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Hessian World War I Primary Sources


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  1. Tagebuchauszug von Ende Oktober 1914 in Flandern

↑ Tagebuch des Bäckermeisters Friedrich Noll aus Niederaula, 1914 (Auszug)

Abschnitt 1: Tagebuchauszug von Ende Oktober 1914 in Flandern

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Vorbemerkung:
Die hier wiedergegebene Textpassage aus dem Tagebuch des Bäckermeisters Friedrich Noll aus Niederaula wurde von Lehrer Carl Hoos in die Schulchronik von Niederaula aufgenommen. Friedrich Noll nahm als Jäger an den Kämpfen in Flandern teil. Er wurde am 30. Oktober durch einen Schuss in die Wirbelsäule verwundet und starb am 7. November 1914 im Lazarett in Moorslede (Westflandern, südwestlich Roeselare). Er wurde in Roeselare bestattet.
Die Kämpfe, an denen der Tagebuchschreiber teilnahm, waren Teil der für beide Seiten sehr verlustreichen Ersten Flandernschlacht vom 20. Oktober - 18. November 1914.


Im Merth von Ostrobeken1 über Isegen2 fing unsere 1. Schlacht an. Das Jägerbat. 243 bezog zunächst Biwak bei Beythem4. Der Feind zog sich zurück über Loslorf5. Unsere schwere Artillerie bekam den Auftrag, das Dorf zu beschießen, um den Rückmarsch des Feindes6 zu verhindern. Wir bezogen kein Biwak. Unsere Meldereiter hatten aufgeklärt und erfahren, daß der Feind in panikartiger Flucht zurückging. Wir mussten deshalb von unserem Biwakplatz aufbrechen und noch zwei Stunden durch verschiedene niedergebrannte Dörfer marschieren, wo uns die Funken ins Gesicht flogen, bis wir endlich noch verschiedene einzelne Gehöfte fanden. Die Türen waren natürlich alle verschlagen, denn die Bewohner waren ausgezogen. Die Türen wurden mit Äxten aufgebrochen, die Häuser alle gründlich untersucht und dann wurde sich darin eingerichtet.

Der 20. Okt. war ein heißer Tag. Gott war mit uns. Als wir um 8 Uhr morgens Moorslede7 passierten, bekamen wir ein mörderisches Granatfeuer. Wir waren alle wie aus den Wolken gefallen. Die Comp. wurde schnell auseinander gezogen und im Marsch - Marsch ging es in Deckung. Nun wurde gedeckt vormarschiert, die 3. und 2. Comp, wurden in lichten Schützenlinien vorgeschoben. Wir schwärmten später ein. Hier mußten wir eine kleine Anhöhe passieren. Das war ein schrecklicher Weg. Von vorne bekamen wir ein ungeheueres Schrappnell- und Granat- und von links ein mächtiges Maschinengewehrfeuer. Aber Gott sei Dank sie schossen zu hoch. Wir kamen glücklich durch. Gelaufen haben wir, was wir konnten. Nun wurde langsam vormarschiert. Überall Kugelgesumm. Vom Feind war nichts zu sehen. Als wir wieder ein Stück vormarschierten, bekamen wir starkes Infanteriefeuer. Wir schwärmten sofort aus, aber es war kaum auszuhalten. Viele unsere treuen Kameraden starben hier den Heldentod. Unsere Schützenlinie war zu dicht. Es wurde die Hälfte wieder herausgezogen. Diese mußten im Walde Deckung suchen. Ich war auch dabei. Die Kugeln pfiffen uns ganz gewaltig um die Ohren. Mittlerweile wurde es Nacht, und das Feuer ließ nach. Nun wurden sofort Schützengräben ausgehoben.

21. Okt. Gegen Morgen fing unsere schwere Artillerie, welche des Nachts aufgefahren war, mit dem Feinde ein kleines Gespräch an, das wirkte kolossal. Das konnten die Engländer schlecht vertragen, denn sie kniffen alle aus dem Schützengraben aus. Gegen Nachmittag ging das Infanterieregiment Nr. 2388, welches links von uns lag, im Sturm vor und machte eine Anzahl Gefangene. Zoonebeke9 war total eingeschlossen.

22. Okt. Gewehr reinigen und die Toten werden begraben, wobei Herr Hauptmann eine kleine Ansprache hielt. Es war sehr rührend. Wir hatten 11 Tode, 23 Verwundete und 10 Vermißte.

Vom 22. bis 26. Oktober lagen wir unausgesetzt im feindlichen Artilleriefeuer. Es war schauderhaft, was wir da ausgestanden haben. Wir lagen im Schützengraben und wurden fortgesetzt von feindlicher Artillerie beschossen. Vor, hinter, neben uns schlugen die Granaten ein, daß einem die Ohren taub wurden und einem ganz schlecht wurde von dem Pulverdampf. Die französische Artillerie schießt sehr genau. Viele unsere Kameraden wurden hier in Stücke gerissen und viele verwundet. Wir hatten alle Offiziere und Oberjäger verloren, hatten überhaupt keine Führung mehr. Die paar Mann, welche noch übrig geblieben waren, schlossen sich dem Inf. Reg. 24010 an. Daß ich nicht getötet oder verwundet wurde, ist als ein großes Wunder zu betrachten. Gott war mit mir. Er hat seine treue Vaterhand über mir gehalten. Am 26. Oktober abends wurden die übrig gebliebenen Jäger versammelt und nach Moorslede zur Bagage geführt.

[Hier bricht der Text ab.]


  1. Oostrozebeke, Ort 12 km nördlich Kortrijk, Westflandern.
  2. Izegem, Stadt 8 km westlich Oostrozebeke, Westflandern.
  3. Das Reserve-Jägerbataillon Nr. 24, das in Marburg zusammengestellt worden war.
  4. Ort nicht ermittelt.
  5. Ort nicht ermittelt. Vielleicht liegt eine Verschreibung vor.
  6. Der Einheit standen vermutlich englische Truppen gegenüber.
  7. Moorslede, Ort südwestlich Roeselare, Westflandern.
  8. Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 238, stationiert in Neustadt (Pfalz).
  9. Zonnebeke, Ort 4 km nordöstlich Ypern, Westflandern.
  10. Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 240, stationiert in Rastatt (Baden).

Persons: Noll, Friedrich
Places: Oostrozebeke · Izegem · Beythem · Loslorf (?) · Moorslede · Niederaula · Zonnebeke · Kortrijk · Marburg · Roeselare · Neustadt (Pfalz) · Ypern · Rastatt
Keywords: Reserve-Jäger-Bataillon Nr. 24 · Artillerie · Biwak · Granaten · Schrapnells · Gefallene · Verwundete · Schützengräben · Engländer · Franzosen · Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 238 · Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 240 · Bagage
Recommended Citation: „Tagebuch des Bäckermeisters Friedrich Noll aus Niederaula, 1914 (Auszug), Abschnitt 1: Tagebuchauszug von Ende Oktober 1914 in Flandern“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/41-1> (aufgerufen am 19.04.2024)