Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Breitenbach am Herzberg Karten-Symbol

Gemeinde Breitenbach am Herzberg, Landkreis Hersfeld-Rotenburg — Von Barbara Greve
Basisdaten | Geschichte | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | Nachweise | Indizes | Empfohlene Zitierweise
Basisdaten

Juden belegt seit

16. Jahrhundert

Lage

36287 Breitenbach am Herzberg, Zum Herzberg 4 | → Lage anzeigen

erhalten

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historisches Ortslexikon

Geschichte

Der Ort Breitenbach am Herzberg, an der alten Handelsstraße der Kurzen Hessen von Frankfurt nach Thüringen gelegen, war ein Lehen der Herren von Dörnberg gewesen. Man kann davon ausgehen, dass diese die Ansiedlung von Juden gefördert haben.

Für das 16. Jahrhundert ist ein Judenzoll zu Breitenbach belegt.1 Juden lassen sich für Breitenbach am Herzberg seit 1610 sicher nachweisen.2 In der bekannten „Hessischen Judenstättigkeit“ von 1744 werden vier unter dem hessischen Schutz stehende Juden, d.h. also vier Familien, zu Breitenbach genannt, einem weiteren Juden wird der Schutz verweigert.3 1816 lebten sieben jüdische Familien im Ort,4 1835 waren es 33 Personen und 1889 wurden 60 Männer und Frauen mit 10 Söhnen und 9 Töchtern gezählt. Ihre Zahl stieg kontinuierlich und erreichte ihren Höhepunkt 1910, als 47 Männer, 42 Frauen, 18 Söhne und 10 Töchter in den Gemeinderechnungen vermerkt wurden.5 Nach 1917 nahm die Zahl der Gemeindemitglieder wieder ab. Genaue Zahlen dazu liegen nicht vor.

Die jüdische Bevölkerung der Synagogengemeinde Breitenbach am Herzberg ist im 19. Jahrhundert aus den erhaltenen Geburts-, Trau- und Sterberegistern für den Zeitraum von 1838 bis 1906 gut belegt.6 Die Register sind in Arcinsys digital eingestellt.

Sämtliche jüdischen Bürger verließen Breitenbach vor 1940 oder wurden kurz darauf zu einem Umzug gezwungen. Genauere Angaben gibt es auch dazu nicht. 29 Juden, die in Breitenbach geboren wurden oder in enger familiärer Beziehung zu dem Ort standen, starben im Holocaust.7

Betsaal / Synagoge

Die Gemeinde unterhielt bis 1888 einen Betsaal im Haus eines christlichen Eigentümers, nach 1888 im Haus Nr. 75, welches im Besitz des Jeisel/Joseph Wallach war.8 1898 kaufte die Gemeinde von Wallach dieses Gebäude am Ortsrand, ein zweistöckiges, zweizoniges Fachwerkhaus auf einem Sandsteinsockel. Im Erdgeschoss wurde die Schulstube eingerichtet, im Obergeschoss lag der Betsaal. Die andere Hälfte des Gebäudes wurde an eine christliche Familie vermietet.9 In den Gemeinderechnungen wird das Haus erst für das Jahr 1910/11 als Gemeindeeigentum verzeichnet. Man hatte für die Kaufsumme einen Kredit von 8.500 Mark bei der Kreissparkasse aufnehmen müssen. Die Gemeinde war sehr arm. Das Gemeindevermögen umfasste trotzdem 1889 vier Thora-Rollen, eine Megillah, einen Leuchter, einen Schrank, einen Tisch und eine neue Posaune [Schofar].

Die Synagoge hat die Pogromnacht 1938 als Bau überstanden. Über Schäden im Inneren und das Schicksal der Ritualgegenstände ist Näheres nicht bekannt. 1939 wurde die Synagoge zwangsweise verkauft. In späterer Zeit wurde das Gebäude in ein Zweifamilienhaus umgebaut. An die vormalige Nutzung als Synagoge erinnert nichts mehr.10

Weitere Einrichtungen

Mikwe

1829 wurde vermerkt, dass es in Breitenbach schon keine Erdlöcher mehr für die Frauen gäbe.11 Ein rituell und hygienisch einwandfreies Frauenbad wurde erst seit 1882 im Haus der Gebrüder Jeisel, Leiser und Hirsch Wallach betrieben, welche sich aber an den Kosten hierfür, 1888 waren dies 12,70 Mark, nicht auch noch beteiligen wollten. Es handelte sich hierbei wohl um das in einem rückwärtigen Anbau an der Synagoge in den 1990er Jahren noch bestehende, etwa 1,5 x 2 Meter große gemauerte Wasserbecken mit einem Zulauf aus dem nahen Bach.12

Schule

Die Schulstube war bis Ende des 19. Jahrhunderts ein gemieteter Raum bei verschiedenen Gemeindemitgliedern. Nach Ankauf des Synagogengebäudes fand sie ihren Platz im Erdgeschoss des Hauses. Es geht aus den Akten nicht immer eindeutig hervor, ob sich der Begriff „Schule“ auf den allgemeinen Unterricht der jüdischen Kinder bezieht, oder ob damit nur der Religionsunterricht gemeint ist, denn 1908 erwähnt der Bürgermeister, dass die jüdischen Schüler auch [weiterhin] die Gemeindeschule besuchen könnten.13

1816 ist Meyer Seligmann aus Nentershausen als Vorsänger belegt. Ihm folgte der bereits 70jährige und völlig verarmte Vorsänger Marcus Lazarus. 1855 wird Daniel König aus Mackenzell genannt und 1885 G. Oppenheim aus Niederaula, welcher vier Stunden Religionsunterricht pro Woche in Breitenbach erteilte. Ihm folgte Jacob Werhan, welcher im März 1900 in den Ruhestand ging. Auch die späteren Lehrer sind bekannt.

Gegen 1931 war das Synagogen- und Schulgebäude durch seine ungünstige Lage bereits in einem sehr schlechten Zustand. Bei einer Visitation 1929 stand der Keller unter Wasser, so dass die Fäulnis hochsteigen konnte. Die Dielen des Klassenzimmers waren morsch und verschmutzt, der Abort unsauber und dunkel. Am 20. April 1931 wurde durch die Preußische Regierung Kassel, Amt für Schul- und Kirchenwesen, das Kultusamt von den Aufgaben des Lehrers getrennt. Mit Wirkung vom 4. November 1933 wurde der letzte Lehrer Stern in den Ruhestand versetzt.14

Friedhof

1907 wurde ein jüdischer Friedhof angelegt.15 Der Friedhof „Am Roeteberg“ umfasst eine Fläche von 570 Quadratmetern in Hanglage. Er wurde während des Novemberpogroms 1938 geschändet und in der Folge 1940 für 300 Mark an einen Ortsansässigen verkauft. 1950 wurde das Grundstück an die IRSO wieder zurückgegeben. An Schäden wurden 422,76 DM in Rechnung gestellt.16

Erhalten sind gegenwärtig 29 Grabsteine des gesicherten Zeitraums von 1911 bis 1939. Sie sind zum Teil neu aufgestellt bzw. aus Sicherheitsgründen auch abgelegt. Vor der Anlage ihres eigenen Friedhofs 1907 begruben die Juden aus Breitenbach ihre Toten auf dem großen Sammelfriedhof in Oberaula.17 Dort sind nach den Grabinschriften wenigstens 19 Juden aus Breitenbach für den Zeitraum von 1753 bis 1906 nachzuweisen.

Breitenbach am Herzberg, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Oberaula, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Oberaula, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

Nachweise

Weblinks

Quellen

Literatur

Abbildungen

Fußnoten
  1. Löwenstein, Quellen 3, S. 388 N 263
  2. HStAM 40 a Rubr. 16 Generalia, Pak. 2; Greve, Jüdisches Leben, S. 683 ff.
  3. Greve, Jüdisches Leben, S. 684; Greve, Friedhof Oberaula, S. 161 f.
  4. HStAM 33b, 193
  5. HStAM Rechnungen III Breitenbach, 1784
  6. HHStAW 365, 85-87
  7. Gedenkbuch des Bundesarchivs
  8. Greve, Jüdisches Leben, S. 686 f.
  9. HStAM, Rechnungen III Breitenbach, 1784
  10. Altaras, Synagogen, S. 127
  11. HStAM, 180 Ziegenhain, 2428
  12. Greve, Jüdisches Leben, S. 687
  13. HStAM 180 Ziegenhain, 2427
  14. HStAM 180 Ziegenhain, 3924
  15. HStAM, 180 Ziegenhain, 3642. – Händler-Lachmann, Kulturgeschichte, S. 122 f.
  16. HHStAW 519/2, 1331; 518, 1341
  17. Greve, Friedhof Oberaula, S. 166 ff.
Empfohlene Zitierweise
„Breitenbach am Herzberg (Landkreis Hersfeld-Rotenburg)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/syn/id/202> (Stand: 22.7.2022)