Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg


Inhalt

  1. Vorbereitungen für Weihnachten an der Front
  2. Gemeinsame Weihnachtsfeier, Weihnachtspakete

↑ Otto Brühl, Das Marburger Landsturm-Bataillon Weihnachten 1914 in Belgien

Abschnitt 1: Vorbereitungen für Weihnachten an der Front


Weihnachten 1914 unseres Landsturms in Belgien.

Nun ist auch das diesjährige Weihnachtsfest vorbei, aber in welch' anderer Weise, als wir es vor noch nicht allzuferner Zeit uns hätten träumen lassen. Diesmal fehlte die gewohnte jubelnde Kinderschar und die freudigen Augen der Angehörigen, nur tiefernste Kameradengesichter waren zur Stelle. Schon seit langer Zeit bildete dieses Fest ein häufiges Gesprächsthema und ließ die Gedanken häufiger als sonst nach der Heimat abschweifen. Pläne für eine möglichst feierliche Gestaltung dieses Abends wurden in reichem Maße gemacht und an guten Ratschlägen fehlte es nicht. Die Hauptsorge war natürlich darauf gerichtet, einen schönen Baum zu bekommen und fanden schon vorher häufige Erkundigungsgänge hiernach statt. Weihnachtsbäume sind hier nicht so häufig wie in unseren heimatlichen Bergen, da Fichtenwälder sehr selten sind und diese Bäume meistens nur am Rande der anderen Waldungen wachsen. Zwei Tage vor dem eigentlichen Bescherabend wurde dann ein schöner Baum geholt, allerdings ohne forstpolizeiliche Erlaubnis, jedoch soll diese letztere auch bei uns in der Heimat manchmal fehlen. Unser Gladenbacher Schreinermeister fertigte einen Baumständer dazu an und so war der Baum bald bis zum Schmücken fertig. Dieses wurde dann gemeinschaftlich mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln so gut wie möglich gemacht. Einige Glaskugeln hatten wir noch in Brügge erobert, eine Nachbarsfrau machte uns aus Seidenpapier eine Anzahl Rosen und die Kerzen waren aus der Heimat gesandt, sodaß der Baum mit dem aus Watte vorgetäuschten Schnee einen sehr weihnachtlichen Eindruck machte. Die als Hintergrund dienende Wand wurde noch mit einem aus Tannensträuchern gefertigten W II, zwei Bildern der kaiserlichen Familie und einigen Waffen geschmückt, womit die Vorbereitungen beendet waren. Eine etwas wehmütige Stimmung herrschte den Tag über unter uns, die mit zunehmender Dunkelheit immer mehr anwuchs. Der gewohnte Wachtdienst durfte natürlich an diesem Tage nicht vernachlässigt werden und ebenso wie sonst gingen die Patrouillen ihre gewohnten Wege. Gegen Abend gingen die dienstfreien Leute auf einen Nachbarposten, um sich dort die sehr feierliche Bescherung anzusehen und zugleich auch die für uns bestimmten Weihnachtspakete zu holen. Die letzteren wurden nach Rückkunft schnell auf dem Tische ausgebaut und dann auch auf unserem Posten zur Bescherung geschritten. Eine Anzahl der in der Nachbarschaft wohnenden belgischen Familien mit ihren Kindern wohnten der Feier bei. Alle waren hoch entzückt über den in strahlender Beleuchtung prangenden Baum und manches skon, skon (schön) entschlüpfte ihren Lippen. Ich möchte hier bemerken, daß hier in Belgien eine Weihnachtsfeier wie bei uns in Deutschland fast unbekannt ist. Weihnachtsbäume und Weihnachtsgebräuche sind ihnen fremd, daher auch ihr Entzücken beim Anblick des Baumes und jeder versicherte, im nächsten Jahre machen wir aber auch einen Baum. Unsere Feier wurde eröffnet durch das gemeinschaftliche Lied „Stille Nacht, heilige Nacht", erst etwas unsicher einsetzend, weil manchen etwas in der Kehle würgte, dann aber fest und sicher erklingend aus 20 Landsturmkehlen.


Personen: Brühl, Otto
Orte: Belgien · Gladenbach · Brügge
Sachbegriffe: Landsturm-Bataillon Marburg · Weihnachten · Landsturm · Weihnachtsbäume · Wachdienst
Empfohlene Zitierweise: „Otto Brühl, Das Marburger Landsturm-Bataillon Weihnachten 1914 in Belgien, Abschnitt 8: Vorbereitungen für Weihnachten an der Front“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/8-1> (aufgerufen am 26.04.2024)