Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Robert Wolfgang Wallach, Aus dem Tagebuch eines Kriegsfreiwilligen 1914/15

Abschnitt 15: Nach der Schlacht!

[22-24]
Nach der Schlacht!

Ich bin ein anderer über Nacht geworden
Und weiß nicht wie es über mich gekommen,
Ich bin nicht mehr ich selbst.
Und unwillkürlich fasse ich mir ins Gesicht
ls sucht ich Altersfalten. —

Älter? Reifer meine ich, ernster, wissender,
Mehr Mann. —
Fast scheints als hätte über Nacht ich nun gelernt,
Wie wenig ich, der einzle wert in solchem Menschheitssturm.
Und dieser kleine Teil von Selbsterkenntnis,
Gibt mir Kraft,
Das letzte bißchen Schwäche in mir zu bekämpfen. —

Schwäche? Ja, die wars,
Nicht Angst.
Nicht Angst vorm Tod, vorm Bluten. —
Ein Ahnen wars, ein Nichtverstehen,
Ein Nichtverstehn von dem
Was auch niemals verstanden werden kann. —
Was voll und ganz erlebt sein will. —

Nun hat das härtste Leben mich gefaßt,
Ganz sacht der Tod die Stirne mir gestreichelt
Und wahrlich,
Ein Erwachen wars, von einem vagen Dämmern
Von einem Ahnen von dem Tod. —
Nun weiß ich alles. —
Nun Hab ichs „erlebt". —
Und gleich dem Stahl, den Glut erhärtet,
Bin auch ich gehärtet in der Glut der Menschenschlacht. —

Nun habe ich den Tod gesehen,
Wie stumm und sacht er mähen kann,
Und wie er Menschen quälend auf den Bodenpressen kann
Daß schreiend in die Erde selbst sie beißen,
Als ob noch lebend, sie schon wieder Erde werden wollten. —
Bis jetzt war mir der Tod ein sonnenscheuender Begleiter,
Nun ist er mir ein lieber Kamerad geworden,
Der mit mir fühlt und mit mir denkt,
Der stets mir nah', den stets ich bei mir weiß,
Bei Tag und Nacht;
Der fast mich führt und lenkt,
Und der wohl nur den Hahn mir am Gewehr abzieht,
Wenn ich auf einen Menschen ziele.

Freund Tod. seit ich dich mir so nahe weiß,
Ist jenes Ahnen in mir ganz gestillt,
Ist jene Schwäche gänzlich überwunden.
Ich weiß nun, daß auch mir dein silbernes Pfeifchen klingt,
Ich weiß, daß du mich nur befristet hast,
Damit mit meinem Lebenspfund ich schnell
Noch für die Heimat wuchern kann.
Freund Tod, du bist mir nun so traut,
Daß du aus meinem Denken fast getilgt. —
Ich denke nur noch an das Heute, an das Leben
Und wie ich es hier draußen richtig nütze,
Das füllt mich ganz und macht mich stark und hart.

Ich fühle nun, welch winzig Steinchen ich in dieser Zeit im großen Menschenmosaik,
Ich weiß, daß du, Freund Tod, mich stumm mit tausend Kameraden, mit einem Sensenstreiche mähen kannst,
Und daß wohl keiner nach mir fragen würde, wenn ich von einem Schleichweg nimmer käme.
Ich weiß nun auch, daß ich den wahren Wert in dieser Zeit
Erst noch erwerben muß. —

Und wieder fasse ich mir ins Gesicht:
Es ist noch jung und glatt,
Nur mit dem innern Auge scheine klarer ich zu sehn:

Mir ist's
Als sei erst jetzt ich
Wirklicher Soldat geworden. —


Frankreich, November 1914.


Recommended Citation: „Robert Wolfgang Wallach, Aus dem Tagebuch eines Kriegsfreiwilligen 1914/15, Abschnitt 15: Nach der Schlacht!“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/134-15> (aufgerufen am 07.05.2024)