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Kurfürstentum Hessen 1840-1861 – 53. Schwarzenborn

Schwarzenborn

Gemeinde Schwarzenborn, Schwalm-Eder-Kreis — Von Barbara Greve
Basisdaten | Geschichte | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | Nachweise | Indizes | Empfohlene Zitierweise
Basisdaten

Juden belegt seit

1687

Lage

34639 Schwarzenborn, Kirchgasse

erhalten

nein

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historisches Ortslexikon

Geschichte

Schwarzenborn, eine der kleinsten Städte im Bundesland Hessen, liegt im Hochknüll. Sie war im Mittelalter von den Grafen von Ziegenhain planmäßig angelegt worden. Im Erbgang gelangte sie 1450 an die Landgrafen von Hessen, deren Schicksal sie in der folgenden Zeit teilte.

Seit dem Jahre 1687 ist ein Jude für Schwarzenborn bezeugt, welcher mit Familiennamen Wallach genannt wurde. Dies bezog sich vermutlich auf seine Herkunft aus der Fremde, der „Walachei“. Er stand unter adeligem Schutz und handelte mit Vieh. 1779 lebten drei jüdische Familien in der Stadt. Im Jahre 1831 war die Zahl der Juden auf 19 Familien mit 81 Mitgliedern angestiegen, welche wohl alle eng zusammen in der Judengasse wohnten. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts erreichte die Gemeinde mit 88 Köpfen ihren zahlenmäßigen Höchststand, um dann aus den verschiedensten Gründen mehr und mehr zu schrumpfen. 1871 lebten noch 24 Juden und 31 Jüdinnen mit fünf Söhnen und 10 Töchtern in der Stadt; 11 von ihnen waren selbständig. Es gab acht schulpflichtige Kinder. Die Gemeinde wurde immer kleiner, und 1933 gab es nur noch die Familien von Siegfried Oppenheimer und Fritz Kaiser.1

Die jüdische Bevölkerung des 19. Jahrhunderts von Schwarzenborn ist über die erhaltenen Geburts-, Trau- und Sterberegister für den Zeitraum zwischen 1824 und 1901 gut überliefert.2

Die Familien Oppenheimer und Kaiser zählten zu den Opfern der NS-Zeit. Siegfried Oppenheimer, seine Frau Jenny sowie die vier Kinder erster und zweiter Ehe wurden im Dezember 1941 von Kassel nach Riga deportiert. Nur die drei ältesten Geschwister überlebten.3 Fritz Kaiser und seine Ehefrau konnten mit einer Tochter nach dem Novemberpogrom nach Shanghai entkommen.

Betsaal / Synagoge

Die Geschichte der Synagoge in Schwarzenborn ist gut belegt.4 Bereits vor der Einrichtung einer Synagoge bestand eine Betstube am Ort. Für den Beginn des 19. Jahrhunderts sind die Vorsänger Juda Meyer sowie Mentel Levi nachweisbar. Seit 1815 hielt sich der aus Maßbach in Franken stammende Lehrer Feibel Goldstein in Schwarzenborn auf. Er wurde im Kontakt mit den durchziehenden russischen Truppen der Freiheitskriege als Dolmetscher eingesetzt, da er als einziger weit und breit der russischen Sprache kundig war. Für die unentgeltliche Ausübung dieser Dienste erhielt er seinen Toleranzschein.

1835 befand sich der Betraum im Hause des Geisel Wallach II, wofür ihm die Gemeinde 12 Taler jährlich zahlte. Dort wurden in einem (Thora-)Schrank drei Thorarollen verwahrt, welche häufig dem Thoraschreiber Moses Seckel zur Reparatur gegeben werden mussten. Mit dem Aufblühen der Gemeinde und der Zunahme der jüdischen Einwohner reichte die Betstube nicht mehr aus. Gleichzeitig stieg die Zahl der Schulkinder, welche nach dem Simultanschuldialekt von 1817 entweder öffentliche Schulen besuchen mussten oder in einer eigenen jüdischen Schule der Schulpflicht unterlagen. Weiterhin gerieten die sich in den Kellern der Wohnhäuser befindlichen rituellen „Badelöcher“ in den Blickpunkt der Obrigkeit. All dies veranlasste die Gemeinde, im April 1842 von George und Maria Ziegler für 400 Taler ein Haus in der Judengasse zu erwerben, welches 1844 endgültig in ihren Besitz überging. Zu dem Erwerb konnten die armen Juden Schwarzenborns selbst unter äußerster Anstrengung nur 100 Taler aufbringen, den Rest mussten sie sich vom Gutspächter Schade aus Merzhausen borgen. Um das Haus als Synagoge, Schule und Mikwe nutzen zu können, mussten umfangreiche Umbauarbeiten vorgenommen werden, welche sich bis 1849 hinzogen. Erst dann konnte die feierliche Einweihung durch den in Schwarzenborn geborenen und nunmehr in Merzhausen wirkenden Lehrer Moses Kaufmann stattfinden.

Das erworbene Gebäude mit der fast quadratischen Grundfläche von 9,0 x 9,2 Metern beherbergte im Untergeschoss die Synagoge und eine Schulstube, im Obergeschoss waren Wohnräume. In dem etwa 35 Quadratmeter großen Synagogenraum befanden sich die Frauenstände im hinteren Bereich des Raumes und wurden durch ein Gitterwerk abgetrennt. Die Thorarollen wurden in einem Schrank aufbewahrt. Beheizt wurde die Synagoge vom Ern aus; ein Kronleuchter mit 16 „Hüterchen“ und weitere Leuchter dienten als Lichtquelle. Ob die Fenster, wie auf einem Plan ersichtlich, tatsächlich rundbogig waren, lässt sich nicht mehr rekonstruieren.

Im Jahre 1920 wurde die Wohnung in der Synagoge für 120 Mark jährlich an Johannes Liebermann vermietet. 1928 gab es nur noch drei Gemeindemitglieder. Die Wohnung in der Synagoge bewohnte zu dieser Zeit eine arme Frau, welche statt der Miete das Melken der Kuh des Gemeindevorsitzenden übernahm. In der Folge wurde das Gebäude unbekannten Datums an einen Privatmann verkauft und wieder zum Wohnhaus umgebaut. Als Simon Kaufmann 1931 verstarb, beantragte der jüdische Kreisvorsteher Strupp die endgültige Zuweisung zur Gemeinde Oberaula, wo die verbliebenen Juden bereits vorher am Gottesdienst teilgenommen hatten.

Die Kultgegenstände waren zu unbekannter Zeit in das Gemeindehaus der Jüdischen Gemeinde Kassel ausgelagert worden. Dort sind sie verschollen. Heute erinnern nur noch drei im April 2009 vor dem einstigen Wohnhaus in der ehemaligen Judengasse verlegte Stolpersteine für Siegfried, Jenny und Martin Oppenheimer an die fast 300jährige Geschichte der Juden in Schwarzenborn.5

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Ob in dem Synagogengebäude jemals ein Frauenbad eingerichtet war, hat sich nicht rekonstruieren lassen. 1836 stimmten jedenfalls alle israelitischen Frauen gegen die Verfügung des Kreisamtes Ziegenhain auf Schließung ihrer hauseigenen „Badelöcher“. Die Armut und später die geringe Zahl der Betroffenen verhinderte darüber hinaus wohl die Einrichtung eines zentralen Frauenbades.6

Schule

Nachdem der Lehrer Marcus Lazarus Nussbaum verstorben war, wurde 1827 Moses Heinemann aus Melsungen angestellt, welcher zuvor schon einmal fünf Jahre in Schwarzenborn verpflichtet gewesen war. Ab 1828 folgte ihm Victor Bloch aus Abterode als Lehrer, Vorsänger und Schächter der Gemeinde. Weitere bekannte Lehrer schlossen sich an. Die Schülerzahl schwankt zu dieser Zeit stark und betrug 1839 sieben Kinder, 1840 hingegen nur drei. 1841 waren wieder vierzehn Kinder zu unterrichten.

Die Lehrerbesoldung war so unzureichend, dass Nathan Werthan sich 1861 veranlasst sah, sie durch sogenannte „Ziegenvermietung“, d.h. das Großziehen von Ziegenlämmern gegen zeitweilige Milchnutzung, aufzubessern. Da die Zahl der Schüler immer mehr abnahm, sah sich die Gemeinde 1867 auch aus finanziellen Gründen veranlasst, die eigene Schule zu schließen und die Kinder in die Schwarzenborner Stadtschule zu schicken. Nun wurde nur noch der Religionsunterricht durch den Lehrer Rothschild aus Oberaula im Schulzimmer erteilt.7

Friedhof

Einen eigenen Friedhof besaßen die Juden in Schwarzenborn nicht. Vielmehr begruben sie ihre Toten auf dem großen Sammelfriedhof in Oberaula. Dort sind nach den Grabinschriften wenigstens 40 Juden aus Schwarzenborn für den Zeitraum von 1744 bis 1932 nachzuweisen.

Oberaula, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Oberaula, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

Nachweise

Weblinks

Quellen

Literatur

Abbildung vorhanden

(in Bearbeitung)

Indizes

Personen

Ziegenhain, Grafen von · Hessen, Landgrafen von · Wallach · Oppenheimer, Siegfried · Kaiser, Fritz · Oppenheimer, Jenny · Juda Meyer · Mentel Levi · Feibel Goldstein · Geisel Wallach II · Moses Seckel · Ziegler, George · Ziegler, Maria · Schade · Kaufmann, Moses · Liebermann, Johannes · Kaufmann, Simon · Strupp · Oppenheimer, Martin

Orte

Kassel · Riga · Shanghai · Maßbach, Franken · Merzhausen · Oberaula · Ziegenhain · Melsungen · Abterode

Sachbegriffe Geschichte

Freiheitskriege · Stolpersteine

Sachbegriffe Ausstattung

Thoraschränke · Thorarollen · Kronleuchter · Leuchter

Sachbegriffe Architektur

Gitter

Fußnoten
  1. HStAM, 19 h, 584 und 585; 180 Ziegenhain, 4500; Rechnungen III Schwarzenborn, 1792.- Greve, Friedhof Oberaula, S. 165
  2. HHStAW 365, 778-780
  3. Gedenkbuch des Bundesarchivs
  4. Altaras, Synagogen, S. 168
  5. HStAM, 180 Ziegenhain, 2454; 190 a, 140; 19 h, 586
  6. HStAM, 180 Ziegenhain, 2455
  7. HStAM, 19 h, 918; Rechnungen III Schwarzenborn, 1792
Empfohlene Zitierweise
„Schwarzenborn (Schwalm-Eder-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/syn/id/403> (Stand: 20.5.2022)