Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Die letzten Tage vor dem Krieg in der Oberhessischen Zeitung (Marburg), Juli 1914

Abschnitt 3: 3.7.1914: Vertagung des Rosa Luxemburg-Prozesses


Vertagung des Prozesses gegen Rosa Luxemburg.
Berlin, 3. Juli. In der heutigen Sitzung des Prozesses gegen Rosa Luxemburg gab der erste Staatsanwalt Hagemann die Erklärung ab, daß es in der kurzen Frist nicht gelungen sei, von den zumeist sehr entfernt liegenden Garnisonen die kriegsgerichtlichen Akten herbeizuziehen. Er müsse deshalb die Vertagung beantragen. Er legte ferner ein Schreiben des Kriegsministers von Falkenhayn1 vor, in dem dieser zunächst die Notwendigkeit der vom Gericht bereits beschlossenen Beweisaufnahme anzweifelt, dann aber erklärt, daß er nunmehr die von den Zeugen angeblich behaupteten Mißhandlungsfälle, soweit sie noch nicht von den Militärgerichten abgeurteilt seien, diesen zur Verfolgung übergeben hätte. Der Staatsanwalt beantragte daher auch aus diesem Grunde die Vertagung. Nach längeren Ausführungen der Verteidigung, die der Vertagung widersprach, beschloß das Gericht, dem Antrag der Staatsanwaltschaft stattzugeben und die Verhandlung auf unbestimmte Zeit zu vertagen.

[Oberhessische Zeitung vom 4. Juli 1914]


Erläuterungen: Rosa Luxemburg (1871-1919), Marxistin und Kämpferin gegen Nationalismus, Militarismus und Krieg, hatte am 25. und 26. September 1913 in zwei Reden in (Frankfurt-)Bockenheim und (Frankfurt-)Fechenheim vor einer großen Zuhörermenge zur Kriegsdienst- und Befehlsverweigerung aufgerufen und wurde deshalb der "Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze und Anordnungen der Obrigkeit" angeklagt. Im Februar 1914 wurde sie dafür von der Frankfurter Strafkammer zu 14 Monaten Gefängnis verurteilt, blieb jedoch zunächst auf freiem Fuß. Bei einer Versammlung in Freiburg prangerte sie am 7. März 1914 die zahlreichen und schweren Mißhandlungen von Soldaten in der preußischen Armee an. Dagegen erstattete der Kriegsminister von Falkenhayn Anzeige, weil Luxemburg "die Offiziere und Unteroffiziere des preußischen Heeres durch Anführung nicht erweislich wahrer Tatsachen öffentlich verächtlich gemacht" habe. (Siehe dazu: Rosa Luxemburg im Kampf gegen den deutschen Militarismus. Prozeßberichte und Materialien aus den Jahren 1913 bis 1915, 1960, S. 142-206). Nachdem das Frankfurter Urteil bestätigt worden war, wurde Rosa Luxemburg im Februar 1915 verhaftet. Für die vor dem Berliner Gericht verhandelte "Straftat" wurde sie zu zwei Jahren und vier Monaten Schutzhaft verurteilt. Sie verbrachte aufgrund dessen die Kriegszeit vom Februar 1915 bis zum 10. November 1918 in Haft (siehe dazu: Rosa Luxemburg, Briefe aus dem Gefängnis, 1920). Am 15. Januar 1919 wurde Luxemburg von Soldaten und Offizieren der Garde-Kavallerie-Schützen-Division in Berlin ermordet.


  1. Erich von Falkenhayn (1861-1922), von Juli 1913 - Jan. 1915 preußischer Kriegsminister, seit September 1914 Chef des Generalstabs.

Persons: Luxemburg, Rosa · Hagemann, Staatsanwalt · Falkenhayn, Erich von
Places: Frankfurt · Fechenheim · Bockenheim · Freiburg · Berlin
Keywords: Politische Prozesse · Kriegsminister · Staatsanwälte · Soldatenmißhandlungen · Militargerichte · Nationalismus · Militarismus · Zeitungen · Oberhessische Zeitung
Recommended Citation: „Die letzten Tage vor dem Krieg in der Oberhessischen Zeitung (Marburg), Juli 1914, Abschnitt 3: 3.7.1914: Vertagung des Rosa Luxemburg-Prozesses“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/39-3> (aufgerufen am 25.04.2024)