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Kurfürstentum Hessen 1840-1861 – 108. Langenselbold

Somborn Karten-Symbol

Gemeinde Freigericht, Main-Kinzig-Kreis — Von Wolfgang Fritzsche
Basisdaten | Geschichte | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | Nachweise | Indizes | Empfohlene Zitierweise
Basisdaten

Juden belegt seit

1702

Lage

63579 Freigericht, Ortsteil Somborn, Josefstraße 14 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Hanau

erhalten

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historisches Ortslexikon

Geschichte

Die älteste schriftliche Erwähnung Somborns stammt aus dem Jahr 1025, als der Adlige Ruoger Besitzungen an das Kloster Fulda abtrat. Somborn war Sitz eines eigenen Gerichts, das wiederum Teil des Freigerichts Alzenau war. 1500 gelangte das Freigericht als Kondominat an das Kurfürstentum Mainz und die Grafen von Hanau-Münzenberg. 1740 fiel der Ort an die Landgrafschaft Hessen-Kassel und dort in das Amt Altenhaßlau, wo es, abgesehen von einigen Herrschaftswechseln zu Beginn des 19. Jahrhunderts, auch verblieb. Zum 1. Januar 1970 schlossen sich Somborn und andere Ortschaften zur Gemeinde Freigericht im Main-Kinzig-Kreis zusammen.

Erste Hinweise auf jüdische Bewohner stammen aus dem Jahr 1337, als in Somborn vier Juden genannt wurden. Für die folgenden 300 Jahre fehlen dagegen Nachweise. 1702 werden zwei jüdische Familien erwähnt, 1737 waren es drei Männer und eine Witwe.1 1754 lag die Zahl bereits bei fünf Familien, die zur Gemeinde in Meerholz zählten.

Die Anzahl der Familien blieb bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts weitgehend konstant. Als sich Juden 1811 bürgerliche Namen geben mussten, wählten sie Strauß, Rothschild und zwei Mal Obenheimer/Oppenheimer. Maier Hirsch nahm den Namen seines Wohnortes Somborn als Familiennamen an.2 Bis Anfang der 1830er Jahre kamen die Familien Sonneberg und Löwenstein hinzu.

Zu dieser Zeit gab es erhebliche Veränderungen in der Landesverwaltung, die auch Auswirkungen auf die jüdischen Gemeinden hatten. Zum einen wurden 1823 jüdische Kinder verpflichtet, den Unterricht in den jeweiligen örtlichen Volksschulen zu besuchen, zum anderen wurden die Synagogenbezirke neu eingeteilt.

Im August 1824 reichte das israelitische Vorsteheramt in Hanau Vorschläge für eine Neuordnung der Synagogenverbände ein. Sie sollten unter „Berücksichtigung der Oertlichkeit und des Bedürfnises vorerst auf drei Jahre“ gelten und anschließend überprüft werden. Zu diesem Zeitpunkt zählte Somborn nicht zur Gemeinde Meerholz, sondern wurde unter Langendiebach geführt. Das Vorsteheramt schlug nun vor, die Somborner Juden Meerholz zuzuordnen.3

Aus der Schulpflicht resultierte, dass die Kinder nun nur noch für den Religionsunterricht und damit für wenige Unterrichtsstunden nach Meerholz mussten. Dies nahmen viele Familien in den Ortschaften zum Anlass, einen eigenen Religionslehrer einzustellen oder gemeinsam einen Lehrer zu beschäftigen, der von Ort zu Ort reiste und Unterricht erteilte. Der dafür notwendige Raum diente vielfach auch dazu, Privatgottesdienste zu halten. So war es auch in Somborn. Bereits 1824 verfügten die jüdischen Familien über einen eigenen Betraum, der an den hohen Feiertagen, Neujahr und Versöhnungstag genutzt wurde. Kam kein Minjan zustande, wurde also die Mindestzahl von zehn Teilnehmern über 13 Jahren nicht erreicht, „mietete“ man sich Gottesdienstbesucher in den umliegenden Orten.4 Hintergrund war, dass sich viele Mitglieder der Filialgemeinden auf die religiösen Vorschriften besannen, die bestimmte Tätigkeiten am Sabbat untersagten. Dazu gehörte auch, die Entfernung zwischen Somborn und Meerholz zu Fuß zurück zu legen, zumal das Wegesystem nicht besonders gut ausgebaut und daher recht beschwerlich war. Dieses Verhalten führte fast schon selbstverständlich zu Auseinandersetzungen mit der Muttergemeinde in Meerholz. Diese war, um den Gemeindebetrieb aufrecht zu erhalten, auf die Mitgliederbeiträge angewiesen und befürchtete den finanziellen Ruin, wenn einzelne Gemeinden einen eigenen Betraum nutzten und ihre Beiträge ganz oder teilweise einstellten. Die Entfernung zwischen den beiden Orten wird je nach Berichterstatter unterschiedlich angegeben. Mal betrug er eine halbe Stunde Fußweg, ein anderes Mal eine Meile, was etwa eineinviertel Stunden Fußweg bedeutete.

Die jüdischen Bewohner von Somborn hatten bereits 1823 den Antrag gestellt, sich von Meerholz lossagen und eine eigene Gemeinde gründen zu dürfen. Dies wurde zunächst abgelehnt. Ob der Betraum in den folgenden Jahren und Jahrzehnten mit Billigung und Genehmigung der Obrigkeit genutzt wurde, konnte nicht geklärt werden. Fakt ist aber, dass er genutzt wurde.

Aus dem Jahr 1842 liegt eine Statistik vor, die auch erste Auskunft über die Sozialverhältnisse der jüdischen Bewohner Somborns gibt. Die Anzahl der Familien hatte sich seit 1816 nicht geändert. Auch die Zahl der in jüdischem Besitz befindlichen Wohnhäuser blieb mit drei Gebäuden unverändert. Von den Haushaltsvorständen waren zwei als Metzger und einer als Schneider tätig.5 In den folgenden Jahren bis 1853 stieg die Zahl deutlich an. Sie lag nun bei elf Männern, sieben Frauen und sechs Kindern. Von den Männern waren sieben Vieh- und Fruchthändler und einer Inhaber eines Handelsbetriebes.6

Die steigende Zahl jüdischer Einwohner nahmen Seligmann Sonneberg und Herz Löwenstein 1873 zum Anlass, abermals einen Antrag auf Loslösung von der Muttergemeinde zu stellen um sowohl Gottesdienst als auch Unterricht in Somborn halten zu können. Nach erneuter Absage erfolgte schließlich 1877 die Genehmigung zum Halten von Gottesdiensten und Unterricht. Der formale Austritt wurde erst 1905 vollzogen. Erster Synagogenältester wurde Karl Strauß.7 Gottesdienst wurde weiterhin in einem Privathaus gehalten. Gemeindemitglieder waren die Familien von Seligmann, Meyer, Hermann und Abraham Sonneberg, Herz Löwenstein, Seligmann Kahn, Karl und Louis Strauß.

In den folgenden Jahren wird eine zumindest teilweise Integration der Juden in die Mehrheitsgesellschaft stattgefunden haben. Moritz Sonneberg und Arthur Löwenstein waren Mitglieder im Männerchor, Siegfried Sonneberg spielte in der örtlichen Fußballmannschaft. Auf dem Kriegerdenkmal ist auch Ferdinand Frank aufgeführt, der 1915 im Ersten Weltkrieg fiel.8

Von Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum 16. Juni 1933 war die Zahl der Somborn wohnenden Gemeindemitglieder von rund 30 auf 47 gestiegen. 43 von ihnen verzogen unter dem Druck nationalsozialistischer Repressalien bis Juni 1939 zumeist nach Frankfurt und Hanau, teilweise aber auch in die USA. Ende 1942 wurden die letzten drei verbliebenen Personen deportiert und ermordet.9

Betsaal / Synagoge

Spätestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts fanden in Somborn außer an den hohen Feiertagen Gottesdienste in einem privaten Betraum statt. Seit der Lossagung von der Muttergemeinde befand sich dieser bis zur Einweihung der neuen Synagoge in einem Zimmer des Hauses von Seligmann Sonneberg in der Hanauer Straße.

Praktisch unmittelbar in Zusammenhang mit der Vorbereitung des Austritts aus der Muttergemeinde Meerholz begannen Planungen zum Bau einer eigenen Synagoge, was der örtliche Bürgermeister zu verhindern versuchte: „Es ist auch zu befürchten, daß nach Errichtung einer Gemeinde hierselbst Israeliten von auswärts zuziehen, weil sie hier keine Gemeindeabgaben zu zahlen haben (nach dem Bau der Synagoge doch erhebliche), und mit der Eröffnung der neuen Bahn frühere Schwierigkeiten für den Handel wegfallen. […] Herr Pfarrer, mit dem ich darüber gesprochen, ist derselben Meinung.“10 Dennoch verfügte das Regierungspräsidium mit Wirkung zum 1. Januar 1905 die endgültige Loslösung und den Bau der Synagoge. Sie wurde am 22. Juni 1906 unter Leitung des Provinzialrabbiners Dr. Bamberger aus Hanau eingeweiht.

Der elf mal acht Meter große, etwas von der Josephstraße zurückversetzte, nach Osten ausgerichtete Saalbau unterschied sich in seiner Bauart deutlich von den benachbarten Gebäuden. Über dem Sockel aus behauenen Buntsandsteinen erhob sich der 1,5 Stockwerke hohe, mit roten und weißen Klinkern verblendete Oberbau, der ein steiles Satteldach trug. Der Westgiebel wurde durch zwei Ecklisenen betont, die über der Dachfläche in kleinen Turmaufsätzen endeten. Der zentral gelegene, über fünf Treppenstufen zu erreichende eingezogene Haupteingang war von einem rundbogigen Sandsteingewände eingefasst, dass sich als Mittelrisalit nach oben fortsetzte und in einem Aufsatz endete, der vermutlich die Gesetzestafeln trug. Den Giebelansatz markierte ein kleines Rundbogenfries. Zwei schmale, ebenfalls rundbogige Fenster lagen links und rechts des Eingangs. Die nördliche Traufwand wies vier große und zwei kleine Rundbogenfenster auf. Ihren oberen Abschluss bildete ein Band aus dunklen Backsteinen. Die Übergänge der dunklen zu den weiß verputzten Backsteinen dieser Fensteröffnungen waren als Kapitelle eines Pilasters ausgeführt. Zumindest einige dieser Fenster trugen bemaltes Glas. Mit diesen Ausstattungen griff der namentlich nicht bekannte Architekt maurische, neoromanische und Elemente des frühen Jugendstils auf.11

Im Inneren befand sich hinter einem kleinen Vorraum der rund acht mal acht Meter große Betsaal. An seiner Ostwand stand das nach vorne durch einen Plüschvorhang abgeschirmte Heiligtum. Entlang der beiden Seitenwände verliefen hölzerne Emporen, die vermutlich über Treppen aus dem Vorraum zu betreten waren.

Die Inneneinrichtung bestand aus 40 Sitzplätzen für Männer, 27 Plätzen für Frauen und einer Garderobenvorrichtung für 70 Einheiten. Der Thoraschrein hatte einen Altaraufbau, zudem waren ein Almemor mit Vorlesepult und Wickelbank, ein Vorbeterpult, ein Kronleuchter, zehn Hängelampen, zwei Kandelaber, 10 Meter guter Läufer, ein Schrank für Kultgeräte sowie ein Ofen vorhanden.12

Zu den Kultgegenständen gehörten vier Thorarollen, drei Paar Thoraaufsätze aus Silber mit Schellen, ein Thoraschild aus Silber, zwei silberne Lesefinger, ein Lesefinger aus Horn, zwölf goldbestickte Thoramäntel, 60 Wimpel, drei goldbestickte Thoraschreinvorhänge mit Übervorhängen, drei goldbestickte Decken für das Vorbeterpult, drei goldbestickt Decken für das Vorleserpult, eine Ewige Lampe, ein siebenarmiger Leuchter aus Bronze, ein Channukahleuchter aus Messing, ein Jahreszeitleuchter, zwei silberne Weinbecher, eine silberne Hawdallahgarnitur, ein Trauhimmel mit Goldstickerei, ein Megillah mit Mantel, zwei Schofarhörner, zwölf Gebetmäntel, sechs Paar Gebetriemen, 20 Gebetbücher, 20 Sätze Festgebetbücher, 20 Bände Pentateuch, ein Satz Aufrufplatten, ein Priesterwaschbecken mit Messingkanne, ein Etrogbehälter und drei Almosenbüchsen.13 Über den Verbleib der Kultgegenstände ist nichts bekannt.

In der Pogromnacht wurde an den Türen Feuer gelegt, das jedoch gelöscht werden konnte. Erst am darauffolgenden Tag brach der Mob in das Gebäude ein und verschleppte die Inneneinrichtung auf ein Feld, wo sie in Brand gesteckt wurde.

Mit Datum vom 28. März 1940 erwarb die bürgerliche Gemeinde das äußerlich kaum beschädigte Gebäude für 1.600 Reichsmark. Eine andere Liste spricht von einem Kaufpreis in Höhe von 1.050 Reichsmark.14 Anschließend diente es zur Unterbringung von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde eine Zwischendecke eingezogen und zeitweise eine Behelfsschule eingerichtet. Im Zuge eines Vergleiches zahlte die politische Gemeinde 1951 DM 8.000 an die IRSO als Ausgleich für den zu niedrig angesetzten Kaufpreis.

1960 erwarb ein Privatmann Grundstück und Gebäude. Nach mehrfachen Umbauten ist das Synagogengebäude heute nicht mehr als solches zu erkennen.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Heute ist nicht mehr bekannt, wo sich vor dem Bau der Synagoge die Mikwe befand. Seit deren Fertigstellung bestand das Frauenbad aus einem kleinen, acht Quadratmeter großen, an die Synagoge angebauten Baukörper, der „eine ausgemauerte Badevorrichtung einfachster Art ohne jegliche Ausstattung“ aufgenommen haben soll.15

Schule

Seit den 1820er Jahren betrieben die in Somborn lebenden Juden die Loslösung aus dem Synagogen– und Schulverband mit Meerholz. Dabei verwiesen sie zumeist auf den beschwerlichen und gefährlichen Schulweg. Erst mit der tatsächlichen Trennung von Meerholz zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand in Somborn auch jüdischer Religionsunterricht statt. Dafür genutzt wurde ein Raum in einem Privathaus in der Hanauer Straße. Zunächst einmal wöchentlich am Sonntag, später an jedem Montag und Mittwoch kam der Lehrer Bezian Wechsler aus dem bayerischen Alzenau und gab vier Stunden Religionsunterricht.16

Friedhof

Auch nach der faktischen Loslösung von der Muttergemeinde wurden die Verstorbenen auf dem Friedhof in Niedermittlau bestattet.

Niedermittlau, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Nachweise

Weblinks

Quellen

Literatur

Abbildung vorhanden

(in Bearbeitung)

Indizes

Personen

Ruoger · Hanau-Münzenberg, Grafen von · Strauß, Familie · Rothschild, Familie · Obenheimer, Familie · Oppenheimer, Familie · Maier Hirsch · Somborn, Maier Hirsch · Sonneberg, Familie · Löwenstein, Familie · Sonneberg, Seligmann · Löwenstein, Herz · Strauß, Karl · Sonneberg, Meyer · Sonneberg, Hermann · Sonneberg, Abraham · Kahn, Seligmann · Strauß, Louis · Sonneberg, Moritz · Löwenstein, Arthur · Sonneberg, Siegfried · Frank, Ferdinand · Bamberger, Dr., Bezirksrabbiner · Wechsler, Bezian

Orte

Freigericht · Hanau · Meerholz · Langendiebach · Frankfurt am Main · USA · Niedermittlau

Sachbegriffe Geschichte

Erster Weltkrieg · Pogromnacht · Zweiter Weltkrieg

Sachbegriffe Ausstattung

Thoravorhänge · Garderoben · Thoraschreine · Altaraufbauten · Almemore · Vorlesepulte · Wickelbänke · Vorbeterpulte · Kronleuchter · Hängelampen · Kandelaber · Läufer · Schränke · Öfen · Thorarollen · Thoraaufsätze · Schellen · Thoraschilde · Lesefinger · Thoramäntel · Wimpel · Thoravorhänge · Decken · Ewige Lampen · Leuchter · Chanukkaleuchter · Weinbecher · Hawdalah-Garnituren · Trauhimmel · Megillot · Schofarot · Gebetmäntel · Gebetriemen · Gebetbücher · Festgebetbücher · Pentateuch · Aufrufplatten · Priesterwaschbecken · Messingkannen · Etrogbüchsen · Almosenbüchsen

Sachbegriffe Architektur

Saalbauten · Sockel · Buntsandstein · Klinker · Satteldächer · Lisenen · Turmaufsätze · Sandsteingewände · Mittelrisalite · Rundbogenfriese · Rundbogenfenster · Backstein · Kapitelle · Pilaster · Emporen

Fußnoten
  1. Schilling, 2002, S. 9
  2. HStAM 86, 9940
  3. HStAM 82 Hanau, c 863
  4. HStAM 82, c 863
  5. HStAM 180 Gelnhausen, 26
  6. Schilling, 2002, S. 12
  7. Schilling, 2002, S. 12
  8. Schilling, 2001, S. 11
  9. Graf, 1988, S. 210
  10. Zitiert nach Ackermann 1993, S. 39
  11. Altaras, 2007, S. 344
  12. HHStAW 518, 1173
  13. HHStAW 518, 1173
  14. HHStAW 519/1, 362
  15. HHStAW 518, 1173
  16. Ackermann, 1986, S. 90
Empfohlene Zitierweise
„Somborn (Main-Kinzig-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/syn/id/322> (Stand: 23.7.2022)