Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources


Contents

  1. Vorbereitungen für Weihnachten an der Front
  2. Gemeinsame Weihnachtsfeier, Weihnachtspakete

↑ Otto Brühl, Das Marburger Landsturm-Bataillon Weihnachten 1914 in Belgien

Abschnitt 2: Gemeinsame Weihnachtsfeier, Weihnachtspakete


Hierauf erfolgte die folgende, ans die Bedeutung des Tages hinweisende Ansprache:

Liebe Kameraden!

„Ein ungewöhnliches, eigenartiges Weihnachtsfest ist es, das wir in diesem, Jahre verleben. Nicht inmitten unserer Lieben im trauten Heim, umjubelt von unserer freudestrahlenden, Kinderschar, sondern weitab von der Heimat, fern in Feindesland auf einsamer Bahnwache. Haß und Eifersucht haben unser deutsches Vaterland in einen nicht gewollten Krieg hineingezogen, und auch wir Landstürmer sind dem Rufe unseres obersten Kriegsherrn gefolgt, um den heimatlichen Herd zu schützen. Mit Gottes Hilfe ist es deutschem Mut und deutscher Tapferkeit gelungen, den Feind von unseren Fluren fernzuhalten, sodaß unsere Lieben in der Heimat ihr Weihnachtsfest ungestört und unbelästigt abhalten können. Auch wir wollen an dem heutigen Abend geloben, alles zu tun, was in unseren Kräften steht, um den Krieg bald zu einem siegreichen Ende zu führen, damit wir das nächstjährige Weihnachtsfest wieder mit unseren Lieben zusammen in einem großen, glücklichen, die Segnungen des Friedens genießenden Deutschland verleben können, das walte Gott."

Hierauf wurde das Lied „O du fröhliche, o du selige Weihnachtszeit" gesungen und dann zur Verteilung der Gaben geschritten. Leider waren unsere Gaben aus der Heimat noch nicht angekommen, es waren uns jedoch durch Vermittlung unseres Herrn Hauptmanns von der Marinedivision für jeden Unteroffizier und Mann von ihren Liebesgaben ein Paket zur Verfügung gestellt und außerdem Wein, Zigarren und Tabak von der Kompagnie, sodaß jeder von uns ein Geschenk bekam. Unter den erhaltenen Päckchen befand sich auch ein solches mit Christbaumschmuck und Lichterhaltern, aus dem mit ungelenkiger Kinderhand die Worte geschrieben standen: „Dies ist von Maria". Was für eine kleine Maria wird es wohl sein, die uns dies gestiftet hat? Die von der Marinedivision gestifteten Paketchen entzückten allgemein durch ihren schönen und gediegenen Inhalt. Es befanden sich darin ein Taschentuch, ein Paar Strümpfe und Fußlappen, ein Zigarrenetui mit Zigarren, ein Messer, ein Stück Seife, Bleistift, Zigarrenspitze etc., alles sehr schön verpackt. Nach Feststellung des Inhaltes wurde noch das Lied „Ein feste Burg ist unser Gott" gesungen und mit einem donnernden Hurra auf unseren obersten Kriegsherrn schloß die kleine [Sp. 282] Feier. Bei einem Glas guten Bordeaux wurd der Rest des Abends in gemütlichem Zusammensein in Erinnerung an die Heimat verbracht.

Der erste Feiertag brachte Rauhreif mit wundervollem Sonnenschein, aber schon kurz nach dem Mittagessen legte sich ein fast undurchdringbarer Nebel auf die Fluren, sodaß man kaum 10 Meter weit sehen konnte. Selbstverständlich ging auch an diesem Tage der Dienst in gleicher Weise weiter wie an jedem gewöhnlichen Werktage, wie wir ja überhaupt hierin keinen Unterschied kennen. Der zweite Feiertag brachte uns noch einige Ueberraschungen. Von der hier gleichfalls in Quartier liegenden Schwadron des dritten Gardeulanenregiments1, mit der wir gute Kameradschaft pflegen, wurde uns noch eine große Anzahl Gaben, wie Hemden, Unterhosen, Kopfschützer, Zigarren, Zigaretten, Kognak etc. zur Verfügung gestellt, sodaß wir nochmals eine Weihnachtsbescherung veranstalten konnten. Am Nachmittag brachte uns die Ankunft der heimatlichen Weihnachtspakete die größte Freude. Fast ein jeder der Leute bekam ein solches von lieben Anverwandten aus der Heimat, und mit großem Eifer wurde das schöne Geschäft des Auspackens begonnen, und zeigten die glücklichen Gesichter, daß ein jeder mit dem Resultat zufrieden war. Ich bekam bei Ankunft der Pakete gerade lieben Biedenköpfer Besuch und zwar die Herren L. W., W. P, und H. Th. Der erhaltene Kuchen wurde gleich in einem gemütlichen Kaffeekränzchen verzehrt und ich glaube, unsere Frauen hätten Spaß an uns gehabt, wenn sie nur bei dieser Gelegenheit hätten beobachten können. Den Höhepunkt des Tages bildete aber entschieden der Moment, als auf der Wachstube der Krahn in das uns in liebenswürdigster Weise gespendete Faß Balbachs Walfischbräu geschlagen wurde und bald dieses langentbehrte Naß in vorzüglicher Qualität vor uns stand. Das erste deutsche Bier wieder seit über zwei Monaten, und wer unseren gesunden Durst kennt, wird unsere Freude ermessen können: die Stimmung wurde denn auch bald beim Klange einiger Heimatslieder sehr gehoben. Wir sprechen hiermit Herrn Balbach unsern besten Dank aus, den wir auch in einem gereimten Dankesbrief an denselben zum Ausdruck gebracht haben. So ist das diesjährige Weihnachtsfest so anders verlaufen, als wir im vorigen Jahre gedacht, aber doch in seiner Art schön durch die geweihte Stimmung und dem Gedanken, auch etwas für das Wohl unseres lieben Vaterlandes getan zu haben. Doch hoffentlich feiern wir Weihnachten im nächsten Jahre wieder in der Heimat.


  1. Das Garde-Ulanen-Regiment Nr. 3, eine Kavallerieeinheit, war in Friedenszeiten in Potsdam stationiert.

Persons: Brühl, Otto · Balbach, Brauereibesitzer · Wilhelm II., Deutsches Reich, Kaiser
Places: Biedenkopf · Potsdam
Keywords: Landsturm-Bataillon Marburg · Weihnachten · Landsturm · Wachdienst · Bahnwache · Weihnachtslieder · Hauptmänner · Marine · Weihnachtsgeschenke · Bordeauxwein · Wein · Bier · Witterung · Garde-Ulanen-Regiment Nr. 3
Recommended Citation: „Otto Brühl, Das Marburger Landsturm-Bataillon Weihnachten 1914 in Belgien, Abschnitt 2: Gemeinsame Weihnachtsfeier, Weihnachtspakete“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/8-2> (aufgerufen am 29.03.2024)