Synagogen in Hessen
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- Großherzogtum Hessen 1823-1850 (Übersichtskarte mit handschriftlichen Ergänzungen) – 22. Darmstadt
Gräfenhausen
- Gemeinde Weiterstadt, Landkreis Darmstadt-Dieburg — Von Wolfgang Fritzsche
- Basisdaten ↑
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Juden belegt seit
1. Hälfte 18. Jahrhundert
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Lage
64331 Weiterstadt, Ortsteil Gräfenhausen, Hauptstraße 5/Postplatz | → Lage anzeigen
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Rabbinat
Darmstadt II
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religiöse Ausrichtung
orthodox
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erhalten
nein
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Jahr des Verlusts
1938
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Art des Verlusts
Zerstörung
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Gedenktafel vorhanden
ja
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Weitere Informationen zum Standort
- Geschichte ↑
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Wann sich die ersten Juden in Gräfenhausen niederließen, ist nicht bekannt. Eine jüdische Gemeinde ist seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts nachweisbar. Seit dem 19. Jahrhundert waren auch die in Wixhausen, Erzhausen und Weiterstadt lebenden Juden Mitglieder dieser Gemeinde.1
Ende der 1820er Jahre betrug die Zahl der in Gräfenhausen lebenden Juden 34, weitere 39 lebten in den zu der Gemeinde gehörenden Nachbarorten. Im Verlauf des Jahrhunderts stieg sie an, um mit 63 im Jahre 1867 ihren höchsten Stand zu erreichen. Gleichzeitig lebten weitere 17 Juden in Erzhausen und Wixhausen. Danach sank die Zahl wieder und lag 1933 bei insgesamt 42 Personen. Zunehmender Druck und Repressalien während der nationalsozialistischen Herrschaft veranlassten 15 von ihnen aus Gräfenhausen zu fliehen. 27 jüdische Einwohner wurden deportiert und ermordet.2
Zuletzt am 16. Oktober 2015 verlegte der Künstler Gunter Demnig Stolpersteine zur Erinnerung an die Familien Mai, Volz und Mannheimer. Bereits zwei Jahre zuvor, am 6. November 2013 wurden Stolpersteine verlegt, in der darauf folgenden Nacht zum größten Teil aber gestohlen wurden.
- Betsaal / Synagoge ↑
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Im 18. und vermutlich zu Beginn des 19. Jahrhunderts fand Gottesdienst in einem Betsaal in einem privaten Wohnhaus statt, dessen Lage heute unbekannt ist. 1846 beantragte die Gemeinde den Ankauf eines Seitenflügels auf der Hofreite des Fabrikanten Schwarz, um darin eine Synagoge einzurichten. Der Gemeindebaumeister hielt das Gebäude für untauglich, weshalb dieser Antrag zunächst abgelehnt wurde. Der Kreisbaumeister folgte zwar der Argumentation des Gemeindebaumeisters, schlug aber vor, den Ankauf zu genehmigen, da nur ein Teil des Gebäudes als Synagoge, der übrige Teil als Mikwe genutzt werden sollte. Es wird allerdings davon ausgegangen, dass dieses Vorhaben nicht realisiert wurde.
Ab 1855 nutzte die Gemeinde ein Haus in der späteren Hauptstraße, dessen Hofreite seit 1699 in jüdischem Besitz stand. Das Gebäude selbst war wohl um 1800 neu errichtet worden.3 Im teilweise aus Backsteinmauerwerk bestehenden Erdgeschoss befand sich neben der Lehrerwohnung die Mikwe, im Obergeschoss lag der Betraum mit Empore. Er enthielt 36 Plätze mit Pulten für Männer, 20 Plätze für Frauen, eine Garderobe mit 60 Einheiten, einen Thoraschrein mit künstlerischem Altaraufbau, ein Vorlesepult mit Wickelbank und zwei Leuchtern, eine Gedenktafel aus Marmor, einen Kronleuchter, zwei altertümliche Hängelampen, vier Seitenleuchter, eine Laubhütte, 25 Meter guten Läufer, einen Schrank für Kultgeräte und einen Ofen.4
Die Synagoge wurde in der Pogromnacht nicht zerstört. Am darauf folgenden Tag kam eine SA-Abteilung aus Darmstadt und forderte den Bürgermeister auf, die Zerstörung durchzuführen. Die im unteren Stockwerk wohnende Familie Strauss wurde zuvor bei einer anderen Familie untergebracht. Noch während des Zweiten Weltkrieges trug die politische Gemeinde die stehen gebliebenen Außenwände ab, der freie Platz wurde nicht mehr bebaut und ist heute der Postplatz.5
1983 weihte die Gemeinde einen Gedenkstein zur Erinnerung an die jüdischen Bewohner und deren Synagoge ein.
- Weitere Einrichtungen ↑
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Mikwe
In einem Anbau der Synagoge befand sich die Mikwe, die sich aber 1938 bereits „seit vielen Jahren nicht mehr in brauchbarem Zustand“6 befand. Sie enthielt als Einrichtung Wäsche und Zubehör, Frisier- und Wartevorrichtung, elektrische Apparate und anderen Utensilien.7
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Schule
In der Zeit um 1900 wurde in der Synagoge Unterricht gehalten.
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Friedhof
Die in Gräfenhausen lebenden Juden bestatteten ihre Verstorbenen auf dem Verbandsfriedhof in Groß-Gerau.
- Nachweise ↑
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Weblinks
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Quellen
- Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW):
- HHStAW Best. 503, Nr. 7380: Entschädigungsansprüche der jüdischen Gemeinden im Regierungsbezirk Darmstadt. Bd. 3: Synagogen und andere jüdische Einrichtungen im Kreis Büdingen sowie im Kreis und der Stadt Darmstadt, (1930-1933) 1960-1962
- HHStAW Best. 518, Nr. 1469: Entschädigungsakte Jüdische Gemeinde Gräfenhausen, 1954-1962
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Literatur
- Alicke, Klaus-Dieter: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. Gütersloh 2008
- Arnsberg, Paul: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang. Untergang. Neubeginn, 2 Bde. Frankfurt a.M. 1971/1972, hier: Band 1, S. 272-274
- Sellemols. Geschichte und Geschichten aus Gräfenhausen Schneppenhausen und Umgebung, hrsg. vom Heimatverein Gräfenhausen. Gräfenhausen 2003
- Hoch, Günther et al: 750 Jahre Gräfenhausen 1225-1975. Darmstadt 1975
- Hoch, Günther: Jüdische Gemeinde Gräfenhausen. Weiterstadt 1984
- Lange, Thomas: L´chajim – Die Geschichte der Juden im Landkreis Darmstadt-Dieburg. Reinheim 1997
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Abbildungen
- Indizes ↑
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Personen
Demnig, Gunter · Mai, Familie · Volz, Familie · Mannheimer, Familie · Schwarz · Strauss, Familie
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Orte
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Sachbegriffe Geschichte
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Sachbegriffe Ausstattung
Pulte · Garderoben · Thoraschreine · Altaraufbauten · Vorlesepulte · Wickelbänke · Leuchter · Gedenktafeln · Kronleuchter · Hängelampen · Seitenleuchter · Laubhütten · Läufer · Schränke · Öfen
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Sachbegriffe Architektur
- Fußnoten ↑
- Empfohlene Zitierweise ↑
- „Gräfenhausen (Landkreis Darmstadt-Dieburg)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/syn/id/95> (Stand: 27.9.2023)