Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Büdesheim Karten-Symbol

Gemeinde Schöneck, Main-Kinzig-Kreis — Von Susanne Gerschlauer und Bernd Vielsmeier
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

um 1720

Location

61137 Schöneck, Ortsteil Büdesheim, Riedstraße 8 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Oberhessen

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1938

Art des Verlusts

Zerstörung

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Das Dorf gehörte im Mittelalter zur Grafschaft Kaichen, die seit 1467 allmählich Teil der Burggrafschaft Friedberg wurde.1 Im Anschluss an die Burg Friedberg hatte seit 1806 das Großherzogtum Hessen die Ortsgerichtsbarkeit.

Um 1720 werden Juden in Büdesheim erstmals genannt. 1809 sind vier jüdische Familienvorstände fassbar. Ende des 19. Jahrhunderts lebten in Büdesheim 1.322 Einwohner, 51 davon waren Juden (ca. vier Prozent); 1925 waren es 63 jüdische Einwohner.2

Die jüdischen Familien mussten im Jahr 1809 auf Erlass des Großherzogtums Hessen Familiennamen annehmen. Seit 1823 wurden Zivilstandsregister für die Geburten, Trauungen und Sterbefälle der Juden in Büdesheim geführt.3

Die orthodoxe jüdische Gemeinde bestand vermutlich bereits vor der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Vorsteher der jüdischen Gemeinde waren u.a. Feidel Jacob (1877), Abraham J. Jacob (1909), und 1932 als letzter vor der Aufgabe der jüdischen Gemeinde, Max Strauß I.4 Überwiegend waren die Büdesheimer Juden Händler und Handwerker (Metzger).5

Die Mehrheit der Büdesheimer Juden wurden 1942 von den Nationalsozialisten verhaftet und nach ihrer Deportation in Vernichtungslagern ermordet. Nur sechs Familien gelang die Flucht nach Südamerika, USA und Kuba.6

Betsaal / Synagoge

Angaben über einen Vorgängerbau liegen nicht vor. Vermutlich wurde der Gottesdienst vor dem Neubau der Synagoge in dem Raum eines Privathauses abgehalten.

Die Baugenehmigung des als Synagoge errichteten Gebäudes wurde der jüdischen Gemeinde Büdesheim im Mai 1866 durch das Großherzogliche Kreisamt Vilbel erteilt; ein Jahr später begann man in der Riedstraße 8 (ehem. Speckgasse) mit dem Bau. Die jüdische Gemeinde hatte eine Summe von 1.500 Gulden zur Errichtung aufgebracht.7

Geplant wurde das Gebäude vom 1898 zum Stadtbaurat erhobenen Hanauer Architekten Johann Peter Thyriot (1833–1917).8 Der Bauplatz lag unweit des Rat- und Schulhauses und bildete annähernd den geographischen Mittelpunkt in einem Wohngebiet, in dem die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung Büdesheims lebte. Vermutlich war die Synagoge zur Nutzungszeit durchaus ein optischer Anziehungspunkt in der Wohnumgebung. Obwohl oder gerade weil das Gebäude nach außen hin eine klare architektonische Gliederung aufwies, trotz jeder Schnörkellosigkeit und Exzentrik, gab es keine Zeichen einer profanen Nutzung. Es war durch seine äußere Gestaltung als Gotteshaus erkennbar.

Das massive, aus sogenannten „Russensteinen“, errichtete Gebäude stand auf einem ca. 30 Zentimeter hohen umlaufenden Sockel und war etwa sechs Meter von der Straßenflucht zurückgesetzt, daher zusätzlich aus der Wohnumgebung exponiert. Der mit einer schmucklosen Tür versehene Eingang lag im Norden und war von der Straßenseite her nicht sofort einsehbar. Die traufständige Westseite war bis auf die beiden rundbogigen Fenster, baugleich zu denen der Nordfassade, schmucklos. Die Fenster begrenzten drei gleich große Wandflächen. Die südliche Wandfläche war fensterlos und zeigte keine besonderen Schmuckelemente.

In der Mittelachse der Ostseite dominierte der über fast die gesamte Höhe des Gebäudes verlaufende, risalitartig vorgelegte Aron-Hakodesch-Erker, der mit einem halben Walmdach versehen war, um seine architektonische Relevanz zusätzlich zu betonen. Flankiert war er von je einem Rundbogenfenster in Gestalt der Nord- und Westseitenfenster. Alle Fenster, außer dem über dem Türsturz in der Nordfassade, waren in gleicher Höhe eingesetzt. Die Synagoge war mit einem Walmdach mit Bieberschwanzziegeln gedeckt.

Unmittelbar hinter der Eingangstür schloss sich in der Nordwestecke im Innern eine Treppe an, über die der Zugang zur Frauenempore erfolgte. Der übrige Raum öffnete sich den Besuchern etwa in seiner Längsachse, nach einer schmalen Trennung hinter der hintersten Bankreihe im Norden. In der Mittelachse vor der Ostwand befand sich der Almemor auf einer niedrigen Estrade, eine Stufe über dem Fußbodenniveau. Im Norden und Süden war er umrahmt von je einem rechteckigen, etwa einen halben Meter hohen Sockel, auf dem je ein Leuchter stand. Hinter dem Vorlese- und Vorbeterpult ragte hoch über die Köpfe der Besucher hinweg der Schrein für die Thorarollen. Er war bis über die Mitte der Raumhöhe hinausgeführt und mit architektonischen Attributen ausgestattet: Die Gesetzestafeln mit den zehn Geboten bekrönten das leicht geschweifte Satteldächlein, das auf Stützen mit profilierten Kapitellen ruhte. Im Obergeschoss, an der Westseite, befand sich nur die Frauenempore mit zwei Bankreihen zu je acht Plätzen. Die Decke war flach abgehängt, in der Ost-Westachse ein Unterzug vorgesehen. Eine einfache, zeitgemäße Hängewerkkonstruktion trug das Walmdach.

Die Zerstörung der Synagoge während der Reichspogromnacht am 9./10 November 1938 war massiv. Wegen sehr nahestehender Nachbargebäude blieb sie von Feuer vermutlich verschont, das Innere wurde jedoch nach einer umfangreichen Plünderung so stark zerstört, dass zum Schluss nur noch eine Ruine übrig blieb; noch im November 19389 wurden ihre Reste komplett abgebrochen. Heute erinnert eine Gedenktafel an den ehemaligen Standort der Synagoge.10

Weitere Einrichtungen

Mikwe

In unmittelbarer Nachbarschaft zur Synagoge ließ die jüdische Gemeinde 1867 einen Neubau für einen Gemeindezentrum mit Schulraum errichten, in welchem neben der Mikwe zusätzlich eine Mietwohnung vorgesehen war.11

Schule

Eine Schule bzw. ein Schulraum der jüdischen Gemeinde muss bereits um 1830 bestanden haben. Im Jahr 1833 ist ein Religionslehrer, Elieser Schatzmann aus Bayern, nachweisbar.12

Cemetery

Im Jahr 1859 erwarb die jüdische Gemeinde nahe des Kilianstädter Waldes ein 731 Quadratmeter großes Areal, auf dem sie einen eigenen Friedhof anlegte. Zuvor hatten die Büdesheimer Juden den Friedhof in Groß-Karben mitbenutzt.13 Der Friedhof wurde bis 1942 genutzt und in den Jahren 1943 und 1944 zerstört. Erhalten sind heute noch 19 Grabsteine, die aber nicht mehr an ihrer ursprünglichen Stelle stehen.

Büdesheim, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Groß-Karben, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Jacob, Feidel · Jacob, Abraham J. · Strauß, Max · Thyriot, Johann Peter · Schatzmann, Elieser

Places

Südamerika · USA · Kuba · Hanau · Bayern · Groß-Karben

Sachbegriffe Geschichte

Kaichen, Grafschaft · Friedberg, Burggrafschaft · Hessen, Großherzogtum · Reichspogromnacht

Sachbegriffe Ausstattung

Almemore · Leuchter · Vorlesepulte · Vorbeterpulte · Thorarollen

Sachbegriffe Architektur

Russensteine · Sockel · Walmdächer · Erker · Rundbogenfenster · Biberschwänze · Frauenemporen · Gesetzestafeln · Kapitelle · Satteldächer · Hängewerkkonstruktionen

Fußnoten
  1. Köbler, Historisches Lexikon der deutschen Länder, S. 295
  2. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 95
  3. Die Zivilstandsregister wurden 1982 aus dem Bestand des Gemeindearchivs Büdesheim an das Standesamt der Gemeinde Schöneck abgegeben.
  4. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 95 sowie Ortsartikel Büdesheim auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  5. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 96
  6. Vielsmeier , Jüdische Gemeinde, S. 50
  7. Vgl. Bauschein und -plan der Synagoge, 1866, im Gemeindearchiv Büdesheim
  8. Ausführlichere Beschreibung in Gerschlauer, Synagogen Wetterau, S. 314 ff. Grundlage der Baubeschreibung von äußerer und innerer Gestaltung bildet der Bauschein und die Bauzeichnung der Synagoge. Abbildungen von ihr sind bis heute nicht bekannt.
  9. Geißler, Büdesheim und der Nationalsozialismus, S. 417 f.
  10. Vielsmeier, Jüdische Gemeinde, S. 51; sowie Ortsartikel Büdesheim auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  11. Vielsmeier, Jüdische Gemeinde, S. 50; sowie Bauschein für die Synagoge, 1866, Gemeindearchiv Büdesheim
  12. Vielsmeier, Jüdische Gemeinde, S. 50
  13. Vielsmeier, Jüdische Gemeinde, S. 50
Recommended Citation
„Büdesheim (Main-Kinzig-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/81> (Stand: 15.8.2022)