Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Jakob Ebersmann, Berichte aus der Heimat in den Dieburger Feldbriefen, 1915-1917

Abschnitt 16: Manöverübung der Jugendwehren als Propaganda

[Nr. 16] Feldbrief vom 24. Oktober 1915

Gelt, Ihr meint, wir wüßten in Dieburg gar nicht, wie es im Krieg hergeht? Natürlich wissen wir dies, und am letzten Sonntag hatten wir sogar Gelegenheit einer Schlacht beizuwohnen. Wie kam das? Am 17. Oktober wurde eine gemeinsame Übung aller Jugendwehren des Kreises Dieburg abgehalten. Manche Vereine rückten schon um 3 Uhr morgens aus und bereits um halb 8 Uhr wimmelte es in der Altstadt nur so von Uniformen oder wenigstens bunten Mützen der Wehren. Es war angenommen, daß eine blaue Armee von Lorsch kommend, auf der Straße Lorsch—Bensheim—Reichenbach—Reinheim gegen eine rote Armee bei Aschaffenburg im Anmarsch sei. Bei Altheim kam es zum Zusammenstoß, bei dem gewaltig viel geschossen wurde. Erst um ¾ 11 Uhr war das Gefecht beendigt. Mit klingendem Spiele ging es nun zu dem Feldgottesdienst, der für die evangelischen Teilnehmer in der Nähe von Altheim von Herrn Pfarrer Bickelhaupt-Groß-Umstadt abgehalten wurde. Für die Katholiken hielt ich eine Feldmesse mit Predigt an dem Rand des Forstwaldes. Während des Gottesdienstes, der bei herrlichem Sonnenschein stattfand, sangen unsere zukünftigen Krieger die Lieder von Nr. 17 unseres Gesangbuches, am Schluß „Großer Gott, wir loben dich!" Nach Beendigung unserer religiösen Feier versammelten sich alle um Se. Exzellenz, Herrn Generalleutnant Bernhardt, der zu der Übung von Darmstadt eigens hierhergekommen war. Bei der Kritik lobte derselbe die Jugendwehren wegen der gewaltigen Marschleistungen, die sie aufweisen konnten und mahnte zur Abhärtung des Körpers, zur fleißigen Übung in den Vereinen, auch während des Winters. Die Worte der Anerkennung, die er den Führern widmete, waren gewiß wohl verdient. Herr Schulrat Gunderloch dankte darauf dem hohen Inspekteur für sein Erscheinen, empfahl den jungen Leuten sich jetzt eifrig vorzubereiten für ihren künftigen Beruf als Verteidiger des Vaterlandes und schloß mit einem Hoch auf unseren herrlichen Kaiser und sein siegreiches Heer. Unterdessen hatte Frau Simon Enders eine ausgezeichnete Suppe gekocht hinter der Ziegelhütte. Dorthin zogen jetzt die Jugendwehren, und es dauerte nicht lange — da waren zwei gewaltige Feldkessel geleert. Ich freute mich über den gesegneten Appetit, den die liebe Jugend entwickelte, aber auch über die Sorgfalt, mit der sie sich der Ausführung ihrer Aufgabe widmete. Von Dieburg nahmen etwa 30 Jünglinge teil, aus dem Rodgau leider fast niemand.


Persons: Ebersmann, Jakob · Bickelhaupt, Pfarrer · Bernhardt, Generalleutnant · Gunderloh, Schulrat · Enders, Simon
Places: Dieburg · Lorsch · Bensheim · Reichenbach · Reinheim · Aschaffenburg · Altheim · Groß-Umstadt · Darmstadt · Rodgau
Keywords: Jugendwehren · Vereine · Uniformen · Jugendwehr-Manöver · Feldgottesdienste · Gottesdienste · Schüler · Jugendliche
Recommended Citation: „Jakob Ebersmann, Berichte aus der Heimat in den Dieburger Feldbriefen, 1915-1917, Abschnitt 16: Manöverübung der Jugendwehren als Propaganda“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/19-16> (aufgerufen am 24.04.2024)