Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Heinrich Carl Zölzer, Schulchronik von Buchenau, 1914-1919

Abschnitt 9: Versorgungsprobleme, Lebensmittelkarten

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Die Ernte in 1916 war im allgemeinen gut. Infolge der vielen Niederschläge war die Heuernte sehr reichlich. Auch die anderen Früchte und besonders das Gemüse waren wohlgeraten, und nur die Kartoffeln blieben gegen dem Vorjahr in den Erwartungen zurück. Die Kohlrabi mußten vielfach Ersatz bieten für die fehlenden Kartoffeln, selbst die Dickwurzeln wurden zur menschlichen Ernährung herangezogen. Die Obsternte konnte eine sehr gesegnete genannt werden. Bei den Zwetschen hatte man eine Rekordernte zu verzeichnen. Die jetzige Generation konnte sich einer solchen Ernte nicht erinnern. Die Früchte waren von vorzüglicher Güte. Unglaubliche Mengen wurden in unserem Dorfe ausgeführt. Ganze Waggonladungen wurden verladen. Der Schreiber selbst hatte 40 Zentner verkauft und behielt noch reichlich zu seinem Bedarf. Viel Zwetschenmus wurde gekocht, und viel Dörrobst wurde hergestellt. Der Preis der Zwetschen war 10 Mark pro Zentner, für Äpfel 10 bis 30 Mark. Später stiegen die Preise ins Ungemessene.

Wegen der Fettnot wurden die Bucheckern gesammelt. Der Samen (Raps) war gut geraten. Da in unserem Dorfe und der Umgebung keine Ölmühle in Betrieb war, mußten die Leute nach Marburg zur Ölmühle wandern. Jeder Selbsterzeuger durfte bis zu 60 Pfund für sich schlagen lassen. Die Nichterzeuger wußten sich durch allerlei List in Besitz dieses notwendigen Artikels zu setzen. Wenn zeitweise etwas verkauft wurde, so kostete der Liter 6 bis 8 Mark. Geschmuggeltes Rüböl aus Holland kostete im Frühjahr 1917 22 bis 25 Mark. Da die öle schwer mangelten, trat eine Seifenknappheit ein. Es war überhaupt keine Seife zu haben, es gab wohl Seifenersatzmittel, aber diese lockten den Leuten nur das Geld aus den Taschen, sie waren ganz wertlos. Das Pfund Kernseife, wenn solche zu haben war, kostete 12 Mark und mehr. Für Butter waren Höchstpreise festgesetzt, um dem Butterwucher Einhalt zu tun. Anfangs waren die Preise für Butter pro Pfund 1,60 Mark, später 2,60 Mark festgesetzt. Da die Zustände immer unhaltbarer wurden und der Butterwucher trotzdem immer mehr [S. 37] zunahm, so trat Rationierung ein. Die Nichtversorgten bekamen Butterkarten. Alle Butter mußte an eine Zentralstelle abgeliefert werden (Kaufmann Junker), die Nichtversorger bekamen pro Person und Woche 50 bis 60 Gramm. Alle Butterhändler wurden von nun an ausgeschaltet. Auch die Eier mußten an die erwähnte Sammelstelle abgeliefert werden. Von jeder Henne sollten 30 Stück abgeliefert werden (pro sechs 26 Pfennig).

Im Herbst 1916 kam die Fleischrationierung, pro Kopf und Woche 1/2 Pfund, zur Einführung. Die Selbsterzeuger (Viehbesitzer) durften pro Person und Woche l Pfund schlachten. Auch die Stoffe für die Kleidungsstücke wurden rar und teuer. Um den übermäßigen Verbrauch einzuschränken, konnten die Kleidungsstücke (Schuhe, alle Tuche, Leinen, Strümpfe etc.) nur gegen Bezugsscheine gekauft werden. Die Bezugsscheine wurden durch die Bürgermeisterei vom königlichen Landratsamte ausgestellt. Nur teuere Stoffe konnten ohne Bezugsschein bezogen werden.


Persons: Zölzer, Heinrich Carl · Junker, Kaufmann
Places: Buchenau · Niederlande
Keywords: Ernteergebnisse · Kartoffeln · Obst · Zwetschen · Dörrobst · Bucheckernsammeln · Ölmühlen · Seifenmangel · Butter · Wucher · Preisentwicklung · Butterkarten · Lebensmittelkarten · Eier · Fleischrationierungen · Schlachtungen · Kleidung · Schuhe · Bezugsscheine · Landratsämter
Recommended Citation: „Heinrich Carl Zölzer, Schulchronik von Buchenau, 1914-1919, Abschnitt 9: Versorgungsprobleme, Lebensmittelkarten“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/20-9> (aufgerufen am 25.04.2024)