Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Der erste Kriegsmonat im Offenbacher Abendblatt, August 1914

Abschnitt 23: 3.8.1914: Falsche Gerüchte und Unbesonnenheiten


Falsche Gerüchte und Unbesonnenheiten

Die wirrsten Gerüchte schwirren in der erregten Stimmung dieser Tage dnrch die Luft. Da verbreitete sich am Sonntag weithin die Nachricht, zwei Russen hätten auf den Kronprinzen1 ein Attentat verübt und ihn — nach anderen Gerüchten auch den Prinzen Eitel Friedrich2 — schwer verwundet. An dieser Geschichte war natürlich auch nicht ein Wort wahr. Bei der Art, wie diese Gerüchte in die Welt gesetzt wurden, kann man nur von einer ganz unverantwortlichen Stimmungsmache reden, wenn auch natürlich die herrschende Aufregung einer Legendenbildung sehr günstig ist. Das Wort „grober Unfug" ist aber bei den Folgen, die aus solchen Alarmmeldungcn entspringen können, eine viel zu milde Bezeichnung für derartige Gerüchtmachereien.
Hier gilt es unbedingt, Ruhe und Besonnenheit zu bewahren. Die Spionenfurcht besonders müssen alle besonnnenen Einwohner mit uns bekämpfen helfen. Wir geben zu, daß äußerste Vorsicht der Behörden, deren Pflicht ist. und wenn die Zivilbevölkerung die Behörden in der Verhütung von Anschlägen auf die Sicherheit unserer Bahnen usw. unterstützt, so tut sie damit auch nur ihre Pflicht.
Aber alles übrige überlasse man den Behörden. Es ist Unbesonnenheit sondergleichen, in jedem fremden Menschen nur um seines Aussehens willen einen Feind und Spion zu erblicken oder gar seine Wut, wie es leider heute hier geschehen ist, in Tätlichkeiten gegen arme Russen auszulassen, die vielleicht ausgewiesen sind und voller Angst in ihre Heimat zurückwollen. Wir führen doch keinen Krieg gegen das russische Volk und gegen einzelne russische Staatsangehörige, sondern gegen die russischen Machthaber und ihre Armee. Jene armen Teufel, die da Opfer der Volkswut werden, erwartet vielleicht gerade im Russenlande das schlimmste Los, denn sie sind meistens Opfer des Zarismus aus der Zeit der russischen Revolution. Zudem bleibt es doch immer ein Stück Feigheit und Unritterlichkeit, wenn eine erregte Menschenmasse über einzelne Wehrlose herfällt, selbst wenn diese sich töricht und provozierend benehmen. Feigheit und Unritterlichkeit würde uns aber gerade in diesen Zeitläuften schlecht anstehen.
Darum Vorsicht vor falschen Gerüchten und unbedingte Besonnenheit!

[Offenbacher Abendblatt vom 3. August 1914]


  1. Kronprinz Wilhelm von Preußen (1882-1951).
  2. Prinz Eitel Friedrich von Preußen (1883-1942).

Personen: Wilhelm,Preußen, Kronprinz · Eitel Friedrich, Preußen, Prinz
Orte: Offenbach
Sachbegriffe: Zeitungen · Offenbacher Abendblatt · Gerüchte · Russen · Attentate · Spionenangst · Eisenbahnen · Sabotage · Fremdenfeindlichkeit
Empfohlene Zitierweise: „Der erste Kriegsmonat im Offenbacher Abendblatt, August 1914, Abschnitt 34: 3.8.1914: Falsche Gerüchte und Unbesonnenheiten“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/161-23> (aufgerufen am 06.05.2024)