Synagogen in Hessen
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- Großherzogtum Hessen 1823-1850 (Übersichtskarte mit handschriftlichen Ergänzungen) – 22. Darmstadt
Crumstadt
- Gemeinde Riedstadt, Landkreis Groß-Gerau — Von Wolfgang Fritzsche
- Basisdaten ↑
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Juden belegt seit
1537
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Lage
64560 Riedstadt, Ortsteil Crumstadt, Walter-Rathenau-Straße | → Lage anzeigen
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Rabbinat
Darmstadt II
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religiöse Ausrichtung
orthodox
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erhalten
nein
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Jahr des Verlusts
1938
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Art des Verlusts
Zerstörung
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Gedenktafel vorhanden
nein
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Weitere Informationen zum Standort
- Geschichte ↑
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Der älteste Hinweis auf einen Juden in Crumstadt stammt aus dem Jahr 1537, als Seligmann von Darmstadt nach dort verzog.1 Annähernd 100 Jahre später folgen weitere Hinweise auf steuerpflichtige Juden, so 1619, 1621 und 1623, als jeweils ein Jude aus Crumstadt Zollabgaben zu entrichten hatte. 1631 ist erstmals ein jüdischer Einwohner namens Gumpel nachweisbar. Ende des 17. Jahrhunderts werden in unterschiedlichen Rechnungen Jud Zadok, Jüdin Güthe und Jud Aron genannt. 1720 besaß ein Jude namens Baruch ein Haus und von 1723 bis 1752 lebte Mosche Crumstadt im Ort, der 1735 wichtige Aufgaben im Rahmen der Landjudentage in Groß-Gerau übernahm. 1794 waren es vier jüdische Familien2, deren Namen aber nicht überliefert sind. Ende des 18. Jahrhunderts konstituierte sich eine eigenständige Gemeinde, die bis 1828 einen Betsaal unterhielt und danach eine Synagoge einrichtete.3
Über die Zahl der jüdischen Bevölkerung in Crumstadt gibt es unterschiedliche Angaben. Sicher ist, dass sie um 1880 mit 84 Personen, was einen Anteil von 6,2 % der Gesamtbevölkerung ausmacht, den höchsten Strand erreichte.4 In den folgenden Jahrzehnten sank diese Zahl wieder. 1910 lag sie 60, 1933 bei 47 Personen. 15 von ihnen wurden deportiert und ermordet, als letzter der letzte Vorsteher, Isidor Heim.
Bis zu ihrer Auflösung gehörte die Gemeinde dem orthodoxen Rabbinat Darmstadt II. an.
- Betsaal / Synagoge ↑
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Nachdem sich Ende des 18. Jahrhundert die Gemeinde Crumstadt gebildet hatte, nutzte sie – vermutlich in einem Privathaus – einen angemieteten Betsaal. 1826 erwarb der ledige Issachar ben Baruch, der sich später Zacharias Bruchfeld nennen sollte, die vormalige Zehntscheune in der heutigen Walter-Rathenau-Straße, etwa gegenüber der Einmündung Sandstraße. Er schenkte das Gebäude der Gemeinde, die es bis 1828 zu einer Synagoge umbauen ließ. Die Kosten wurden unter anderem durch eine Spendenaktion aufgebracht. Als Dank für die Stiftung erhielt Zacharias Bruchfeld, der allein rund 650 Gulden beigetragen hatte, das Recht, „sich einen Stand in der Schule zu wählen, der ihm am besten gefällt.”5 Das gleiche Recht erhielt auch seine zukünftige Frau in der Frauenschule und eines der möglicherweise aus dieser Ehe hervorgehenden Kinder.
1890 fanden umfangreiche Sanierungs- und Umbauarbeiten statt. Unter anderem wurde das Fachwerk der Synagoge verputzt, eine Ofenheizung eingebaut6 und die Mikwe erneuert. Beide müssen sich anschließend in einem guten Zustand befunden haben, denn die Synagoge wurde mit 4.600 Mark, die Mikwe mit 690 und die Abtritte mit 80 Mark in das Brandkataster eingetragen.7 Den überwiegenden Platz nahmen das Schulzimmer und der eigentliche Synagogenraum ein. Die südliche Dachfläche war weit heruntergezogen und bildete beinahe einen Niederlass, der vorne eine Amtsstube und hinten eine Wohnstube aufnahm.
Am 7. Februar 1928 feierte die Gemeinde ihr 100jähriges Bestehen, die Festpredigt hielt der Rabbiner Dr. Merzbach aus Darmstadt
Trotz Protestes des Bürgermeisters drangen in der Pogromnacht SA-Leute in die Synagoge ein. Diese verfügte seinerzeit über 72 Sitzplätze mit Pulten für Männer und 32 Sitzplätze für Frauen sowie eine entsprechende Garderobenvorrichtung. Zur Ausstattung zählten unter anderem ein Thoraschrein mit Altaraufbau, ein Almemor mit Vorlesepult und Wickelbank, ein Vorbeterpult, ein großer, vielflammiger Kristalllüster, zwölf größere Seitenleuchter, sechs Leuchter am Thoraschrein, ein großer Perserteppich, ein Schrank für Kultgeräte sowie zwei Uhren.8 Die Einrichtung wurde zerschlagen, die Gebäude weitgehend zerstört. Einzig eine Hängeleuchte aus Messing wurde geborgen.9 Der Gesamtschaden wurde mit 129.244 Mark beziffert. Der Landrat ordnete zunächst an, die Schäden durch Verschluss der Hofreite unsichtbar zu machen. Später hatten die Gemeindemitglieder die Reste der Synagoge selbst niederzulegen. Da dies den verblieben vier alten Männern nicht möglich war, mussten sie einen Handwerker damit beauftragen. Die beiden Nachbarn konnten anschließend das Grundstück zu einem deutlich reduzierten Preis erwerben und mussten dafür nach dem Krieg zusammen 750 Mark nachzahlen.10
- Weitere Einrichtungen ↑
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Mikwe
Es ist davon auszugehen, dass diese Synagoge zunächst keine Mikwe enthielt. Tatsächlich hatte Zacharias Bruchfeld geheiratet und stellte bis 1852 „sein eigenes Frauenbad in seinem Haus den sämmtlichen hiesigen Israeliten zur Benutzung“11 zur Verfügung, wodurch eine Mikwe für die Gemeinde nicht notwendig war. Nach Bruchfelds Tod wollte seine Witwe das Haus verkaufen und verweigerte die weitere quasi öffentliche Nutzung. Bis 1856 ließ sich daher die Gemeinde für 536 Gulden auf dem Synagogengrundstück rechts zwischen Straße und Synagoge eine Mikwe einbauen. Differenzen über die Finanzierung verhinderten einen früheren Abschluss. Bereits 1875 mussten schon wieder Sanierungsarbeiten durchgeführt werden, weil „das Frauenbad nicht mehr, wie das Gesetz besagt, im Stande ist”.12 Weitere Sanierungen sind für 1890 belegt.
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Schule
Die 1828 erbaute Synagoge beinhaltete neben dem eigentlichen Synagogengebäude auch ein Schulzimmer.
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Friedhof
Die Verstorbenen der Gemeinde wurden sowohl in Alsbach, als auch in Groß-Gerau bestattet. Bei den älteren Beisetzungen in Alsbach findet man mehrheitlich Gräber der Familie Bruchfeld, während die meisten Gräber in Groß-Gerau in die Familie Mayerfeld gehören. Das älteste Crumstädter Grab in Alsbach von 1745 gehört Bunle, der Tochter des Abraham.13
→ Alsbach, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
→ Groß-Gerau, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen -
Grabstätten
- Nachweise ↑
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Weblinks
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Quellen
- HHStAW Abt. 365, Nr. 48: Gräberverzeichnis des jüdischen Sammelfriedhofs von Alsbach (enth. Crumstadt), 1889–1941
- HHStAW Abt. 503, Nr. 7385: Entschädigungsansprüche der jüdischen Gemeinden im Regierungsbezirk Darmstadt. Band 8: Bd. 8: Synagogen und andere jüdische Einrichtungen im Kreis und in der Stadt Groß-Gerau, 1959-1962
- HHStAW Abt. 518, Nr. 1404: Entschädigungsakte Jüdische Gemeinde Crumstadt
- HStAD Best. G 15 Groß-Gerau, Nr. L 7: Bau und Unterhaltung israelitischer Frauenbäder, 1838-1886
- HStAD Best. G 15 Groß-Gerau, Nr. L 20: Bauunterhaltung der Synagoge zu Crumstadt, 1844–1928
- HStAD Best. P 1, Nr. 2130: Lageplan des Ortes Crumstadt (mit Darstellung der Synagoge),1860
- HStAD Best. R 12 F, Nr. 141: Festprogramm zur 100-Jahrfeier der Synagoge 1928
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Literatur
- Alicke, Klaus-Dieter: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. Gütersloh 2008
- Altaras, Thea: Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen – Was geschah seit 1945. Königstein im Taunus 2007
- Arnsberg, Paul: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang. Untergang. Neubeginn, 2 Bde. Frankfurt a.M. 1971/1972, hier: Band 1, S. 111-112
- 900 Jahre Geschichte der Juden in Hessen. Beiträge zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben, Wiesbaden 1983 (Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen 6)
- Heinemann, Hartmut/Wiesner, Christa: Der jüdische Friedhof in Alsbach an der Bergstraße, Wiesbaden 2001 (Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen 18)
- Heyl, Christoph: Die Synagoge von Crumstadt 1926-1938. In: Heimatspiegel. Heft 2 vom 24. Februar 1962
- Kowalski, Andrea: Synagoge – Die Schäden sollte niemand sehen. Abriss in Crumstadt nach der Pogromnacht. In: Darmstädter Echo 47, Nr. 261 vom 9. November 1991, S. 50
- Schleindl, Angelika und Hanna Salomon: Der jüdische Friedhof Groß-Gerau. Ein Beitrag zur Geschichte der Landjuden in Südhessen. Darmstadt 1993
- Schleindl, Angelika: Verschwundene Nachbarn. Jüdische Gemeinden und Synagogen im Kreis Groß-Gerau. Groß-Gerau 1990
- Walter, Helmut: Heimatbuch Crumstadt im Ried. Riedstadt 1979
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Abbildungen
- Indizes ↑
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Personen
Seligmann · Gumpel · Zadok · Güthe · Aron · Baruch · Mowsche Crumstadt · Heim, Isidor · Issachar ben Baruch · Bruchfeld, Zacharias · Merzbach, Dr. · Bruchfeld, Familie · Mayerfeld, Familie · Bunle, Tochter des Abraham
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Orte
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Sachbegriffe Geschichte
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Sachbegriffe Ausstattung
Thoraschreine · Almemore · Vorlesepulte · Wickelbänke · Kristalllüster · Leuchter · Teppiche · Uhren
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Sachbegriffe Architektur
- Fußnoten ↑
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- HStAD O 61 Müller, in 2. ↑
- Walter: Heimatbuch Crumstadt, S. 295. ↑
- Schleindl: Verschwundene Nachbarn, S. 220. ↑
- Heinemann: Jüdischer Friedhof Alsbach, S. 50. ↑
- Heyl: Synagoge Crumstadt. ↑
- Kowalski: Die Schäden sollte niemand sehen. ↑
- HHStAW 503, 7385. ↑
- HHStAW 518, 1404. ↑
- Kowalski: Die Schäden sollte niemand sehen. ↑
- HHStAW 518, 1404. ↑
- HStAD G 15 Groß-Gerau, L 7. ↑
- HStAD G 15 Groß-Gerau, L 7. ↑
- Heinemann: Jüdischer Friedhof Alsbach, S. 51. ↑
- Empfohlene Zitierweise ↑
- „Crumstadt (Landkreis Groß-Gerau)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/syn/id/30> (Stand: 11.8.2022)