Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Bürstadt Karten-Symbol

Gemeinde Bürstadt, Landkreis Bergstraße — Von Wolfgang Fritzsche
Basisdaten | Geschichte | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | Nachweise | Indizes | Empfohlene Zitierweise
Basisdaten

Juden belegt seit

1435

Lage

68642 Bürstadt, Mainstraße 24 | → Lage anzeigen

Rabbinat

bis 1926 Darmstadt II, ab 1926 Darmstadt I

religiöse Ausrichtung

bis 1926 orthodox, danach liberal

erhalten

nein

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historisches Ortslexikon

Geschichte

Der älteste Nachweis eines jüdischen Bewohners in Bürstadt stammt aus dem Jahr 1435, als der „Jude Helfrich vom Stein“ als Besitzer eines Hofes genannt wird.1 Eine Siedlungskontinuität lässt sich daraus jedoch nicht ableiten. Im Gegenteil: Für die Zeit, während der Bürstadt zu Kurpfalz gehörte, liegen keine Hinweise auf im Ort lebende Juden vor. Erst ab Ende des 17. Jahrhunderts verdichtet sich die archivalische Überlieferung. So lebte 1668 ein Jude im Ort. 1672 wird mit Löw erstmals ein Jude namentlich genannt. In den folgenden Jahren kamen 1680 Aaron Samuel, 1705 Moses und Sabel und 1720 Moiche, Anschel und Samuel hinzu.2 Im Laufe des 18. Jahrhunderts steigt die Zahl jüdischer Einwohner, so dass davon ausgegangen werden kann, dass sich um die Wende zum 19. Jahrhundert eine Gemeinde gründete.

Um diese Zeit tauchen erstmals die später geläufigen Familiennamen auf. Es sind dies zunächst Sinsheimer, Sondheimer (auch Sundheimer) und Strauß. Später kommen Brückmann und Vogel, aber auch Flörsheim, Hochstädter, Koch, Lösermann, Meyer oder Mehrl hinzu.

1806 erreichte die Gemeinde mit 27 Personen ihren prozentual höchsten Stand. Er betrug 2 % der Gesamtbevölkerung. 1867 war auch der absolut höchste Stand mit 50 Personen erreicht. Danach sank die Zahl wieder und lag 1925 bei 38.3

Ob, und wenn ja, wo die junge Gemeinde eine Betstube nutzte, ist nicht bekannt. Eine erste Synagoge wurde 1818 auf dem Grundstück mit der heutigen Bezeichnung Mainstraße 24 erbaut.

Im Gegensatz zu den meisten anderen jüdischen Gemeinden hatte die Gemeinde in Bürstadt einen Christen als Gemeinderechner bestellt.

Einer Vermögensaufstellung ist der Gemeindebesitz im Jahr 1901 zu entnehmen. Neben der Synagoge und dem Schulhaus besaß die Gemeinde vier auf Pergament geschriebene Thorarollen, einen ebenfalls auf Pergament geschriebenen Auszug aus den Büchern der Propheten, vier Vorhänge, einen Beschneidungsstuhl, fünf Subsilien, einen silberner Deuter, einen Messingleuchter, zwölf Mäntel um die Thora, einen Kessel in der Mikwe sowie verschiedene Schulgerätschaften.4

Schon vor dem Ersten Weltkrieg war es schwierig geworden, die für den Minjan erforderliche Anzahl an Männern aus der eigenen Gemeinde zu stellen. Deswegen kamen Männer aus den umliegenden Gemeinden. Sie sind teilweise noch namentlich in den Rechnungsbüchern nachweisbar und stammten aus Bensheim, Lampertheim, Biblis oder Lorsch.

Während des Ersten Weltkrieges, an dem unter anderem Oskar Sinsheim und Albert Meyer als Soldaten teilnahmen, fanden keine Gottesdienste statt.

Aufgrund zahlreicher Repressalien und Boykotte verließen viele jüdische Bürstädter den Ort. 1933 wurden rund 30 Bürstädter, darunter auch Moritz Hochstädter und Adolf Sondheimer, festgenommen und in das Außenlager Osthofen deportiert. Adolf Sondheimer verstarb nach seiner Entlassung im Juli 1933. In der Pogromnacht drangen Nazis in die Wohnung von Albert Meyer ein, verwüsteten sie und misshandelten seine 17-jährige Tochter schwer.

Betsaal / Synagoge

Die jüdische Gemeinde Bürstadt errichtete 1818 eine erste Synagoge in der Mainstraße, heute Nr. 24. Ob vorher im Ort ein Betsaal bestand, ist nicht bekannt.

Die Synagoge wurde 1860 durch einen Neubau ersetzt, der 1.700 Gulden kostete. 200 davon stiftete die politische Gemeinde, weitere 200 die Sparkasse Lorsch.

Trotz sinkender Zahl der Gemeindemitglieder wurde noch zu Beginn der 1930er Jahre Gottesdienst gehalten. Da kein Minjan mehr erreicht wurde, lud man Männer aus benachbarten Ortschaften ein, die gegen ein geringes Entgelt teilnahmen.5

Am 28. November 1937 meldete Gustav Flörsheimer aus Bürstadt, dass dauerhaft kein Minjan mehr zustande käme und daher keine Gottesdienste mehr gehalten würden. Er bat um Auskunft, wie mit den Kultgegenständen zu verfahren sei. So hatten beispielsweise einzelne Mitglieder angefragt, ob der Erwerb bestimmter Gegenstände, wie Sephorim oder Silber, als Andenken möglich sei. Rabbiner Bienheim teilte daraufhin mit, alle Kultgegenstände „insbesondere Sephorim, Thoraschmuck, sind Eigentum der jüdischen Gesamtheit und dürfen deshalb nicht einzelnen Gemeindemitgliedern als Privatbesitz übergeben werden.“6 Daraufhin wurden die Kultgegenstände nach Heppenheim ausgelagert und das Synagogengrundstück an eine christliche Familie verkauft. Die neuen Besitzer ließen zunächst die Synagoge, später auch das Wohnhaus abbrechen.7

Seit 2013 befindet sich an dem Haus eine Gedenktafel mit der Inschrift „Hier standen Synagoge und Gemeindehaus der israelischen Gemeinde Bürstadt. Die jüdische Gemeinde wurde durch die Nationalsozialisten entrechtet, vertrieben und vernichtet. Die Synagoge verschwand Anfang der 40er Jahre aus dem Stadtbild.“

Weitere Einrichtungen

Mikwe

In der alten Synagoge, Mainstraße 24, bestand spätestens seit 1842 auch eine Mikwe. Ihr Bau war durch ein Legat von Salomon Sinsheimer ermöglicht worden. Als Einrichtungsgegenstände sind den Rechnungsbüchern zwei Öfen, ein Badekessel und eine Pumpe sicher zu entnehmen. Mit dem Bau der neuen Synagoge 1861/62 zog diese in das auf dem Nachbargrundstück gelegene Wohnhaus um. Als dieses 1902 vermietet wurde, wurde die Mikwe explizit aus dem Mietgegenstand herausgenommen.

Schule

In unmittelbarer Nachbarschaft zur Synagoge, heute Mainstraße 22, stand ein Wohnhaus, das ebenfalls der israelitischen Gemeinde gehörte. Es war an Christen vermietet, zu deren Aufgabe es unter anderem gehörte, die Synagoge zu reinigen, die Lichter anzuzünden und im Winterhalbjahr zu heizen. Auch hatten sie zu bestimmten Zeiten Räume für den Schulunterricht der jüdischen Kinder vorzuhalten.8 Ebenso wie die Synagoge wurde auch dieses Haus 1860/61 grundlegend erneuert. Einem 1902 geschlossenen Mietvertrag ist die genaue Regelung zu entnehmen: „Das hintere Zimmer der Parterrewohnung muß der Miether mindestens dreimal wöchentlich zur Verfügung stellen, damit den Kindern darin Religionsunterricht erteilt werden kann. Ferner verpflichtet sich der Miether, die Reinigung der Synagoge und zwar dreimal im Jahr gründlich und mindestens alle 14 Tage bis drei Wochen auszukehren abzustauben und im Winter die Heizung der Synagoge zu besorgen und auf Verlangen die Lichter anzuzünden und auszulöschen.“9

Friedhof

Die Gemeinde bestattete ihre Verstorbenen auf dem Friedhof in Alsbach, auf dem sich 78 Grabstätten verstorbener Bürstädter der Zeit von 1720 bis 1933 erhalten haben.

Alsbach, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Alsbach, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

Nachweise

Weblinks

Quellen

Literatur

Abbildungen

Fußnoten
  1. Wolter: Das kleine jüdische Ortssippenbuch, S. 1
  2. Goll: Israelitische Religionsgemeinde von Bürstadt, S. 9
  3. Goll: Israelitische Religionsgemeinde von Bürstadt, S. 16
  4. Goll: Israelitische Religionsgemeinde von Bürstadt, S. 62
  5. Hellriegel: Synagogen im Kreis Bergstraße, S. 107
  6. HStAD Q 2, 43
  7. Hellriegel: Synagogen im Kreis Bergstraße, S. 107
  8. Goll: Israelitische Religionsgemeinde von Bürstadt, S. 28
  9. Zitiert nach Goll: Israelitische Religionsgemeinde von Bürstadt, S. 33
Empfohlene Zitierweise
„Bürstadt (Landkreis Bergstraße)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/syn/id/42> (Stand: 22.7.2022)