Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Lollar Karten-Symbol

Gemeinde Lollar, Landkreis Gießen — Von Susanne Gerschlauer
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

um 1700

Location

35457 Lollar, Gießener Straße 23 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Oberhessen

religiöse Ausrichtung

liberal

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1939

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Nach Aussterben der ersten Ortsherren aus dem Grafengeschlecht von Gleiberg und der zeitweisen Teilung der Hoheit über den Ort zwischen den Grafen von Nassau und den Landgrafen von Hessen, bildete sich am Ende des 16. Jahrhunderts die alleinige Ortsherrschaft der Landgrafen heraus. Der auch Lollar umfassende Gerichtsbezirk Kirchberg erwies sich durch seine strategisch gute Lage an einem wichtigen Nord-Süd-Verbindungsweg entlang der Lahn als für die Zukunft politischer und wirtschaftlicher Entwicklung förderlich für den Ort. 1875 trat das Großherzogtum an die Stelle der Landgrafschaft.

Erste verlässliche Nachweise von Juden in Lollar datieren um das Jahr 17001, doch bestand eine jüdische Gemeinde wohl erst ab 1770.2 Zu der Synagogengemeinde Lollar zählten auch Juden aus Mainzlar und Ruttershausen. Bis etwa in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts gehörten auch die Daubringer Juden dazu, die jedoch alle bis zum Ende des Jahrhunderts aus dem Ort weggezogen waren. 1830 lebten 45 Juden im Ort, außerdem zählten zur gleichen Zeit 19 Juden aus Mainzlar, 16 aus Daubringen und 15 aus Ruttershausen dazu. Um 1905 war die Zahl der Juden in Lollar durch Landflucht und Migration erheblich zurückgegangen. Mit acht Juden in Lollar, fünf in Mainzlar und 12 in Ruttershausen war die Gemeinde um 1905 von ehemals 100 Mitgliedern auf nun nur noch 25 gesunken.

Die zur Synagogengemeinde zählenden Juden waren mehrheitlich Viehhändler und Kaufleute. Durch die seit Ende des 18. Jahrhunderts regelmäßig in Lollar stattfindenden Viehmärkte war daher zunächst eine gute wirtschaftliche Perspektive gegeben3, doch verschlechterten sich die wirtschaftlichen Bedingungen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts durch die veränderte volkswirtschaftliche Situation.

Die jüdische Gemeinde wurde vermutlich um 1939 aufgelöst.4 Der nach 1939 noch in Lollar wohnen gebliebene Eugen Kahn wurde zusammen mit seiner Frau und einer Tochter 1942 verhaftet und in polnische Konzentrationslager deportiert, in denen die Familie umgebracht wurde. Das gleiche Schicksal erlitten die 16 noch in Mainzlar und Ruttershausen lebenden Juden.

Betsaal / Synagoge

Über Vorgängergebäude ist bisher nichts bekannt. Die einzige bisher fassbare Synagoge wurde vermutlich noch vor 1848 in der Ortsmitte auf einer rund 30 Quadratmeter (später ergänzt auf 41 Quadratmeter) umfassenden Fläche durch die Synagogengemeinde gebaut.5 Das Gebäude stand in Firstrichtung, fast Wand an Wand an ein vorderes Wohnhaus, das giebelständig zur Hauptstraße 54 (heute Gießener Str. 23) gebaut war. Durch die unscheinbare Lage und geringe Größe zog das Gebäude vermutlich keine große Aufmerksamkeit auf sich.6

Wahrscheinlich war die Synagoge ein verputztes zweigeschossiges Fachwerkhaus; sie war nicht unterkellert und hatte mindestens einen Schornstein.7 In der südlichen Traufseite, zum Hof hin, befand sich der Haupteingang. Die Gemeinde bot in ihrem Betsaal vermutlich Platz für etwa 30 Personen8, wobei die geringe Größe des Gebäudes annehmen lässt, dass es keine eigene Frauenempore gab, sondern hintereinander angeordnete Männer- und Frauenbänke, von denen letzteren möglicherweise durch eine Estrade erhöht waren. Anzunehmen ist, dass der Betraum im Obergeschoss lag, da hier der Lichteinfall besser war als im von dichter Bebauung umgebenen Erdgeschoss. Hier befand sich wahrscheinlich ein Raum, um den Religionsunterricht für die jüdischen Kinder abzuhalten. Besondere architektonisch herausragende oder auch außen auf die Nutzung als Synagoge hinweisende Elemente sind nicht belegt.

Wegen unterschiedlicher Besitzverhältnisse entwickelte sich um 1930 ein heftiger Streit zwischen den zu dieser Zeit christlichen Eigentümern der Hofreite, auf deren Areal die Synagoge stand, und Vertretern der jüdischen Gemeinde. Die Vorderhausbesitzer waren auch Eigentümer einer den Hofbereich nach Westen abschließenden Scheune, die israelitische Gemeinde hatte Wegerecht bis zur Synagoge, die entlang der Nordgrenze des Grundstücks stand. Streitpunkt der Auseinandersetzung war ein von den Wohnhauseigentümern geplanter An- bzw. Verkauf und sich daran anschließender Abriss des sie stark störenden Synagogengebäudes; beides lehnte die jüdische Gemeinde ab. Dem Antrag auf Abriss wurde auch von Seiten des zuständigen Hessischen Hochbauamtes in Gießen nicht stattgegeben, da keine erheblichen statischen Mängel an dem Synagogengebäude festgestellt worden waren, die diesen hätten rechtfertigen können.9 So wurde um 1930 eine durch Nässe schadhaft gewordene Wand erneuert. Die politische Gemeinde Lollar beteiligte sich mit 300 Mark an den Renovierungskosten.

Die Synagoge wurde während der Pogromnacht des Jahres 1938 im Innern stark zerstört.

Durch die sich in der Folgezeit zuspitzende antisemitische Stimmung, die nationalsozialistischen Enteignungsgesetze und den anhaltenden massiven Druck der Eigentümer des Gesamtgrundstücks, waren die Vertreter der jüdischen Gemeinde Lollar, Eugen und Albert Kahn, Anfang des Jahres 1939 gezwungen, das Haus zum Preis von 72,50 Reichsmark zu verkaufen.10 Kurze Zeit danach wurde das Gebäude abgerissen. Heute steht an seiner Stelle ein ähnlicher, jedoch eingeschossiger Bau, der als Abstellraum dient.

Weitere Einrichtungen

Cemetery

Ein älterer Friedhof lag in der Gemarkung Staufenberg nordwestlich der Burg, bis er wegen Umnutzung zu einem Steinbruch aufgelassen werden musste.

Der neuere, heute noch bestehende jüdische Friedhof ist 2.711 Quadratmeter groß und liegt zwischen Lollar und Staufenberg, vom Staufenberger Weg aus etwa 150 Meter nordwestlich, nahe einem nach Nordwesten hin stark abschüssigen Gelände. Etwa 1847 (ältester Grabstein) fand die Einweihung des Friedhofes statt. Hier begruben auch Juden aus Daubringen, Mainzlar und Ruttershausen.11

Staufenberg, ehemaliger Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Lollar, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Lollar, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Gleiberg, Grafen von · Nassau, Grafen von · Hessen, Landgrafen von · Kahn, Eugen · Kahn, Albert

Places

Mainzlar · Ruttershausen · Daubringen · Gießen · Staufenberg

Sachbegriffe Geschichte

Konzentrationslager · Pogromnacht

Sachbegriffe Architektur

Fachwerkbauten · Schornsteine · Frauenemporen · Estraden

Fußnoten
  1. Hess, Jüdische Bevölkerung, S. 241
  2. Hess, Jüdische Bevölkerung, S. 247
  3. Hess, Jüdische Bevölkerung, S. 241
  4. StadtA Lollar, XIII. Abt., Abschn. 1, Konv. 1, Fasz. 6: Schreiben des Eigentümers der Hofreite, auf der die Synagoge stand, an die Gemeinde Lollar
  5. Der Datierung entgegen steht die vermutlich unrichtige Angabe bei Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 498, der von einer Bauzeit um 1895 ausgeht. Vgl. dazu StadtA Lollar, u.a. die Archivalien XIII. Abt., 2. Abschn., Konv. 2, Fasz. 2 (1848); XXVII. Abt., 3. Abschn., Brandversicherung, Konv. 8, Fasz. 9 u. Konv. 9, Fasz. 1 u. 2 sowie XXVI. Abt., 3. Abschn., Privatbauwesen, Konv. 19, Fasz. 1 u. 3, diese weisen bereits seit der Mitte des 19. Jh. die Synagoge nach.
  6. Vgl. Lageplan von 1883
  7. Vgl. StadtA Lollar, XXVII. Abt., 1. Abschn., Feuerpolizeiliche Sicherungsmaßregeln, Konv. 1, Fasz. 4 u 5
  8. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 498
  9. Vgl. das entsprechende Antwortschreiben an Hauseigentümer vom 12.8.1930, in StadtA Lollar, XIII. Abt., Abschn. 1, Konv. 1, Fasz. 6
  10. Vgl. das auf den Kaufvertrag verweisende Schreiben von 1948, in Stadtarchiv Lollar, XIII. Abt., Abschn. 2, Konv. 4, Fasz. 7
  11. Hess, Jüdische Bevölkerung, S. 237; ders., Juden, S. 7 f.
Recommended Citation
„Lollar (Landkreis Gießen)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/410> (Stand: 16.8.2022)