Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Groß-Zimmern Karten-Symbol

Gemeinde Groß-Zimmern, Landkreis Darmstadt-Dieburg — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1603

Location

64846 Groß-Zimmern, Kreuzstraße | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1971

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Der 1250 erstmals urkundlich genannte Ort stand im 13. Jahrhundert im Lehen der Herren von Katzenelnbogen. Später hatten mehrere Herren daran Rechte, bis es Anfang des 19. Jahrhunderts vollständig an Hessen-Darmstadt kam.

Erste Nachrichten über Juden aus Groß-Zimmern stammen aus der Zeit kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg, als 1603 ein „Jud Löw aus Groß-Zimmern“ und wenig später die Händlerin Elisa genannt wurden. 1615 musste Lew eine Buße zahlen, weil er des illegalen Spieles überführt worden war.1 Nur zwei Jahre später wurde Götz, ebenfalls aus Groß-Zimmern, von dem gleichen Gericht wegen übler Nachrede verurteilt. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts müssen mehrere Juden im Ort gewohnt haben, in Rügeverfahren vor dem Amt Habitzheim werden Hayum, Jakob, Löw, Mang [Manche], Mayers Witwe, Seckel und Zadek aus Groß-Zimmern genannt. Etwa zur gleichen Zeit werden in einem anderen Verfahren zusätzlich Samuel, Marochai und Benedict erwähnt, die sich über den Wertheim-Löwensteinschen Keller zu Habitzheim und den dortigen Schultheiß wegen einer Pfändung ihrer Weidgangsrechte beklagt hatten.2 Daraus lassen sich neun rechtsfähige Personen ableiten, die vermutlich mit eigener Familie im Ort wohnten. Zusätzlich lebte dort besagte Witwe. Diese verhältnismäßig große Zahl jüdischer Familien lässt schon auf das Vorhandensein einer eigenständigen Gemeinde schließen.

Die Zahl der jüdischen Einwohner stieg zu Beginn des 18. Jahrhunderts weiter an. Allein in der Zeit zwischen 1719 und 1730 lassen sich auf dem Dieburger Friedhof 32 Bestattungen nachweisen3, was ebenfalls auf eine sehr hohe Zahl jüdischer Einwohner schließen lässt. Spätestens zu dieser Zeit wird es eine eigenständige Gemeinde gegeben haben.

Um 1770 lebten 19 jüdische Familien im Ort. Diese Zahl stieg über 133 Personen im Jahre 1829 auf 144 in 1867. Damit war sowohl absolut als auch relativ der höchste Stand erreicht. Danach sank die Zahl wieder und lag 1925 bei 64 Personen.4

Zu Beginn der 1930er Jahre lebten noch etwa 15 jüdische Familien im Ort. Sie erwirtschafteten ihr Einkommen überwiegend aus dem Manufaktur-, Getreide- und Vieh- sowie Eisenhandel. Vogel Frohmann betrieb zudem eine Gastwirtschaft, in dem der Israelitische Jünglingsverein 1905 Kaisergeburtstag feierte.5

1934 und 1935 konnten die meisten Juden Groß-Zimmern verlassen, so dass sich die Gemeinde auflöste. Sie flohen überwiegend nach Frankfurt am Main und Darmstadt. Seit 1937 galt der Ort als „judenfrei“.6

Betsaal / Synagoge

War im 18. Jahrhundert vermutlich ein Betsaal vorhanden, so wurde 1802 erstmals eine Judenschule in den Brandkatastern verzeichnet. Sie erhielt 1861 einen Anbau für eine Badeeinrichtung.

Die neue Synagoge wurde an gleicher Stelle 1891 eingeweiht. Sie war auf Anregung und mit großzügiger Unterstützung von David Goldschmidt aus Frankfurt am Main, geboren in Groß-Zimmern erbaut worden.7 Die Einweihungsrede hielt der Darmstädter Rabbiner Marx. Das Gebäude war ein zweigeschossiger verputzter Massivbau über leicht erhöhtem Sockel und stand giebelständig zur Straße. Der über eine dreistufige Treppe zu erreichende Eingang in der straßenseitigen Giebelwand war von zwei hochrechteckigen Rundbogenfenstern flankiert. Darüber verlief im Obergeschoss eine Reihe mit drei Rundbogenfenstern, über deren mittlerem ein Inschriftenfeld eingebracht war. Im Giebeldreieck befand sich zudem ein rundes Fenster. Der Ortgang wurde durch einen Zahnschnittfries betont. Über der Giebelspitze erhoben sich die Gesetzestafeln. Die Gebäudekanten wurden durch aufgeputzte Ecklisenen betont, die über dem Schildgiebel in quadratischen Ecktürmchen endeten. Sie enthielt 64 Männer und 36 Frauenplätze.8

1899 stiftete der Jünglingsverein anlässlich seines 50. Gründungstages eine neue Thora.

Da die Synagoge 1938 schon nicht mehr genutzt wurde, blieb das Gebäude während der Novemberpogrome verschont, die Inneneinrichtung wurde allerdings zerstört.

1939 ging das Gebäude für 13.000 Reichsmark an einen Möbelfabrikanten über, der es als Lager nutzte.9 Ob der Kaufpreis tatsächlich ausgezahlt wurde, ist nicht bekannt. 1971 wurde das Gebäude abgebrochen, um an der Stelle eine Mehrzweckhalle zu errichten.

Am 14. September 1986 fand unweit des ehemaligen Synagogenstandorts die Einweihung eines Denkmals mit Gedenktafel statt. Sie trägt die Inschrift „Hier stand die Synagoge der jüdischen Gemeinde. Wir gedenken der Verfolgten und der Ermordeten.“ Nach dem langjährigen Vorstandsmitglied der Gemeinde und des Jünglingsvereins Nathan Mathes ist heute eine Straße benannt.

Weitere Einrichtungen

Weitere Einrichtungen

In Groß-Zimmern bestanden ein Israelitischer Frauenverein, ein Männerverein und ein 1849 gegründeter Jünglingsverein.10

Mikwe

1861 erhielt die damals bestehende Synagoge einen Anbau für eine Mikwe.11 Nachdem 1891 an gleicher Stelle eine neue Synagoge erbaut worden war, erhielt diese 1891 einen Badehausanbau.12

Schule

In Groß-Zimmern befand sich – vermutlich im Synagogengebäude - auch eine Schule13, über die aber weiter nichts bekannt geworden ist.

Cemetery

Die jüdische Gemeinde Groß-Zimmern gehörte bis zu ihrer Auflösung zum Friedhofsverband Dieburg. Die ältesten Bestattungen sind aus der Zeit 1660/61 erhalten.14

Dieburg, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Dieburg, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Indices

Persons

Katzenelnbogen, Herren von · Löw · Elisa · Lew · Götz · Hayum · Jakob · Mang · Manche · Mayer, Witwe · Seckel · Zadeck · Samuel · Mordechai · Benedict · Frohmann, Vogel · Goldschmidt, David · Marx, Rabbiner · Mathes, Nathan

Places

Dieburg · Frankfurt am Main · Darmstadt

Sachbegriffe Geschichte

Dreißigjähriger Krieg · Weidgangsrechte · Groß-Zimmern, Israelitischer Jünglingsverein · Novemberpogrome · Groß-Zimmern, Israelitischer Frauenverein · Groß-Zimmern, Israelitischer Männerverein

Sachbegriffe Ausstattung

Thora

Sachbegriffe Architektur

Massivbauten · Sockel · Rundbogenfenster · Inschriften · Zahnschnittfriese · Gesetzestafeln · Lisenen · Schildgiebel · Ecktürme

Fußnoten
  1. HStAD C 4 in 112/1
  2. HStAD E 13, 2116
  3. Franz, 2009, S. 48
  4. Lange, 1997, S. 25
  5. Ortsartikel Groß-Zimmern auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  6. Arnsberg, 1976, S. 195
  7. Alicke, 2008, S. 1608
  8. HHStAW 518, 1481
  9. Lange, 1997, S. 94
  10. HHStAW 503, 7382
  11. Altaras, 2007, S. 283
  12. HHStAW 503, 7382
  13. HHStAW 503, 7382
  14. Franz, 2009, S. 48
Recommended Citation
„Groß-Zimmern (Landkreis Darmstadt-Dieburg)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/129> (Stand: 26.4.2022)