Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Übersichtskarte Hessen
Messtischblatt
5623 Schlüchtern
Moderne Karten
Kartenangebot der Landesvermessung
Historische Karten
Kurfürstentum Hessen 1840-1861 – 96. Schlüchtern
  • Vorschaubild
  • Vorschaubild

Sterbfritz Karten-Symbol

Gemeinde Sinntal, Main-Kinzig-Kreis — Von Wolfgang Fritzsche
Basisdaten | Geschichte | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | Nachweise | Indizes | Empfohlene Zitierweise
Basisdaten

Juden belegt seit

Mitte 18. Jahrhundert

Lage

36391 Sinntal, Ortsteil Sterbfritz, Im Aspen 9 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Hanau

erhalten

nein

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historisches Ortslexikon

Geschichte

Sterbfritz wurde im Jahr 815 erstmals urkundlich erwähnt. Es gehörte zum Gericht Altengronau und kam 1333 an die Herrschaft Hanau und 1459 an die Grafschaft Hanau-Münzenberg. Diese übergab den Ort mit dem umgebenden Amt Schwarzenfels 1643 als Pfand an die Landgrafen von Hessen-Kassel, bei denen es bis zur Annexion durch Preußen 1866 verblieb.

Seit 1821 gehörte Sterbfritz zum Landkreis Schlüchtern und wurde 1969 zunächst mit Nachbarorten vereinigt, um ab 1974 zur Gemeinde Sinntal zu gelangen.

Seit wann genau Juden in Sterbfritz lebten, ist nicht bekannt. Es wird davon ausgegangen, dass sie erst nach dem 30-jährigen Krieg in den 1660er Jahren in größerem Umfang zuzogen. Ebenfalls unbekannt ist, wann sich eine Gemeinde im Ort konstituierte. Als 1790 der Bau einer neuen Synagoge beantragt wurde, hieß es, dass seit mehr als 50 Jahren Juden im Ort lebten und einen Betraum nutzten. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass spätestens seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Gemeinde bestand. 1772 gab es neun jüdische Haushalte, deren Vorstände überwiegend nur geringen Handel trieben. Sechs von ihnen sind namentlich bekannt: Füttel, David, Meyer, Benedict, Nausem und Füttel Martgen.1

Als 1811 Juden bürgerliche Namen annehmen mussten, wählten sie vielfach Strauß, Goldschmidt, Birk, Hecht, Grünbaum, je einmal auch Lichtenflecken, Diefenbach und Schick.2

Im 19. Jahrhundert wuchs die Anzahl jüdischer Einwohner deutlich an. Lag sie 1835 noch bei 121, erreichte sie 1885 mit 169 ihren höchsten Stand, was rund 16 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte. Damit gehörte die jüdische Gemeinde Sterbfritz zu den bedeutendsten Gemeinden der Region.

Neben sieben Viehhändlern gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwei Pferdehändler, einen Gemüsehändler und weitere Kaufleute und Händler. Mitglieder der Familie Schuster waren Bäcker, Michael Schuster betrieb sogar ein Café.

Nach 1933 hatte der Ort noch 94 jüdische Einwohner, von denen 29 in das Ausland emigrierten. Andere verzogen in nahe gelegene Städte, beispielsweise Frankfurt. Mindestens zwölf Personen wurden im Mai und August 1942 deportiert.3 An alle aus Sterbfritz stammenden und ermordeten Juden erinnert ein Gedenkstein auf dem Friedhof in Altengronau.

Betsaal / Synagoge

Bis Ende des 18. Jahrhunderts nutzte die Gemeinde einen Betsaal im Privathaus von Mordechai Füttel, einem Gemeindemitglied. 1790 war dieser Raum für die angewachsene Zahl der Gottesdienstbesucher zu klein geworden, zudem gab es dort keine abgesonderten Frauenplätze und der Besitzer benötigte den Raum selber.4 Daher kam der Wunsch nach einem eigenständigen Gebäude auf.

Mit Kaufvertrag vom 27. März 1790 erwarb die Gemeinde für 65 Gulden ein kleines Grundstück unmittelbar am Wohnhaus von Erasmus Steinbrecher und plante, darauf ein Gemeindehaus mit Betraum, Schule und einer Wohnung für den Lehrer zu bauen. Die Genehmigung dazu wurde am 18. Februar 1791 erteilt.5 Aufgrund der geringen finanziellen Mittel gewährte die Regierung im Dezember 1792 einen Zuschuss in Höhe von 15 Gulden.

Vermutlich wurde schon vergleichsweise früh in deutscher Sprache gepredigt, denn 1842 und 1844 offerierte die Zeitung „Der Israelit“ drei in Hersfeld im Druck erschienene Predigten in deutscher Sprache, die zuvor in den Synagogen Sterbfritz und Oberaula gehalten worden waren.6

1871 wurde die Synagoge mit 60 neuen Sitzen ausgestattet.7

Bei dem Gebäude handelte es sich um ein zweigeschossiges Fachwerkgebäude über massivem Bruchsteinsockel mit Satteldach und Zwerchhaus. Seitlich befand sich ein ebenfalls zweigeschossiger Anbau über annähernd quadratischem Grundriss, in dem die Schule, die Lehrerwohnung und die Mikwe vermutet werden.8

Nach dem Ersten Weltkrieg kam der Wunsch auf, ein neues Gemeindehaus zu bauen. Dieser wurde aber nicht realisiert.9

In der Pogromnacht wurde auch diese Synagoge überfallen und die Inneneinrichtung vollständig zerstört.

Dazu gehörten 70 Sitzplätze mit Pulten für Männer und 42 Sitzplätze für Frauen, eine Garderobenvorrichtung für 115 Einheiten, ein antiker holzgeschnitzter Thoraschrein mit Altaraufbau, ein antikes Almemor mit Vorleserpult und Wickelbank, ein antikes geschnitztes Vorleserpult, eine Gefallenen-Gedenktafel mit fünf Seelenlichtern, eine Marmortafel mit den zehn Geboten, eine Psalmentafel, ein Kronleuchter, sechs Seitenleuchter, 20 Meter Läufer, ein Schrank für die Kultgeräte, eine Standuhr und ein Ofen.

Zu den Kultgegenständen zählten zwei Thorarollen aus dem 18. Jahrhundert sowie sieben weitere Thorarollen, ein Paar silbervergoldete antike Thoraaufsätze mit Schellen, ein Paar silberne antike Thoraaufsätze, je ein silbervergoldetes und ein silbernes antikes Thoraschild, zwei silberne Lesefinger, 40 Thoramäntel mit reicher Goldstickerei, darunter vier antike, 100 handbemalte oder goldbestickte Wimpel, sieben antike Thoraschreinvorhänge mit reicher Goldstickerei, acht weitere goldbestickte Thoraschreinvorhänge, zehn Decken für das Vorleserpult, fünf Decken für das Vorbeterpult, eine Ewige Lampe, ein siebenarmiger Leuchter, ein Channukkaleuchter, 30 Seelenlichter, zwei silberne Weinbecher, eine silberne Hawdallahgarnitur, ein Trauhimmel, eine Megillah, zwei Schofarhörner, zwölf Gebetsmäntel, fünf Paar Gebetsriemen, 20 Gebetbücher, 20 Sätze Festgebetbücher, 20 Pentateuche, ein Satz Aufrufplatten und eine silberne Ethrogbüchse.10

1949 verkaufte die JRSO das Gebäude an einen Privatmann. 1961 diente es als Wohnhaus und im ehemaligen Synagogenraum stapelten sich Holz, Heu und Kaninchenfelle. Seinerzeit war an den Wänden die alte Bemalung noch zu erkennen und die Täfelchen und die Säulen der Empore waren noch erhalten.11

Vermutlich 1962 erhielt das Gebäude eine sandsteinerne Gedenktafel, die in vergoldeter Keilschrift informierte, dass es sich hierbei um die am 9. November 1938 zerstörte Synagoge der ehemaligen jüdischen Gemeinde Sterbfritz handelte. Einige Jahre später wurde es abgerissen.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Es ist davon auszugehen, dass mit dem Bau des Gemeindezentrums 1790 auch eine Mikwe entstand. Diese entsprach bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mehr den neueren hygienischen Anforderungen und wurde vermutlich um 1837 umfangreich saniert und mit einer Kesselanlage versehen. In diesem Jahr, 1837, beklagte sich einer der mit den Arbeiten betrauten Handwerker, dass ihm die Gemeinde für seinen 66 Gulden–Auftrag erst einen Abschlag in Höhe von fünf Gulden gewährt hatte, obwohl er ihn fast abgeschlossen hatte.

1862 wurden erhebliche Schäden festgestellt und eine Bauzeichnung sowie ein Kostenvoranschlag angefertigt. Danach handelte es sich um ein kleines einstöckiges Fachwerkgebäude auf massivem Sockel mit Satteldach. Der Vorraum, in dem sich auch der Kessel zum Erwärmen des Wassers befand, war über eine vierstufige Treppe zu erreichen. Unmittelbar hinter dem Eingang lag rechts der Umkleideraum, in dem sich auch die in den Boden eingelassene Mikwe befand. In diese führte eine viertelgewendelte Treppe mit Zwischenpodest. Allerdings waren die Mauern des Bades teilweise eingestürzt, das Bad selbst verschüttet und der Fußboden im Umkleideraum drohte einzustürzen. Das Bad galt als nicht benutzbar. Daher sollte der Schutt aus dem Bad geräumt und die 13 Stufen der Treppe abgenommen werden. Anschließend waren die Seitenwände neu auf zu mauern und die Stufen neu zu verlegen. Da das Wasser aus dem Bad keinen natürlichen Abfluss hatte, sondern durch Pumpen gehoben werden musste, sollte eine 36 Fuß lange Abwasserleitung aus Steingutröhren bis zur Ortsstraße angelegt werden.

Der Umkleideraum erhielt einen neuen Fußboden, dessen Unterkonstruktion zuvor erneuert werden musste. Nach der Renovierung erhielten die Wände eine neue Lamperie und einen Ofen. Die Kesselanlage sollte erneuert und die Außenwände verputzt werden. Auch das Dach musste repariert werden.12

Ob diese Reparaturen tatsächlich durchgeführt wurden ist nicht bekannt. Bis in die 1930er Jahre müssen größere Bauarbeiten stattgefunden haben, denn zu dieser Zeit befand sich die Mikwe in Zusammenhang mit der Schule und der Lehrerwohnung. Beides wurde in der Pogromnacht zerstört.

Schule

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestand neben den beiden evangelischen eine jüdische Elementarschule, in der auch Handarbeit und Turnen unterrichtet wurden. 1867 wurden dort 31 Schülerinnen und Schüler in drei Klassen unterrichtet. Der Unterrichtsraum, der als eng, dunkel und dumpfig bezeichnet wurde, befand sich in baulichem Zusammenhang mit der Lehrerwohnung aus zwei Stuben und zwei Kammern, deren Zustand gut war.

Nach einer Sanierung 1869/1870 war der Schulraum acht Meter lang und fünf Meter breit. Fünf Fenster erhellten das Innere. Insgesamt bot er Platz für 48 Kinder. Diese Schülerzahl wurde 1883 mit 47 Schulkindern fast erreicht.

1863 wurde als Lehrer Markus Luss eingestellt, der 1888 sein 25-jähriges Dienstjubiläum in Sterbfritz feierte.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahm die Zahl der Kinder ab. Die Schule bestand aber weiter und war 1933 die einzige jüdische Schule im damaligen Kreis Schlüchtern. Sie wurde zum 1. Januar 1934 aufgelöst.13

Auch die Schule und die Lehrerwohnung wurden in der Pogromnacht zerstört. Das Schulzimmer enthielt Schulbänke, einen Schrank, einen Tisch, das Lehrerpult mit Stuhl, eine Wandtafel sowie Anschauungs- und Lehrmaterial, Beleuchtungskörper, einen Ofen und ein Klavier unbekannter Marke.14

Friedhof

Die Verstorbenen aus Sterbfritz wurden auf dem Friedhof in Altengronau bestattet.

Altengronau, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Altengronau, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

Nachweise

Weblinks

Quellen

Literatur

Abbildungen

Fußnoten
  1. HStAM 261 Ältere Akten, S 2052
  2. HStAM 180 Schlüchtern, 491
  3. Arnsberg, 1971, S. 299
  4. HStAM 86 Hanau, 8534
  5. HStAM 86 Hanau, 8534
  6. http://www.alemannia-judaica.de/sterbfritz_synagoge.htm
  7. HStAM 180 Schlüchtern, 495
  8. Altaras, 2007, S. 345
  9. HHStAW 518, 1822
  10. HHStAW 518, 1822
  11. Frankfurter Rundschau vom 25. März 1961 in HHStAW 518, 1822
  12. HStAM Best. 190a Schlüchtern, 106
  13. Arnsberg, 1971, S. 299
  14. HHStAW 518, 1822
Empfohlene Zitierweise
„Sterbfritz (Main-Kinzig-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/syn/id/186> (Stand: 25.8.2022)