Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Feldpredigten des Feld-Divisionspfarrers Christian Eisenberg aus Marburg, 1914-1915

Abschnitt 11: Predigt I / 11 zu 1. Kor. 10,13


Gott ist getreu, der Euch nicht läßt versuchen über Euer Vermögen, sondern macht, daß die Versuchung so ein Lnde gewinne, daß Ihr's könnt ertragen. 1. Kor. 10, 13.


Kameraden!

Wir stehen in Tagen großer Erinnerung, heute ist der 1. August. Unsere Gedanken gehen um ein Jahr zurück. Wir gedenken daran, wie sich in jenen letzten Juli-Tagen des vorigen Jahres eine ungeheuere Spannung unseres ganzen Volkes bemächtigte; wie wird es werden, was werden uns die nächsten Stunden bringen, Krieg oder Frieden? Ob wir zu den Tausenden gehörten, die sich um das Kaiserliche Schloß in Berlin drängten, oder ob wir in unseren Städten und Dörfern mühsam uns zur nötigsten Arbeit zwangen, — unsere Gedanken waren auf den gerichtet, der hier auf Erden für uns das letzte Wort in dieser großen Frage zu sprechen hatte. Und als es kam, als gegen Abend der Befehl der Mobil-Machung durch die deutschen Lande flog, da löste sich die Spannung, und es setzte in unserem Vaterland jene wunderbare Begeisterung ein, die zu dem Größten und Unvergeßlichsten gehört, das wir alle jemals erlebt haben: das Volk stand auf, der Sturm brach los. Deutschlands schwerste, aber auch Deutschlands größte Zeit war gekommen.

Ein Jahr ist seitdem vergangen; ein Jahr so reich an gewaltigem, unerhörtem Geschehen, wie die Weltgeschichte noch keins erlebt hat. Wir stehen einen Augenblick still, schauen zurück und fragen uns: hat uns dieses Jahr gehalten, was es versprach? Ist alles so gekommen, wie wir es in der gewaltigen Hochspannung [S. 42] jener Tage erwartet haben? Stehen wir heute da, wo wir vor einem Jahr zu stehen hofften? Mancher mag geneigt sein, auf diese Frage mit „nein" zu antworten, mit einem verzagten, müden, oder gar bitteren „nein". Das wäre unrecht, Kameraden! hört, wie unser Schriftwort uns zuruft: Gott ist getreu! Oder hätte Er, der heilige und gerechte Gott, wirklich unseren zuversichtlichen Glauben, mit dem wir in den Krieg zogen, enttäuscht und uns betrogen? Wer hat uns denn bei der Mobilmachung schnelle und leichte Siege versprochen? Wer hat uns denn damals ein Recht gegeben, auf ein so baldiges Ende dieses ungeheueren Ringens zu rechnen? Als in jenen ersten Tagen der Begeisterung alle die lustigen Verse an den Eisenbahnwagen standen, die unsere Truppen hinaustrugen, und als jene übermütigen Postkarten durch die Welt flogen, durch deren Bilder immer wieder der Gedanke hindurchklang: „Wir werden mit all unseren Feinden schon fertig werden, laßt sie nur kommen" —, da hat mancher ernste, weitblickende Mensch im lieben deutschen Volk den Kopf geschüttelt und gesagt: „So leicht, wie viele es sich denken, wird es nicht werden; das gibt ein langes, heißes Ringen; gegen eine Welt voll Feinde im Kampf zu stehen, das erfordert das Einsetzen aller Kraft". Wer hat Recht behalten und wer wird Recht behalten? Nicht die Übermütigen,- auch nicht die Schwarzseher; sondern die, welche sich sagten: „Ein schwerer Weg liegt vor uns- aber mit Gottes Hilfe werden wir ihn gehen können; denn Gott ist treu"! Dieses vertrauen läßt nicht im Stich. In Gottes Reich gilt das Gesetz, daß es durch Kampf zum Sieg geht; daß Großes und herrliches sauer erworben werden muß. Sollte das hier nicht gelten, da es sich um die höchsten Güter unseres Volkes handelt, um Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrheit? Gottes Uhr geht oft anders, als die der ungeduldigen Menschen. Aber so gewiß er treu ist, so gewiß bekennt er sich zu einer reinen heiligen Sache, und nicht zur Treulosigkeit, zu Lug und Trug und Bosheit. [S. 43]

Und nun, Kameraden, heute, am Jahrestag des Krieges, die Frage: Hat sich denn der treue Gott nicht bisher über all unser verdienen wunderbar und herrlich zu uns und unseren Waffen bekannt? Wären wir nicht die Undankbarsten aller Menschen, wenn wir heute nur auf das blicken wollten, was uns noch fehlt, und nicht vielmehr auf das Große, das wir haben erreichen dürfen? Statt an vieles, will ich Euch nur an eins erinnern. Gestern bin ich aus meinem Urlaub zurückgekommen. Als ich durch die sonnenbeschienenen weiten Auen unseres deutschen Vaterlandes fuhr und sah die friedlich arbeitenden Erwachsenen und die fröhlich spielenden Kinder, die Erntefelder voll reifer Garben und die Obstbäume des Moseltals, die ihren Segen kaum tragen können, und vergegenwärtigte mir daneben das Bild, das uns hier in Nord-Frankreich ständig umgibt: die verbrannten und zerschossenen Dörfer mit ihren dürftigen Resten verarmter Bewohner, die vielen unbestellten und von den Schützengräben zerwühlten Äcker, das tausendfach und auf viele Jahre hinaus zertretene Leben des einst so blühenden Landes, — da stand es mir aufs neue groß und hell vor der Seele: wie dankbar müssen wir unserem Gott dafür sein, daß er unsere Heimat — aufs Ganze gesehen — davor bewahrt hat, die Schrecken des Krieges in den eignen Grenzen zu haben. Es war mir, als ob tausend Hände mir winkten: „Grüße sie draußen alle, unsere braven Truppen, und sage ihnen, wie dankbar ihnen die Heimat ist. und wie dankbar dem gnädigen Gott, der durch sie so Großes an uns tut".

Gott ist getreu, Kameraden. Auch wir wollen es sein. Hört die Verheißung unseres Textes, daß es mit Versuchungen, Anfechtungen und Lasten nicht über unser Vermögen gehen, daß es damit vielmehr so ein Ende gewinnen soll, daß wirs können ertragen. Das ist ein gutes Wort zum heutigen Tag, mit dem wir in ein zweites Kriegsjahr hinübertreten, vieles ist schwer dabei; wer wollte das leugnen? Schwer sind für uns hier draußen die [S. 44] täglichen Mühseligkeiten und Gefahren; schwer ist für viele daheim und wird immer schwerer der wirtschaftliche Druck; schwer ist für uns alle, hier im Feld und in der Heimat, die wachsende Sehnsucht und das anklopfende Heimweh. Das sind Lasten, die getragen werden müssen- dafür ist Krieg. Aber herrlich klingt durch das alles die Verheißung Gottes hindurch: nicht über Euer Vermögen,- daß Ihr's könnet ertragen!

Gott ist getreu! Das sei unser Trost und unsere starke Zuversicht am heutigen Tag. Unerschüttert, wie vor einem Jahr, steht auch heute unser Glaube: Gott ist mit uns! — Und wir wollen auch treu sein! Das sei unser Gelübde. Damit vorwärts in das 2. Kriegsjahr hinein, solange es Gott gefällt!

Amen.


Personen: Eisenberg, Christian
Orte: Berlin
Sachbegriffe: Feldpredigten · Feldgeistliche · Feld-Divisionspfarrer · Evangelische Kirche · Mobilmachung · Augusterlebnis
Empfohlene Zitierweise: „Feldpredigten des Feld-Divisionspfarrers Christian Eisenberg aus Marburg, 1914-1915, Abschnitt 13: Predigt I / 11 zu 1. Kor. 10,13“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/76-11> (aufgerufen am 26.04.2024)