Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Feldpostbriefe und -karten des Jägers Karl Ulmer aus Marburg an seine Familie, 1918

Abschnitt 18: 19.3.1918: Feldpostbrief von Karl Ulmer an die Familie


Origny, d. 19.III.1918.

Liebe Mutter, Else u. Kurt!

Ihr werdet Euch wundern, daß ich Euch heute schon von hier schreibe. Ich bin nämlich heute plötzlich abgelöst worden allerdings blos für einen Tag. Morgen früh fahre ich wieder in Stellung. Ihr werdet nun längere Zeit keine Post von mir erhalten, denn am [21] früh geht hier die Offensive los. Ich muß bis morgen Mittag wieder vor sein. Komme wieder zum Bataillonsstab. Braucht Euch also keine Gedanken zu machen, denn ich brauche nicht mit zu stürmen. Es ist doch wirklich komisch, daß ich nun Vater wieder nicht treffen kann. Ihr müßtet mal sehen was hier für Artillerie liegt. Sogar 42ger ./. und Österreichische Motorbatterien. Die Sause geht folgendermaßen vor sich. Die Nacht vom 20-21 um 12 Uhr setzt die gesamte Artillerie mit Trommelfeuer ein und zwar die ersten drei Stunden mit blau Kreuz Gas1 dann die nächsten 13 Stunden mit gewöhnlichen Granaten. Wenn die feindliche Artillerie die ersten drei Stunden nicht zum Schweigen gebracht worden ist wird sie mit gelb Kreuz Gas2 beschossen. Das ist nun ein [Ret]ikelmittel. Uns ist gesagt, daß wir keinem Toten etwas abnehmen sollten, denn durch die bloße Berührung verbrennt man sich die ganzen Hände. In den ersten Stunden wirkt es sogar tötlich. Wir hoffen also fast ohne Widerstand zufinden durchzukommen. ./.

Bei Reimes sollen sie ja die Sache schon ausprobiert haben. In Italien hatten sie es auch angewandt. Derselbe Führer der dort die Sause geleitet hat, leitet sie auch jetzt wieder. Also siehst Du daß man da Hoffnung haben kann. Hier draußen freut sich alles auf die Offensive. So nun habe ich Euch ja alles geschrieben. Also Kopf hoch wenn Ihr jetzt längere Zeit nichts hört. Denn ich nehme gar kein Briefpapier nicht vor. Es grüßt und küßt Euch alle herzlich Euer Karl.

Habe an Vater auch geschrieben der Tommy wird sich wundern.


  1. Eine führende Rolle in der Entwicklung chemischer Kampfmittel nahm Fritz Haber, Leiter des "Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physikalische Chemie" in Berlin ein. Vgl. Wietzker, Wolfgang: Giftgas im Ersten Weltkrieg. Was konnte die deutsche Öffentlichkeit wissen?, Düsseldorf 2006, S. 33-36. Eine besondere Wirkung versprach man sich durch den kombinierten Einsatz verschiedener farblich gekennzeichneter Giftgasstoffe. Blaukreuzgas sollte zunächst die Soldaten dazu bewegen die Gasmasken abzunehmen, damit andere Giftgase, so genannte Grünkreuzgase, ihre volle Vernichtungskraft entfalten konnten. Vgl. Baumann, Timo: Giftgas und Salpeter. Chemische Industrie, Naturwissenschaft und Militär von 1906 bis zum erste Munitionsprogramm 1914/15, Düsseldorf 2011,S. 399.
  2. Gelbkreuzgas wurde seit 1917 für Habers Institut produziert und kam 1918 erstmals zum Einsatz. Die Wirkung des Giftgases äußert sich nach einigen Stunden durch Erblinden und Bronchienentzündungen, später auch durch Brandwunderscheinungen. Vgl. Baumann, Timo: Giftgas und Salpeter. Chemische Industrie, Naturwissenschaft und Militär von 1906 bis zum erste Munitionsprogramm 1914/15, Düsseldorf 2011, S. 41f.

Personen: Ulmer, Anton · Ulmer, Else · Ulmer, Karl Heinrich Christian · Ulmer, Kurt · Ulmer, Wilhelmine
Orte: Italien · Marburg · Origny · Reims
Sachbegriffe: Artillerie · Beschießung · Feind · Giftgas · Granaten · Stellung · Toter · Feldpost · Feldpostbriefe
Empfohlene Zitierweise: „Feldpostbriefe und -karten des Jägers Karl Ulmer aus Marburg an seine Familie, 1918, Abschnitt 95: 19.3.1918: Feldpostbrief von Karl Ulmer an die Familie“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/98-18> (aufgerufen am 09.05.2024)