Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Biblis Karten-Symbol

Gemeinde Biblis, Landkreis Bergstraße — Von Wolfgang Fritzsche
Basisdaten | Geschichte | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | Nachweise | Indizes | Empfohlene Zitierweise
Basisdaten

Juden belegt seit

1668

Lage

68647 Biblis, Bachgasse | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

erhalten

nein

Jahr des Verlusts

1982

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historisches Ortslexikon

Geschichte

Der älteste Hinweis auf in Biblis wohnende Juden stammt aus dem Jahr 1668, als im Jurisdiktionalbuch des Oberamt Starkenburg zwei im Ort lebende Juden erwähnt wurden, die jeder zehn Gulden Abgaben zu leisten hatten.1

Der nächst jüngere Hinweis stammt von einem Grabstein auf dem Friedhof in Alsbach. Dort liegt der am 27. Oktober 1692 verstorbene „David Salomo, Sohn des Moses Jehuda seligen Andenkens, Sohn des Gemeindevorstehers und Leiters Salman“2 bestattet. Dies ist zudem der älteste Grabstein eines in Biblis verstorbenen Juden.

Daraus ist nicht zwangsläufig der Hinweis abzuleiten, zu dieser Zeit habe bereits eine jüdische Gemeinde in Biblis bestanden. Die Inschrift des Steins besagt nichts anderes, als dass dort der Sohn eines Vorstehers bestattet ist. Sie sagt nichts darüber aus, wo sich dessen Gemeinde befunden hat.

Im 18. Jahrhundert stieg die Zahl der in Biblis wohnenden Juden. Anfang 1720 besaß die Familie Itzig ein Haus in der Bachgasse 10 und Löb Salomon eines in der heutigen Darmstädter Straße 21.3 1737 erwarb Salomon ein Haus von Barthel Reis und zahlte dafür 555 Gulden. 1741 wurde Feist Moses als Vorsteher der Juden genannt,4 wobei nicht geklärt ist, ob damit ausschließlich eine eventuell bereits bestehende Gemeinde in Biblis gemeint ist. Bis 1778 stieg die Anzahl der Schutzjuden auf fünf an, um bis 1817 auf neun Familien anzuwachsen.

Formal wurde eine Gemeinde um 1845 gegründet. Bereits zwölf Jahre zuvor ließ sie sich in der heutigen Enggasse eine Synagoge erbauen. Während noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts die meisten Haushaltsvorstände ihr Einkommen als Vieh- und Warenhändler erwirtschafteten, erweiterte sich das Berufsspektrum ab Mitte des Jahrhunderts. Neben Kaufleuten und Viehhändlern lebten nun zwei Metzger, ein Zahnarzt und zwei Matzenbäcker in Biblis.

Lag 1828 die Zahl der jüdischen Einwohner noch bei 75, so stieg sie in den folgenden Jahren auf 182 in 1861, um 1871 mit 211 ihren höchsten Stand zu erreichen. Das entsprach etwa 9,5 % der Wohnbevölkerung. Häufige Familiennamen waren Bodenheimer, Frankel, Heymann, Hochschild, Spies und Steuerman.

Zur Gemeinde zählten auch die in Nordheim wohnenden Juden.

Eine der prägenden Persönlichkeiten war der Rabbiner Salomon Bodenheimer. Er wurde 1813 als jüngstes von acht Kindern in Biblis geboren, wo er 1886 auch verstarb. Fünf Jahrzehnte war er Vorsteher der Bibliser Religionsgemeinde und anerkannte rabbinische Autorität und Mohel. Durch die Gründung verschiedener Einrichtungen machte er Biblis zu einem Zentrum orthodox-jüdischen Lebens in der Region. Dazu gehörte vor allem eine Talmud-Thora Schule sowie die am 13. Januar 1864 gegründete Israelitische Elementarschule. Auch an der Gründung des Israelitischen Erziehungsinstituts in Pfungstadt war er maßgeblich beteiligt.

Die überwiegende Mehrzahl der jüdischen Einwohner lebte vom Handel, daneben gab es Metzgereien und zwei Matzenbäckereien. Um 1900 arbeitete zudem eine jüdische Leinenweberei in der Hintergasse 29, die aber wenig später wieder aufgegeben wurde.5

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann die Zahl der jüdischen Einwohner wieder zu sinken und lag 1925 bei circa 100. Zu dieser Zeit bestanden ein jüdischer Frauenverein und ein Brautausstattungsverein.

Der 1881 in Biblis geborene Moritz Hochschild wanderte nach Südamerika aus und gründete dort einen Minenkonzern, mit dem er zu Wohlstand kam. Er half als „El Magnate Ministerioso“ während des sogenannten Dritten Reiches zahlreichen Verfolgten bei der Auswanderung. Nach ihm ist in Biblis die Hochschildstraße benannt. Der 1871 als Sohn eines Arztes in Biblis geborene Hugo Sellheim machte Karriere als Geburtshelfer und Gynäkologe an verschiedenen Universitäten. Auch nach ihm ist in Biblis eine Straße benannt.6

1938 lebte Siegmund Wolf in der Hintergasse 27, Adolf Frankel in der Darmstädter Straße 46, Simon Spieß in der Bahnhofstraße 29, Salomon Mayer in der Darmstädter Straße 26, Sacky Steiermann in der Bachgasse 3-5, der heutigen Enggasse, und Moses Frankel in der Bahnhofstraße 10. Sie wurden überfallen und die Wohnungen teilweise zerstört. Allein die Wohnung von Arthur Spies in der Bachgasse 15 blieb verschont, da sie zu diesem Zeitpunkt bereits an einen christlichen Besitzer verkauft worden war. Am 18. November 1938 verließ der letzte jüdische Einwohner Biblis.

Betsaal / Synagoge

Vor dem Bau einer Synagoge nutzte die Gemeinde das Haus Darmstädter Straße 21, das spätestens seit 1720 im Besitz einer jüdischen Familie stand. Dort war ein Betsaal untergebracht. Der geplante Einbau eines Thoraschreins 1821, der einen Wandvorsprung über das Nachbargrundstück zur Folge gehabt hätte, wurde wohl nicht realisiert.

Nach bereits 1821 aufgenommenen ersten Überlegungen ließ sich die Gemeinde schließlich 1832 eine neue Synagoge in der Enggasse 6 bauen. Es war ein zweigeschossiges, mit einem Satteldach gedecktes Gebäude. Der erhöht gelegene, eingezogene Eingang war über eine siebenstufige Treppe zu erreichen. Über dem Männerraum erstreckte sich die Frauenempore. Im Untergeschoss soll sich eine Mikwe befunden haben. In dem gegenüber liegenden Haus lebte der Kantor. Auch hier soll eine Mikwe bestanden haben.

Am 12. September 1938 verkauften die Vorstandsmitglieder Salomon Mayer und Sacky Steiermann die Synagoge für 1.200 Reichsmark an die bürgerliche Gemeinde Biblis. Die Kultgegenstände wurden in die Synagoge nach Heppenheim ausgelagert.7

In der Pogromnacht zerstörten SA-Leute die Inneneinrichtung. Angeblich soll dabei auch ein örtlicher Lehrer samt einer Schulklasse mitgewirkt haben. Das Gebäude wurde während des Krieges durch den Reichsluftschutzbund genutzt, anschließend wohnten dort Flüchtlinge. Zeitweise war es eine Gaststätte und wurde später auch als Schreinerei genutzt. 1981/82 wurde das zwischenzeitlich baufällig gewordene Gebäude zugunsten einer Erweiterung des Rathauses abgebrochen.

Zum Gedenken an die Synagoge errichtete die Gemeinde 1982 in der Enggasse einen Gedenkstein mit der Inschrift „Zur Erinnerung an die Synagoge in der Enggasse 6, 1832-1938“

Weitere Einrichtungen

Mikwe

1832 ließ sich die Gemeinde in der Enggasse eine Synagoge mit Mikwe bauen. In der 1864 in der Bachgasse eröffneten Privatschule befand sich ebenfalls eine Mikwe, die nach Verlegung der Schule in die Darmstädter Straße in das 1848 erbaute Haus des Kantors in der Enggasse verlegt wurde.

Schule

In Biblis bestand eine israelitische Religionsschule, die 1855 in eine Elementarschule umgewandelt und vergrößert wurde. Auf Initiative des langjährigen Gemeindevorstehers Salomon Bodenheimer wurde am 13. Januar 1864 die Israelitische Privatschule in der Bachgasse 3 gegründet, in der sich auch eine Mikwe befunden haben soll.8 Später verlegte die Gemeinde sie in die Darmstädter Straße 34. Ihre Schüler waren vom Besuch der staatlichen Schule befreit. Durch Verfügung des großherzoglichen Ministeriums wurde die Schule Anfang des Jahres 1900 aufgelöst. Das ehemalige Schulhaus ging in den Besitz des Bäckers Steiermann über, der es als Backhaus nutzte.

Friedhof

Die Verstorbenen der Gemeinde wurden auf dem Friedhof in Alsbach bestattet, auf dem sich 190 Grabsteine der Zeit zwischen 1692 und 1938 erhalten haben.

Alsbach, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Alsbach, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

Nachweise

Weblinks

Quellen

Literatur

Abbildungen

Fußnoten
  1. HStAD Best. C 3, Nr. 126/1 zitiert nach Doerr
  2. zitiert nach http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/gsrec/current/3/sn/juf?q=Alsbach+1692
  3. Ortsangaben nach Dörr, Manuskript
  4. Gobs, 1986, S. 266
  5. Alicke, 2008, Sp. 474
  6. Alicke, 2008, Sp. 475
  7. HHStAW 503, 7379
  8. Alicke, 2008, S. 473
Empfohlene Zitierweise
„Biblis (Landkreis Bergstraße)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/syn/id/33> (Stand: 22.7.2022)