Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Contemporary History in Hessen - Data · Facts · Backgrounds

Zerstörung von jüdischen Einrichtungen in Bebra, 7. November 1938

In der nordhessischen Kleinstadt Bebra kommt es gegen Mitternacht zu einem der ersten Pogrome, die den Auftakt zur Reichspogromnacht in der Nacht vom 9. auf den 10. November bilden. Das Innere der Synagoge und der jüdischen Schule des Ortes werden vollständig zerstört, ebenso Fenster und Türen jüdischer Geschäfts- und Wohnhäuser. Zuvor hatte in der Gastwirtschaft „Hessischer Hof“ in Bebra eine Versammlung der NSDAP stattgefunden, in der Kreisleiter Erich Braun zur Vergeltung für das von einem polnischen Juden auf den Legationssekretär an der deutschen Botschaft in Paris, Ernst vom Rath verübte Attentat aufrief.1 Die Ausschreitungen dauern die ganze Nacht über an und enden erst in den frühen Morgenstunden des 8. November. Die Polizei greift erst ein, als sich abzeichnet, dass die in den jüdischen Geschäften offen liegenden Warenbestände in keiner Weise gegen Diebstähle gesichert sind. Um Plünderungen zu verhindern, wird am Abend des 8. November ein polizeilicher Posten- und Streifendienst eingerichtet.

Das Pogrom in Bebra ist das erste in einer ganzen Reihe von ähnlichen Vorgängen, die – teils noch in der Nacht vom 7. auf den 8. November, und dann gehäuft am Abend des 8. November – in der nordhessischen Provinz mit der schlagartigen Zerstörung von jüdischen Einrichtungen und jüdischem Eigentum eine beispiellose Eskalation antijüdischer Aktionen einläuten. Zwar war es bereits in den Jahren zuvor vereinzelt zu lokalen Übergriffen gekommen (so zum Beispiel in Rhina im Kreis Rotenburg/Fulda, wo SA-Leute am 22. März 1935 jüdische Gottesdienstbesucher überfallen und misshandelt hatten). Die gezielte und fast vollständige Zerstörung von Synagogen, jüdischen Schulen und Wohn- und Geschäftshäusern, die zur gleichen Zeit an mehreren Orten mit bislang unbekannter Heftigkeit durchgeführt wird, bedeutet jedoch eine drastische Zuspitzung des antisemitischen Terrors in Deutschland, der nun endgültig und systematisch die Lebensgrundlagen der Juden im Deutschen Reich vernichtet. Etwa zwei Stunden zuvor haben bereits in Kassel gewalttätige Ausschreitungen gegen jüdische Einrichtungen begonnen.
(KU)


  1. Der 17-jährige polnische Jude Herschel Grynszpan (1921–1942, verschollen) ermordete am 7. November 1938 in Paris den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath. Auslöser für die Tat war die am 26. Oktober 1938 angeordnete Vertreibung aller Juden polnischer Staatsangehörigkeit aus dem Deutschen Reich. Die gewaltsame Abschiebung traf etwa 15.000 bis 17.000 Menschen völlig unvorbereitet, darunter auch die Familie von Herschel Grynszpan. Durch eine Postkarte seiner Schwester Esther über das bittere Schicksal seiner Angehörigen in Kenntnis gesetzt, entschloss sich der seit August 1938 selbst mit einem Ausweisungsbefehl aus Frankreich belegte junge Mann zu der Verzweiflungstat. Ob auch andere Motive eine Rolle spielten (Grynszpan sagte 1942 in deutscher Haft aus, dass er vom Rath vor dem Attentat in der Pariser Homosexuellenszene kennengelernt habe) ist unklar. Der deutsche Legationsrat Ernst Eduard vom Rath (1909–1938) erlag am 9. November 1938 seinen schweren Verletzungen. Das Attentat diente dem nationalsozialistischen Regime als Vorwand für die Novemberpogrome, in deren Verlauf reichsweit etwa 400 Menschen ermordet, 1.400 Synagogen und unzählige andere jüdische Einrichtungen und Wohnstätten zerstört, und schließlich ab 10. November schätzungsweise 30.000 Juden in Konzentrationslagern verbracht wurden.
Records
Additional Information
Recommended Citation
„Zerstörung von jüdischen Einrichtungen in Bebra, 7. November 1938“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/edb/id/4567> (Stand: 7.11.2020)
Events in October 1938 | November 1938 | December 1938
TueWedThuFriSatSunMonTueWedThuFriSatSunMonTueWedThuFriSatSunMonTueWedThuFriSatSunMonTueWed
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30