standort Berlin im Winter 1970 zu unsicher geworden ist.
Noch am Morgen des 1. Juni löst das Bundeskriminalamt eine Großfahndung nach fünf Kraftfahrzeugen aus, mit denen sich möglicherweise weitere Angehörige der „Baader-Meinhof-Gruppe“ auf der Flucht befinden.3
(KU)


  1. DER SPIEGEL 24/1972, 5.6.1972, S. 20.
  2. Die Frankfurter Rundschau berichtet am 2. Juni 1972 unter dem Titel „Das letzte Gefecht im Kühhornshofweg“ von der spektakulären Festnahme der drei Terroristen, die dort im Innenhof eines dreigeschossigen Hauses mit der Hausnummer 2 einen Kellerraum und eine Garage gemietet haben sollen. Tatsächlich handelt es sich aber bei dem Eckhaus im Kühhornshofweg um die falsche Adresse – die Polizei stellt die gesuchten linksextremistischen Gewalttäter an einem Wohnblock am Hofeckweg (Nr. 2-4), der als Seitenstraße den Kühhornshofweg mit der Kaiser-Sigmund-Straße verbindet.
  3. Im Einzelnen ein dunkelgrüner Peugeot (amtl. Kennzeichen PLÖ–P 244), ein dunkelblauer BMW (HH–AS 1457), ein roter Alfa Romeo 1750 GT (M–X 4445), ein Opel Commodore (Kennzeichen MA–KA 829) und ein dunkelgrün-metallicfarbener NSU Ro80 (MA–P 4595). Die Kennzeichen könnten untereinander ausgewechselt worden sein. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.6.1972, S. 1.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Festnahme führender RAF-Mitglieder in Frankfurt, 1. Juni 1972“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/1310> (Stand: 1.6.2023)
Ereignisse im Mai 1972 | Juni 1972 | Juli 1972
Do.Fr.Sa.So.Mo.Di.Mi.Do.Fr.Sa.So.Mo.Di.Mi.Do.Fr.Sa.So.Mo.Di.Mi.Do.Fr.Sa.So.Mo.Di.Mi.Do.Fr.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30