Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Echzell Karten-Symbol

Gemeinde Echzell, Wetteraukreis — Von Susanne Gerschlauer
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1659

Location

61209 Echzell, Bisseser Straße 21 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Gießen

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

nein

Jahr des Verlusts

ca. 1965

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Echzell, Bisses und Gettenau liegen auf dem Gebiet der ehemaligen Fuldischen Mark und gehörten daher zunächst zum Besitz des Klosters Fulda. Die Ortsherren von Echzell waren seit 1570 die Grafen von Hessen-Darmstadt. Bis mindestens 1781 zählte Bisses zum Besitz der Freiherren von Nagel, die Juden gegen Schutzgeld siedeln ließen.

Eine erste Erwähnung eines Juden aus Echzell findet sich in Archivalien über ein Inquisitionsverfahren 1659.1 Einzelne weitere Erwähnungen sind über das 18. Jahrhundert verteilt2; in den Ortsakten fassbar sind sie seit 1821. Der Bevölkerungsanteil der Juden in Echzell betrug während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zwischen 4 und 6 Prozent.3

Die Echzeller Juden bildeten zusammen mit den Juden im benachbarten Bisses und in Gettenau eine jüdische Gemeinde (orthodox), wobei die Mehrheit von ihnen während des 19. Jahrhunderts in Bisses lebte. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts verlagerte sich der Sitz der Hauptgemeinde nach Echzell. Um 1905 gehörten der jüdischen Gemeinde 30 Familien mit insgesamt 108 Personen an. Den Vorsitz der Gemeinde hatten u.a. 1924 Sali Wormser4 und als letzter, vor deren Auflösung, Max Simon inne.5 Die berufliche Struktur der Juden der Gemeinde Echzell setzte sich in der Mehrheit aus Händlern, einigen Viehzüchtern (Schafe, Geflügel) und wenigen Handwerkern (Bäcker, Metzger) zusammen.6

Nach der Machtübertragung an Hitler 1933 und der sich daraus ergebenden brutalen antisemitischen Politik zogen viele Echzeller Juden weg. Die meisten verzogen innerhalb Deutschlands, mehrheitlich nach Frankfurt am Main, einige flohen nach Palästina, USA oder England. Die beiden letzten in Echzell wohnhaft gebliebenen Personen wurden 1942 verhaftet, deportiert und ermordet.

Betsaal / Synagoge

Bevor ein Neubau in Echzell errichtet wurde, besuchten die Juden bis 1875 den Gottesdienst in Bisses7, wo er vermutlich in einem Betraum eines Privathauses abgehalten wurde. Genauere Angaben dazu fehlen bisher.

Die Synagoge in Echzell wurde um 1864/65 in der Bisseser Straße 21 als Gotteshaus errichtet. Abgesehen von einem historischen Foto fehlen Belege über Aussehen und Ausstattung des an der Hauptdurchgangsstraße nach Bisses am alten Ortsrand gelegenen Gebäudes fehlen. Nach dem Foto handelte es sich um ein vermutlich annähernd quadratisches Backsteingebäude mit einfachem hellem Rauputz. In das mit Schiefer gedeckte Zeltdach waren – wohl symmetrisch auf allen vier Seiten – Zwerchdächer eingebaut, die die Giebelhöhen des Gebäudes vergrößerten.

Der in der Mittelsenkrechten eingesetzte rundbogige Haupteingang im Westen8 war symmetrisch umrahmt von je einem im unteren Drittel der Wandfläche ansetzenden und bis kurz unter die Traufe geführten einbahnigen Rundbogenfenster. Oberhalb der Eingangstür, auf gleicher Höhe mit den Abschlüssen der die Tür flankierenden Fenster, war ein Rundfenster eingesetzt. Die Scheibenstruktur der Rundbogenfenster war besonders auffallend. Sie wies insgesamt zehn Ebenen auf: abwechselnd zwei kleine nebeneinander liegende quadratische und darüber ein querrechteckiges Fenster.

Die Wandflächen waren unten begrenzt durch einen niedrigen, wohl umlaufenden, aufgeputzten Sockelabsatz und oben durch einen, wohl ebenfalls umlaufenden, entlang des Giebeldreiecks angebrachten Fries. Der Fries lehnte sich formal an die romanischen Rundbogenfriesformen an, wies jedoch Ecken statt Rundungen auf, ähnlich wie nach unten weisende Zinnen. Im obersten Zwickel der Mittelsenkrechten war eine kleine quadratische Öffnung zur Hinterlüftung des Daches eingelassen. Die Gebäudeecken waren mit breiten Ecklisenen mit langgezogenen, schmalen Rundbogenspiegeln verziert, die in Höhe der Fenstersohlbänke ansetzten und bis zum Wandabschluss hochliefen.

Es ist davon auszugehen, dass die Gliederung aller vier Gebäudeseiten ähnlich verlief, wie bei den auf dem Foto aus den 1950er Jahren9 erkennbaren beiden Giebelwänden. So kann angenommen werden, dass Wandflächenstrukturen und Fensterornamentik bzw. -beschaffenheit einheitlich waren.

Über die innere Gestaltung der Synagoge kann nur spekuliert werden. Vermutlich gab es an mindestens einer Wand eine Empore für Frauen, die wohl über eine innenliegende Treppe erschlossen wurde. Ausgehend von der aufwändigen Außengestaltung ist anzunehmen, dass ein entsprechender ornamentaler und farbiger Schmuck an den Wänden vorhanden war. Der Gottesdienstraum bot Platz für 72 Männer und 40 Frauen.

Ende der 1870er Jahre ließ die jüdische Gemeinde eine Mauer um den auf der Rückseite gelegenen Garten bauen. Grund waren offenbar Streitigkeiten um die Nutzung dieses Grundstückes durch einen Pächter.10

In der Reichspogromnacht im November 1938 wurde die Synagoge innen vollständig durch Brand zerstört. In den 1960er Jahren wurde das Gebäude bis auf die Mauern des Erdgeschosses abgetragen und darinnen eine Gastwirtschaft eingerichtet. Inzwischen ist vor dem Haus ein Gedenkstein aufgestellt worden.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Die Mikwe ist lediglich durch die in den Jahren 1930 bis 1937 geführten Verkaufsverhandlungen archivalisch fassbar.11

Schule

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es Belege für die Arbeit eines jüdischen Religionslehrers.12 Da kein Schulhaus bekannt ist, wurde der Religionsunterricht vermutlich in der Synagoge abgehalten, aber auch die Nutzung von Privaträumen eines Gemeindemitgliedes ist denkbar.

Cemetery

Die Verstorbenen aus Echzell wurden zunächst in Bisses, später auf dem Nachfolgerfriedhof bei Echzell beerdigt.

Bisses, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Echzell, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Hessen-Darmstadt, Grafen von · Nagel, Freiherren von · Wormser, Sali · Simon, Max

Places

Bisses · Gettenau · Fuldische Mark · Fulda, Kloster · Frankfurt am Main · Palästina · USA · England

Sachbegriffe Geschichte

Inquisition

Sachbegriffe Architektur

Backsteinbauten · Rauputze · Schiefer · Zeltdächer · Zwerchdächer · Rundbogenfenster · Friese · Zinnen · Lisenen · Rundbogenspiegel · Fenstersohlbänke · Emporen · Treppen

Fußnoten
  1. HStAD, R 21 J, 3570
  2. HStAD, R 21 J, 3570; Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 147
  3. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 147
  4. Vgl. Ortsartikel Echzell auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  5. 1931 fand eine Wahl zum Vorsteher statt. Vgl. HStAD, G 15 Büdingen, L 5
  6. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 148
  7. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 147
  8. So Altaras, Synagogen 2007, S. 379. Konkrete Belege für eine West-Ost-Orientierung (Haupteingang–Thoraschrein) liegen jedoch nicht vor; der Haupteingang könnte auch im Norden gelegen haben.
  9. Arnsberg, Jüdische Gemeinden – Dokumente, S. 47; Altaras, Synagogen 2007, S. 379
  10. Altaras, Synagogen 2007, S. 379; HStAD, G 15 Büdingen, L 84, L 52
  11. HStAD, G 15 Büdingen, L 131
  12. HStAD, G 15 Büdingen, L 97
Recommended Citation
„Echzell (Wetteraukreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/412> (Stand: 10.6.2022)