Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Feldpredigten des Feld-Divisionspfarrers Christian Eisenberg aus Marburg, 1914-1915

Abschnitt 3: Predigt I / 3 zu 1. Petri 1, 14 ff. (Passionszeit)


Stellet Euch nicht gleich wie vormals, da Ihr in Unwissenheit nach den Lüsten lebtet; sondern nach dem, der Euch berufen hat und heilig ist, seid auch Ihr heilig in allem Eurem Wandel. Und wisset, daß Ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von Eurem eitlen Wandel nach väterlicher Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. — 1. Petri 1, 14 ff.


Kameraden!1

In unserem Kriegsleben hat wohl mancher unter Euch noch nicht daran gedacht, daß wir in die Passionszeit eingetreten sind. Daheim richten sich die Gedanken unserer Gemeinden in diesen Wochen auf den Mann mit der Dornenkrone. Es ist gut, wenn das auch bei uns hier draußen geschieht; von uns gemeinsam in unseren Feld-Gottesdiensten; von dem einzelnen, wenn er in stillen Augenblicken sein Neues Testament hervorholt. Nirgends können wir so viel von unserem Heiland lernen, als wenn wir ihn mit unseren Gedanken auf seinem Weg nach Gethsemane, vor seine Richter und ans Kreuz begleiten. Sein unerschütterliches Vertrauen auf den himmlischen Vater, seine Festigkeit und Pflichttreue gegenüber allem Schweren, das sich auf seinen weg legte, — das alles ist ja auch uns hier draußen so not!

Unser Text heißt uns heute nicht auf einzelne Züge im Bild des leidenden Heilandes blicken, sondern auf das Ganze seiner heiligen Passion. Der Apostel stellt Ihn vor uns hin als das Lamm Gottes, das uns mit seinem heiligen teueren Blut erlöset hat, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels. Manchem Christen hat schon die Frage zu schaffen gemacht: warum mußte das Blut Jesu Christi fließen? [S. 11] Wäre es nicht genug gewesen mit seinem wunderbar reinen Leben, ohne Flecken und Makel? Hätte die Welt nicht daran genug gehabt für alle Zeiten? Warum am Ende dieses unvergleichlichen Lebens noch das blutige Opfer auf Golgatha?

Kameraden, wir, die wir diesen Krieg mit erleben, können das jetzt besser verstehen, als vorher. Ist für etwas erst Mut, edles, teueres Blut geflossen, so wird einem das dadurch ganz anders teuer und wert als vorher. Wir denken an unser Vaterland, viele unter uns haben auch schon vor dem Krieg gewußt, wie lieb es ihnen ist; mancher nicht, und manche haben vorher getan, als läge ihnen nichts daran. Nun aber sind um des Vaterlandes willen so viele, viele Gräber entstanden, im Osten und im Westen und im tiefen Meer; und alle, die darin ruhen, haben ihr rotes, warmes Blut für das Vaterland vergossen; und wir, die wir noch da sind, sind mit Freuden jeden Tag dazu bereit. Das ist ein teurer Preis, der dafür gezahlt wird, und nun wissen wir alle, was uns das Vaterland wert ist. Wenn aber das kommende Geschlecht das vergessen wollte, und wenn sich daheim jemals wieder eine Gesinnung breit machen wollte, die so tut, als wäre das deutsche Vaterland nichts, dann würden wir, die wir anno 1914/15 mit dabei waren, dagegen aufstehen und würden rufen: Vergeht das Blut nicht, das dafür geflossen ist, das viele, teuere Blut!

So, und noch viel, viel nachdrücklicher, steht das heilige, teuere Blut Christi in der Menschheitsgeschichte da und mahnt: Ihr Christen, vergeht nicht, wie teuer Ihr erkauft seid, erworben, gewonnen! Darum: nach dem, der Euch berufen hat und heilig ist, seid auch Ihr heilig in allem Euerem Wandel.

Der Apostel macht mit unserem Textwort einen Einschnitt im Leben derer, zu denen er spricht. „Stellt Euch nicht gleich wie vormals." Einst war es so, nun soll es anders werden. Kameraden, soll das nicht auch von uns gelten? Vom alten Wandel sich abwenden —, vor dem Krieg hat mancher das als eine überflüssige, [S. 12] wohl gar beleidigende Zumutung angesehen. An ernsten Stimmen, die unser Volk zur Besinnung, zur Umkehr von vielem riefen, hat es seit langem nicht gefehlt. Über sie wurden in den Wind geschlagen als nicht berechtigt; mancher sah auch keinen rechten Weg, aus einem Leben heraus zu kommen, das er selbst als nicht gut erkannte, ja, das ihm selbst innerlich zur Last war. Jetzt, durch den schweren Ernst dieses blutigen Krieges, ist es unserem Volk in seiner Gesamtheit und unzähligen Einzelnen klar geworden, daß wir nach den langen, guten Friedensjahren mit unserem Volksleben vielfach auf falschen Wegen waren. Ich brauche die Sünden nicht zu nennen, Kameraden, die wie böse Krebsschäden an dem Mark unserer Volkskraft fraßen; Ihr kennt sie alle. Nun hat Gott selbst eingegriffen. Durch die schwere Heimsuchung, die dieser Krieg mit seinen ungeheuern Opfern für unser Volk bedeutet, aber auch durch die gnädige Hilfe, die uns in diesem Ringen gegen die Übermacht unserer Feinde bisher von dem barmherzigen Gott zu teil geworden ist, ruft er uns zu: „Du deutsches Volk, wach auf; stelle dich nicht gleich wie vormals! Nach dem, der Dich zu Großem berufen hat und heilig ist, sei auch Du heilig in Deinem Wandel". Wird unser Volk auf diese Stimme hören?

Wir denken an uns, die einzelnen. War in Deinem Leben, Kamerad, vor dem Krieg alles so, wie es hätte sein sollen? Vertrug es Dein Tun und Lassen überall, daß Gottes heilige Rügen hinein schauten? Warst Du gegen die Deinen immer so, daß Du im Rückblick darauf nichts zu bereuen hast? Ach, nicht wahr, wenn Gott uns das Große schenkt, daran wir jetzt kaum schon denken dürfen, wenn er uns siegreich und gesund heimkehren läßt, dann soll manches anders, dann soll — mit Gottes Hilfe — vieles besser werden.

Aber freilich: so leicht ist es nicht, von alten Sünden und Fehlern los zu kommen. Daheim in unserem Volksleben, auch [S. 13] hier draußen bei vielen, die von dem großen Erleben unserer Zeit tief und stark durchgeschüttelt waren, regt sich schon wieder die alte, böse Art. Der Krieg allein, mit allem Gewaltigen und Erhebenden, schafft noch keine neuen Menschen. Das kann nur einer: der lebendige Gott selbst, und der, in dem sich uns seine Klarheit spiegelt, Jesus Christus, der für uns in den Tod gegangen und uns erkauft mit seinem Blut. Nimm ihn auf in Dein Leben, und Du hast, was Du in Dir selbst niemals findest: Schutz und Schirm vor allem Argen, Stärke und Hilfe zu allem Guten. Gott segne uns diese Passionszeit im Feld und lasse uns durch sie den immer größer und unentbehrlicher werden, nach dem wir als Christen uns nennen: Christum, den Gekreuzigten.

Amen.


  1. Die Predigt wurde zu Beginn des Passionszeit, also um den 17. Februar 1915, gehalten.

Personen: Eisenberg, Christian
Sachbegriffe: Feldpredigten · Feldgeistliche · Feld-Divisionspfarrer · Evangelische Kirche · Feldgottesdienste
Empfohlene Zitierweise: „Feldpredigten des Feld-Divisionspfarrers Christian Eisenberg aus Marburg, 1914-1915, Abschnitt 3: Predigt I / 3 zu 1. Petri 1, 14 ff. (Passionszeit)“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/76-3> (aufgerufen am 16.05.2024)