Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

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Französische Kriegsgefangene in der Handwerkerstube des Kriegsgefangenenlagers bei Dietkirchen, um 1916

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Französischer Unteroffizier beim Probieren der Suppe in der Küche des Kriegsgefangenenlagers Dietkirchen, um 1916

↑ Friedrich Glum, Erinnerungen an die Tätigkeit im Kriegsgefangenenlager bei Limburg, 1917

Abschnitt 3: Kriegsalltag in Limburg, 1917

[146] Ich bin des Abends mit ihm und einem jungen, feingebildeten Kölner Katholiken oft zusammengewesen. Er machte mich mit Verlaine und Tapisserien der französischen Gotik bekannt. Ich trat in einen Ruderklub ein und lernte in einer Mannschaft rudern. Dabei genoß ich von der Lahn aus den Blick auf den Dom, der hoch auf einem Felsen über dem Fluß liegt. Überhaupt hatte es mir der Dom in seinem Übergang von der Romanik zur Gotik sehr angetan. Ich habe dort oft lange gesessen und mir Orgelkonzerte von Bach angehört, die ein Mönch spielte. Die alte Stadt mit ihren mittelalterlichen Gassen, Patrizierhäusern und Schenken gefiel mir ausnehmend. Es war eine unendlich friedliche Welt, die mich den Krieg vergessen ließ, und wenn ich in der Kirche, die ich oft besuchte, die Gläubigen ansah, an deren Augen man erkennen konnte, daß sie wirklich glaubten, so war ich von Neid erfüllt. Leider hat der Dom, der damals kein Gestühl und keine Bemalung hatte, jetzt sehr verloren durch ein Kirchengestühl und eine moderne Bemalung, wie ich bei einem Besuch nach dem 2. Weltkrieg feststellen konnte. Er wirkte weitläufiger, höher und festlicher in der Zeit, in der ich ihn zum erstenmal kennenlernte.

Irgendetwas stimmte in dem Gefangenenlager nicht. Eines Tages erschien ein Sergeant von der Feldpolizei, die Husarenmütze schief auf dem Kopf. Es war der Filmschauspieler Schinzel1, vor dem alles, auch die Offiziere, Angst zu haben schienen. Er guckte nämlich in alle Ecken. Wie ich später erfuhr, waren große Schiebungen erfolgt. Eine Wand in der großen Pakethalle war beweglich, und nachts erschienen von Köln Lastautos, die die Pakete abholten. Durch Reklamation des Schwedischen Roten Kreuzes war man darauf gekommen, daß eine große Anzahl von Gefangenen die für sie bestimmten Pakete nicht erhalten hatten. Es muß ziemlich Krach gegeben haben. Denn eine Reihe von Offizieren wurden an die Front geschickt, und der General mußte seinen Abschied nehmen. Ich war damals tief erschüttert, daß so etwas bei der preußischen Armee vorkommen konnte.


  1. Der Schauspieler Reinhold Schünzel (1888-1954), der seit 1916 in Stummfilmen (v.a. in Komödien) zu sehen war. Siehe Wikipedia-Artikel Reinhold Schünzel und Reinhold Schünzel, Schauspieler und Regisseur (edition text + kritik 4), 1989, hier S. 50-63: Jörg Schöning, Zur Biografie, bes. S. 52 f.

Persons: Glum, Friedrich · Schünzel, Reinhold
Places: Limburg · Dietkirchen · Köln
Keywords: Feldpolizei · Filmschauspieler · Unterschlagungen · Kriegsgefangenenlager · Kriegsgefangene · Rotes Kreuz, Schwedisches · Pakete · Fotografien
Recommended Citation: „Friedrich Glum, Erinnerungen an die Tätigkeit im Kriegsgefangenenlager bei Limburg, 1917, Abschnitt 3: Kriegsalltag in Limburg, 1917“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/72-3> (aufgerufen am 19.04.2024)