Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Lich Karten-Symbol

Gemeinde Lich, Landkreis Gießen — Von Susanne Gerschlauer
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

15. Jahrhundert

Location

35423 Lich, Amtsgerichtsstraße 4 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Oberhessen

religiöse Ausrichtung

liberal

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Eine wichtige Rolle für die Geschichte der Stadt Lich spielte im Mittelalter das im 12. Jahrhundert gegründete Zisterzienserkloster Arnsburg. Mit der formalen Verleihung der Stadtrechte im Jahr 1300 durch König Albrecht I. wurde die Stellung Lichs zusätzlich gestärkt. Bis zum 15. Jahrhundert lag die Herrschaft bei den Grafen von Falkenstein und ging nach Aussterben der Linie an das Grafenhaus Solms über, später die Solms-Licher Linie. 1806 übernahm das Großherzogtum Hessen die politische Verantwortung.

Die Anfänge der jüdischen Geschichte Lichs liegen im frühen 15. Jahrhundert.1 Um 1628 lebten 26 Juden in Lich, um 1740 wurden neun jüdische Familien gezählt.2 Die Gründung einer Synagogengemeinde erfolgte nach Selbstauskunft bereits 1756.3 Zur jüdischen Gemeinde Lich zählten auch die in Hof Albach, Kolnhausen und Mühlsachsen lebenden Juden. Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts wohnten bereits 70 Juden in Lich. Diese Zahl sank bis zum Ende des Jahrhunderts auf 53 (um 1905)4, stieg jedoch erneut auf 78 um 1925.5 Um die Jahrhundertwende lag der Anteil der jüdischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung bei ca. zwei Prozent.

Die Mehrheit der Juden lebte als Viehhändler und Kaufleute (Textilien, Lebensmittel, Schuhe). Zu den letzten Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde gehörten Hermann Goldschmidt sowie Max und Moses Chambré, deren Familie seit dem 18. Jahrhundert in Lich ansässig war und zu den prominentesten Licher Einwohnern zählte. Auf Ernst-Ludwig Chambré, einen Nachfahren von Moses und Max Chambré, die beide die Einrichtung der Synagoge in der Amtsgerichtstraße vorangebracht hatten, geht die Gründung der gleichnamigen Stiftung im Jahr 1995 zurück. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die während der NS-Zeit an den Juden begangenen Verbrechen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Vermutlich erfolgte die Auflösung der jüdischen Gemeinde Lich um 1939 zwangsweise. Die Mehrheit der hier lebenden Juden war bis dahin aus Lich weggezogen, z. T. aus Deutschland ausgewandert. Die noch verbliebenen etwa 30 Personen wurden 1942 verhaftet und nach Polen verschleppt, wo sie in Konzentrationslagern umgebracht wurden.6

Betsaal / Synagoge

Ein Vorgängerbau der jüngsten Licher Synagoge steht – ehemals vermutlich von außen in dieser Nutzung kaum erkennbar – am äußeren Ende der ehemaligen Synagogengasse (heute Charlottenburg), Hausnummer 7.7 Möglicherweise wurde diese Synagoge seit 1810 genutzt.8 Im Zuge des Verkaufes durch die jüdische Gemeinde an einen christlichen Käufer aus Lich im Jahr 1922, wurde der bauliche Zustand und die Inneneinrichtung beschrieben und bewertet.9

Das Gebäude stand am östlichen Rand des alten Ortskerns, etwa 200 Meter östlich der Marienstiftskirche an der Stadtmauer. Es war vermutlich ein zweigeschossiges, teilweise verputztes Fachwerkhaus mit Satteldach (Biberschwanzziegel), das traufseitig zur Gasse hin stand.

Der Fußboden des Betraums bestand aus Steinplatten und, leicht erhöht angelegt, Holzdielen, auf denen die Männerbänke standen. Die Frauenplätze lagen auf einer zweiseitig umlaufenden Empore. Der Innenraum war glatt verputzt und vermutlich farbig gefasst. Mobiliar, Türen, Fenster und Empore waren mit Ölfarbe gestrichen. Im Untergeschoss gab es ein Abort; der Betraum konnte durch einen Ofen beheizt werden. Die Synagoge hatte seit Beginn des 20. Jahrhunderts Stromversorgung. Ihr baulicher Zustand wurde für gut befunden.

Argumente der jüdischen Gemeinde, die alte Synagoge zu verkaufen und an anderer Stelle in Lich eine neue zu errichten, beruhten hauptsächlich auf der so gesehenen „Unwürdigkeit“ des Standortes durch seine Lage. Hinzu traten Argumente wie Platzmangel, Alter und schlechte Zugänglichkeit.10 Die Gemeinde sah einen zusätzlichen Bedarf an etwa acht Frauen- und zehn Männerplätzen, die durch den Gutachter durch Aus- und Umbauten am alten Standort für umsetzbar gehalten wurden.

Trotz dieser Einschätzung setzte die Synagogengemeinde einen neuen Standort in der Amtsgerichtsstraße Nr. 4 durch.11 Die Lage, rund 500 Meter vom alten Standort nach Westen entfernt und außerhalb des alten Ortskerns gelegen, weist zusammen mit der prominenten Präsenz nach dem erfolgten Umbau auf das Selbstverständnis einer assimilierten und emanzipierten jüdischen Gemeinde hin. Ihr Antrag an die politische Gemeinde auf Zuschuss zum Umbau, wie zuvor der katholischen Kirche in Lich zugestanden, verstärkt diesen Eindruck. Die politische Gemeinde unterstützte die Neueinrichtung mit 1000,- Mark.12 Am 20. Oktober 1922 wurde das neue Gotteshaus feierlich eingeweiht.13

Die Umgestaltung zur Synagoge aus einer ehemaligen Gastwirtschaft der späten 1880er Jahre mit anschließendem Saal erfolgte mit hohem Aufwand durch die jüdische Gemeinde. Die neue Synagoge präsentierte sich schließlich zur Straße hin als ein traufständiges, steinsichtiges Backsteingebäude mit vier raumnehmenden segmentbogigen Fenstern. Neben den mit farbigem Glas gestalteten Fenstern gliederten breite Lisenen und jeweils zwischen ihnen angeordnete Zinnenfriese die Fassaden. Das Walmdach war mit Schiefer gedeckt.

Der 92 Männer- und 51 Frauenplätze bietende Gottesdienstraum auf etwa 200 Quadratmetern Grundfläche war reich geschmückt. Das eingezogene Muldengewölbe wies u.a. eine farbenprächtige Darstellung des Himmels mit goldenen Sternen vor blauem Grund auf. Für die Gottesdienste in kalten Wintermonaten war ein direkt anschließender, ca. 50 Quadratmeter großer südlich angrenzender Nebenraum vorgesehen, der höchstens ein Drittel der Personen aufnehmen konnte.

Im Hauptraum stand der Almemor an der Ostwand, die Bima möglicherweise in der Raummitte.14 Die Frauenestrade verlief entlang der Westwand. Das Muldengewölbe wurde von vier filigranen gusseisernen Säulen gestützt.15 Durch die architektonische Struktur mit in der Raumachse erhöhtem Gewölbe und die Seiten optisch begrenzenden Säulen entstand ein der sakralen Nutzung entsprechender Raumeindruck.

Nachdem in der Pogromnacht die gesamte Inneneinrichtung zerstört wurde, gelangte das Gebäude um 1940 in den Besitz der politischen Gemeinde. Diese ließ es 2006 von Grund auf denkmalgerecht sanieren und richtete das Kulturzentrum „Bezalel-Synagoge“ ein. Teile des Gebäudes sind an die örtliche Musikschule vermietet.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Offenbar benutzten die Juden in Lich bereits um die Mitte des 15. Jahrhunderts eine Mikwe, die in einem Wohnviertel möglicherweise als eigenes Gebäude bestand.16

Bis in das 19. Jahrhundert hinein war ein rituelles Tauchbad in Betrieb, dessen Lage aber bisher unklar ist. Um den Neubau einer Mikwe liegt umfangreicher Schriftverkehr mit Stellungnahmen pro und contra aus der Mitte des 19. Jahrhundert vor. Ob und an welcher Stelle die Mikwe gebaut wurde, geht nicht daraus hervor.17

Schule

Räume für Religionsunterricht und Gemeindeversammlungen waren seit der Neueinweihung der Synagoge in der Amtsgerichtsstraße vorhanden. Zuvor diente möglicherweise ein kleiner Nebenraum in der alten Synagoge diesem Zweck.

Cemetery

Der jüdische Friedhof in Lich wurde vermutlich Anfang des 19. Jahrhunderts an einem Feldweg am Hardtberg angelegt. Das Areal ist etwa 630 Quadratmeter groß, es wurde auf Antrag der jüdischen Gemeinde 1920 vergrößert. Der älteste Grabstein stammt von 1861, der jüngste steht zur Erinnerung an den 1938 in Buchenwald ermordeten Bernhard Lind.

Der Mitbesitz der Ettingshäuser Juden am Friedhof in Lich beruht vermutlich auf verwandtschaftlichen Verbindungen der Familie Chambré, die in beiden Orten ansässig war.18

Lich, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Lich, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Indices

Persons

Albrecht I., König · Falkenstein, Grafen von · Solms, Grafen von · Solms-Lich, Grafen von · Goldschmidt, Hermann · Chambré, Max · Chambré, Moses · Chambré, Ernst-Ludwig · Lind, Bernhard

Places

Arnsburg, Kloster · Hof Albach · Kolnhausen · Mühlsachsen · Ettingshausen

Sachbegriffe Geschichte

Hessen, Großherzogtum · Pogromnacht

Sachbegriffe Ausstattung

Öfen · Almemore · Bima

Sachbegriffe Architektur

Fachwerkbauten · Satteldächer · Biberschwänze · Steinplatten · Holzdielen · Emporen · Aborte · Backsteinbauten · Segmentbogenfenster · Lisenen · Zinnenfriese · Walmdächer · Schiefer · Muldengewölbe · Frauenestraden · Säulen

Fußnoten
  1. Lutteropp, Hungen, S. 6: Hinweis auf Urkunde, in der ein Jude, Salmann, wohnhaft zu Lich als Zeuge angeführt wird, 1405. Zudem Urkunde von 1437 Dezember 24, HStAD Best. 9 (Nachweis)
  2. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 486
  3. Ruppin, Juden, S. 73
  4. Ruppin, Juden, S. 73
  5. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 486
  6. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 488
  7. 1933 wurde die Synagogengasse in Charlottenburg umbenannt (Stadtarchiv Lich, XXVI. Abt., 6. Abschn., Ortstr. und öffentl. Plätze, Konv. 23, Fasz. 11); vgl. auch Umbau einer Synagoge zum Wohnhaus, 1922, in Stadtarchiv Lich XXVI. Abt., 3. Abschn., Privatbausachen, Konv. 17, Fasz. 39
  8. Ruppin, Juden, S. 73
  9. Gutachten des H. Nicolaus aus Gießen, Februar 1922, in Stadtarchiv Lich, XIII. Abt., 3. Abschn., Konv. 5, Fasz. 5
  10. Gutachten des H. Nicolaus aus Gießen, Februar 1922, in Stadtarchiv Lich, XIII. Abt., 3. Abschn., Konv. 5, Fasz. 5. Der Weg zur Synagoge führte u.a. „vorbei an Misthaufen“ u. ä.
  11. Ein zuvor geplantes Neubauvorhaben in der ehemaligen Butzbacher Straße wurde innerhalb der Jahre 1921 f. verworfen, vgl. Stadtarchiv Lich, XIII. Abt., 3. Abschn., Konv. 5, Fasz. 5
  12. Stadtarchiv Lich, XIII. Abt., 3. Abschn., Konv. 5, Fasz. 5, 03.1922
  13. Stadtarchiv Lich, XIII. Abt., 3. Abschn., Konv. 5, Fasz. 5, 10.1922
  14. Die Rekonstruktion stammt von Altaras, Synagogen 2007, allerdings könnte die Bima auch weiter im Osten, nahe des Almemors gestanden haben. Bei liberalen Gemeinden standen die Vorlesepulte in der Regel vor dem Thoraschrein.
  15. Diese ähneln denen, die in etwa zeitgleich zur Gastwirtschaft gebauten bürgerlichen Wohnhäusern der Amtsgerichtsstraße z. B. als Balkonstützen verwendet wurden. Auch die Außengestaltung mit Lisenen und freiliegendem rotem Backstein als Gliederungselementen ist im Bereich um die heutige „Bezalel-Synagoge“ herum im Wohnhausbau aus dem Ende des 19. bzw. beginnenden 20. Jahrhundert zu finden.
  16. Urkunde von 1436 April 19, HStAD Best. B 9 (Nachweis)
  17. Stadtarchiv Lich, XIII. Abt., 3. Abschn. Gemeindeanstalten und -gebäude, Konv. 5 Fasz. 8, 1836–1850
  18. Geburtsbescheinigung M. Chambré, 1867, im Gemeindearchiv Reiskirchen, OT-Ettingshausen. Herzlichen Dank Herrn Hanno Müller, Steinbach, für das Auffinden dieser und anderer Archivalien zu Ettingshausen im (bisher überwiegend ungeordneten) Gemeindearchiv Reiskirchen.
Recommended Citation
„Lich (Landkreis Gießen)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/265> (Stand: 14.8.2022)